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NÜRNBERG: DIE PIRATEN VON PENZANCE – Operette von Arthur Sullivan

25.04.2022 | Operette/Musical

NÜRNBERG: DIE PIRATEN VON PENZANCE
24.4.2022 (Werner Häußner)

Ein moderner Generalmajor kalkuliert Sinus und Cosinus auf die Schnelle, kennt sich bei Bach’schen Fugen aus und weiß auch sonst noch allerlei aus der Welt der allgemeinen Bildung. Vor allem kann er, zumindest wenn er von William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan ins Bühnenleben gerufen und von Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting mit deutschen Wörtern ausgestattet wurde, aufs Wunderbarste plappern.

In „Die Piraten von Penzance“ am Staatstheater Nürnberg war er leider wieder einmal zum wandelnden Kalauer degradiert; dabei hätte dieser englische Offizier aus der Ära der (beinah) unsterblichen Queen Victoria das Zeug für eine echte Offenbach-Figur. Doch holprige Schrittfolgen und Nachtgewand mit Zipfelmütze sind nur noch bedingt lustig, eine ironische Entlarvung aller „guten“ militärischen Eigenschaften wäre es schon eher. Sie würde die Ambivalenz einer solchen Figur in die Gegenwart transportieren – getreu dem im Programmheft zitierten Satz von Gilbert: „Jeglicher Humor basiert auf einem ernsten und quasi respektvollen Umgang mit dem Lächerlichen und Absurden.“

So hat Hans Kittelmann in der „light opera“ des Duos Gilbert & Sullivan zwar mit dünn-schneidendem Tenor eine gekonnte Charge abgeliefert, musste seiner Figur aber einiges schuldig bleiben. Zum Glück zog sich dieser Hang zum vordergründigen Operetten-Humor vergangener Zeiten nicht durch die gesamte Inszenierung von Christian Brey. Der „Experte für Komödien und Musicals“, der gemeinsam mit Harald Schmidt schon Franz Lehárs „Lustige Witwe“ an der Deutschen Oper am Rhein in Szene gesetzt hat, nutzt zwar das gesamte Repertoire von paradoxen Verrenkungen über detailfreudigen running gags bis hin zu elektrisierten Bobbies und zum Tea aus feinem Porzellan für die wilden Piratenschar. Aber er hält die Kalauer im Zaum, lässt Übertreibung nur zu, wo sie wirkt. So funktioniert auch die oft peinlich überzogene Polizisten-Nummer im zweiten Akt. Die Lacher im Publikum beweisen, dass Breys Konzept funktioniert, auch wenn die Schenkel ungeklopft bleiben.

Mit dem richtige Maß geht auch Dirigent Guido Johannes Rumstadt zu Werk: Die Ouvertüre ist selten so ausbalanciert und knackig artikuliert zu hören – auch dieser „leichten“ Musik muss man sich ernst und respektvoll nähern. Rumstadt überzieht den englischen Hymnus-Tonfall mit genau der richtigen Menge Zuckerguss. Die lichtvollen Lyrismen, die sich Sullivan von Adolphe Adam, aber auch von seinem Vorgänger Michael William Balfe abgelauscht hat, klingen nur im zweiten Akt etwas schwer. Von der Staatsphilharmonie Nürnberg wird ebenso viel Beweglichkeit abverlangt wie von den Darstellern auf der Bühne, die Anette Hachmann ganz klischeegerecht als bunte Pirateriekohorte und als Damengeschwader in viktorianischem Pastell ausstaffiert. Kati Farkas hält sich choreografisch in Schwung; Ronny Miersch sorgt für die nötige virtuose Kampfkraft mit dem Degen.

Für die stimmliche Beweglichkeit hat sich Sullivan am Ideal der Zeit orientiert: Chloe Morgan darf als wild zur subversiven Hochzeit mit einem Jungpiraten entschlossene Mabel in schmeichelnden Melodiechen mit ein paar geschickt abgefeuerten Koloraturen und Pfeiftönen einen leicht geführten, in der Höhe angefochtenen Sopran demonstrieren. Ihrem sympathischen Galan Frederic (Martin Platz) merkt man die Würzburger Hochschulausbildung an: Bei seinem an sich ansprechenden Tenor ziehen sich die hohen Töne arg flach und neigen dazu, gerne am Gaumen zu kleben.

Hans Grönings Piratenkönig – stets in witzigem Clinch mit seinem Falsett – lässt nicht nur sein Gesicht sonnig strahlen, wenn er seine Mannen kommandiert, die ja in Wirklichkeit keine gesellschaftlichen Underdogs, sondern gelangweilte, Piraten spielende Aristokraten sind. Da über diesen Trick die gesellschaftliche Provokation gedämpft wird, macht es möglich, über dem glücklichen Ausgang Queen Victoria schweben zu lassen: Die Piraten werden von ihrem gräulichen Metier erlöst und die Schar der Generalmajorstöchter standesgemäß verheiratet. So kann letztendlich auch die ältliche Ruth – ausgezeichnet in Sprache und Gesang gefasst von Almerija Delic – ihr Begehren stillen, das sie vorher vergeblich auf ihren Schützling Frederic gerichtet hatte.

Werner Häußner

 

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