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NÜRNBERG/ Meistersingerhalle: SYMPHONISCHES KONZERT #18 – „der ganz normale Wahnsinn“

14.04.2022 | Konzert/Liederabende
  1. April 2022, Meistersingerhalle, Nürnberg

Symphonisches Konzert #18: „Der ganz normale Wahnsinn“

Nürnberger Symphoniker

Jonathan Darlington, Dirigent

Gunther Haußknecht, Dudelsack; Ariel Barnes, Violoncello; Enriko Milivojević, Viola

Aus dem 18. Symphonischen Konzert der Nürnberger Symphoniker wurde ein ganz besonderer Anlass: die feierliche Präsentation des auch an der Wiener Staatsoper erfolgreichen britischen Dirigenten Jonathan Darlington, der Ende Februar zum 12. Chefdirigenten des Orchesters ernannt worden war. Der sich dabei wohl zufällig ergebende witzige Umstand, dass der designierte Chefdirigent gerade mit dem Motiv des vergebens gegen die Windmühlen kämpfenden mittelalterlichen Ritters dem Nürnberger Publikum vorstellig wurde, gehört sicherlich auch zum humoristischen Repertoire des charmanten Briten, der im Laufe des Nachmittags alle Sympathien des Nürnberger Publikums gewinnen konnte.

Das aus drei Erstaufführungen der Nürnberger Symphoniker bestehende Programm wird unter dem Titel „Der ganz normale Wahnsinn“ zusammengehalten: ein Panorama über die unterschiedlichen Facetten des musikalischen Wahnsinns. Die substanzinduzierten Formen desselben begegnen uns im ersten Teil des Konzerts, beginnend mit Peter Maxwell Davies` Orchesterwerk An Orkney Wedding with Sunrise, das unter dem Eindruck des Hochzeitbesuchs auf den Orkney-Inseln entstand. Dem Entstehungskontext Rechnung tragend, wechseln sich die volksmusikartig-zugängliche Heiterkeit und die unter anderem von Soloviolinen köstlich wie geschmackvoll illustrierte Trunkenheit humorvoll ab, bis der unvermeidliche Sonnenaufgang mit dem bereits von den Streichern im Ansatz vorweggenommenen Dudelsackklang des vom Zuschauerraum auftretenden Gunther Haußknecht einsetzt und damit in einem fast berührenden Ende mündet (was für ein kurzweilig-abwechslungsreiches Kontrastprogramm übrigens zu Davies` gerade in Wien aufgeführten relativ uninspirierten Oper Lighthouse!).

Die darauffolgende Suite Nr. 2 aus Bacchus et Ariane op. 43 (1930) von Albert Roussel weist keine derart deutlich aufbauende Dramaturgie auf, sondern gliedert sich in 9 Abschnitte aus dem 2. Akt der Ballettmusik, die fließend ineinander übergehen. Die aufgrund der relativ konturlosen Fragmentierung und vor allem fehlenden Visualisierung nicht unmittelbar zugängliche, aber dennoch farbenprächtig-mitreißende Musik versteht Darlington mit seiner Sensibilität für den transparenten Klang und dem Auskosten des tänzerischen Moments schmackhaft zu machen: Angefangen mit frei schwebend-verspielten Soli der Holzbläser und dem mit transparenten Streichern illustrierten Moment des Erwachens der Ariane keimen langsam rhythmische Impulse auf, welche streckenweise an die zeitgleich entstandene 3. Symphonie erinnern. Die energiegeladenen Motive, die allesamt immer wieder von Ruhepolen und Übergängen unterbrochen werden, kulminieren schließlich in immer komplexeren pulsierenden Steigerungen, bis das kurzweilige Werk mit einem kräftigen, aber nicht unbedingt allzu rauschhaften Bacchanal endet.

Eine lektüreinduzierte und damit viel seltenere und subtilere Form des Wahnsinns findet sich in den „Phantastischen Variationen“ Don Quixote op. 35 von Richard Strauss, die das zwischen Fiktion und Realität schwankende Rittermotiv mit einem distanziert-gebrochenen Blick illustrieren. Das Wagnis, mit diesem anspruchsvollen Werk den Einstand bei den Nürnberger Symphonikern zu geben, hat sich jedenfalls gelohnt. Straussens prächtig orchestrierte und hochkomplexe Partitur findet in der routinierten Führung Darlingtons einen vorzüglichen Gestalter, der – sicherlich auch von der reichhaltigen Opernerfahrung kommend – stets genügend Raum zur freien solistischen Gestaltung offenlässt, aber bei aller Verspieltheit den riesigen Orchesterapparat mit einem enormen geistigen Fokus zusammenhält. In dieser gelungenen Balance werden sorgfältig wie konzentriert Charakterstücke mit 10 unterschiedlichen Variationen ausgearbeitet. Gleichzeitig wird dem Gesamtwerk mit der Bemühung, die einzelnen Variationen nicht in einem bloßen Nebeneinander aufgehen zu lassen, sondern stets den distanziert-ironischen Metablick beizubehalten, spätestens mit dem abschließenden Ernüchterungs- bzw. Besinnungsmoment ein in sich geschlossener Charakter verliehen, womit auch der große Bogen im musikalischen Aufbau vorzüglich gelungen ist. Die solistischen Hausbesetzungen, Ariel Barnes auf dem Violoncello, Enriko Milivojević auf der Viola sowie die namentlich nicht genannte Konzertmeisterin, können genauso überzeugen wie der deutlich hörbare Wille des bemühten Orchesters, den feinen Nuancierungen des Dirigenten möglichst Folge zu leisten. Am Aufbau homogener Spiel- und Klangkultur wie an ensembletechnischer Präzision im Zusammenspiel wird indes in der vielversprechenden Amtszeit Darlingtons weiter zu arbeiten sein – dass es sich dabei nicht um einen mühsamen Kampf gegen die Windmühlen handeln wird, scheint jedenfalls gesichert.

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„Meet & Greet“ mit Jonathan Darlington. Copyright: Totsuka

 

Kohki Totsuka

 

 

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