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NORDKOREANISCHE REVOLUTIONSOPERN AUF YOUTUBE

24.03.2020 | Themen Kultur

Nordkoreanische Revolutionsopern auf youtube

Kim Jong-il (1941, nach anderen Quellen 1942-2011) bekleidete nach dem Tod seines Vaters Kim Il-sung von 1994 bis 2011 u.a. das Amt des Präsidenten der Demokratischen Volksrepublik Korea und des Obersten Befehlshabers der Koreanischen Volksarmee. Dieser Bericht wird sich ausschließlich mit den unter seiner Anleitung und Anweisung in Auftrag gegebenen fünf Revolutionsopern, „Ein Meer von Blut“ (1971), „Die Erzählung über eine Lazarettschwester“ (1971), „Das Blumenmädchen“ (1972), „Erzähle Du Wald“ (1972) und „Das Lied vom Kumgang-Gebirge“ (1973) beschäftigen. Die Zählung der Jahre in der Demokratischen Volksrepublik Korea beginnt mit dem Jahr Juche 1, also 1911 unserer Zeitrechnung.  Wir schreiben daher heuer 2020 das Jahr Juche 109 nach nordkoreanischer Zeitrechnung.

In seiner Schrift “Über die Musikkunst” vom 17. Juli 1991, Verlag für fremdsprachige Literatur Pyongyang, Korea Juche 93 (2004), (web.archive.org/web/20111212211923/http://dprk.bplaced.de/Documents/KJI_Musikkunst.pdf) verlangt Kim Jong-il für die Juche-Ära eine neue Form der Musik, für die das eigene Prinzip lebensnotwenig sei. In seiner Schrift postuliert der Autor programmatisch, dass Musik eine Kunst der Melodik sei, betont die Schönheit und Sanftheit von Melodien, die Einzigartigkeit der Melodik in der lebendigen Musikgestaltung, das Strophenlied als die Hauptform der Volksmusik sowie als Grundlage der Instrumentation, eine Kombination nationaler und europäischer Musikinstrumente. Schließlich wendet sich Kim Jong-il ab Seite 128 der Weiterentwicklung von Opern im Stil von „Ein Meer von Blut“ zu. Diese sollen die „Erfordernisse unseres Zeitalters widerspiegeln. In ihnen sind nämlich unsere eigenständigen Literatur- und Kunstideen hervorragend verkörpert, sie haben einen revolutionären und sozialistischen Inhalt und eine volksverbundene und nationale Form (aaO)“. Im Unterschied zu den Musikformen der  herkömmlichen europäischen Oper (z. B. Sprechgesang und Arie), die den dramatischen Handlungen und Situationen mechanisch folgen, sollen die Lieder der sogenannten „Revolutionsopern“ „den Handlungen und den dramatischen Szenen nicht mechanisch folgen, sondern das gesamte Kolorit der Opernmusik bestimmen und die dramatischen Szenen und die Innenwelt der Figuren emotional hervorheben (aaO)“. Sie sind also gewöhnliche Strophenlieder. Und weiter gibt Kim Jong-il das musikdramaturgische Konzept solcher neuen Opern mit klaren Worten vor: „In einer Oper muss es ein thematisches Hauptlied und verschiedene Stützlieder im Mittelpunkt geben. Alle Opernlieder müssen dabei gut, insbesondere die Stützlieder unbedingt musikalische Meisterwerke sein. Nur dann ist es möglich, die Melodien dieser Lieder zu wiederholen, mit ihnen durch eine thematisch leitende Melodie das gestalterische Kolorit einer Oper zu verdeutlichen, von der thematischen Hauptmelodie andere Lieder abzuleiten und so die Gestaltung der Oper zu vereinheitlichen. Insbesondere unter den Stützliedern ist das thematische Hauptlied besonders gut zu schreiben. Es ist das hauptsächliche Stützlied, das das Thema und den Gedanken einer Oper vertritt. In der Oper sollte sich die Melodie des thematischen Hauptliedes in wichtigen Etappen und aus wichtigen Anlässen der dramatischen Entwicklung wiederholen und dabei als das Hauptmotiv wirken, das die gesamte Linie der Oper festlegt und das gestalterische Kolorit vereinheitlicht. In einer Oper gibt es mehrere dramatische Linien, darunter eine zentrale Linie, die die Kernidee, das Thema und den Gedanken des Werkes durchdringt. Eine in dieser zentralen Linie wiederkehrende Melodie sollte das thematisch leitende Lied sein (aaO)“.

Ich selber war Ende Oktober 2019 auf einer Studienreise in Nordkorea und konnte bei dieser Gelegenheit einer Aufführung der besten Szenen aus den fünf Revolutionsopern im Großen Opernhaus von Pjöngjang beiwohnen. Leider gab es kein Programmheft und es war auch verboten, Fotos der Künstler oder des Hauses von innen zu machen. Die obgenannten fünf Revolutionsopern kann man allesamt auf youtube finden, leider ohne Untertitel und ohne Namen der beteiligten Künstler und Künstlerinnen. Sie sollen in weiterer Folge hier in der Reihenfolge ihres Entstehens kurz besprochen werden.

Die Revolutionsoper „Ein Meer von Blut“ (https://www.youtube.com/watch?v=quIl4qeEWog) basiert auf einem Werk des Staatsgründers Kim Il Sung, das dieser während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Japan verfasst hatte und das als Theaterstück im Juche 25, also 1936, erstmals aufgeführt wurde. Unter Anleitung seines Sohnes Kim Jong-il wurde das Theaterstück im Jahr 1971 (Juche 60) in die gleichnamige siebenaktige Oper übertragen. Die Oper spielt im Jahr 1930 während der japanische Besetzung Koreas in einem Bergdorf, in dem ein Ehepaar mit seinen drei Kindern lebt. Eine japanische Strafexpedition verwandelt das Dorf eines Tages in ein Meer von Feuer und Blut. Auch ihr Gatte stirbt. Ihr ältester Sohn Won Nam und ihre Tochter Kap Sun treten zur Rettung des Landes der Revolutionsarmee von Kim Il Sung bei und schließlich erhebt auch sie sich zum revolutionären Kampf gegen die japanischen Invasoren, lernt lesen und schreiben und wird zur Vorsitzenden einer Frauenorganisation. Sie wird verhaftet, ihr jüngster Sohn Ul Nam getötet und anschließend wird ihr Dorf erneut von den japanischen Invasoren verwüstet. Daraufhin ruft sie die wütenden Massen zum Entscheidungskampf, in welchem die Japaner besiegt werden. In ihrer Siegesrede am Ende der Oper betont sie, dass der Weg zur Existenz Koreas nur in der Revolution bestehe. Die philosophische Kernidee dieser Oper besteht darin, dass man das Blutmeer des Leidens in ein Blutmeer des Kampfes verwandeln soll. Es sei daher ein Gesetz, dass es dort, wo Unterdrückung ist, Widerstand gibt, und das unterdrückte Volk nur mit bewaffnetem Kampf seine Befreiung und glückliche Zukunft erringen könne (vgl. http://www.dvrk.de/revolutionsoper–ein-meer-von-blut–.html). Neu eingeführt wurde in dieser Oper der Hintergrundgesang (Pangchang-Gesang) als wichtiges Darstellungsmittel. Leider ist es in der DVRK üblich, alle Stimmen und auch das Orchester elektronisch zu verstärken, sodass die Stimmen für unseren Geschmack verfremdet, künstlich und vor allem viel zu laut erklingen. Diese Eigenart ist wohl auf die unterschiedliche Aufführungspraxis zurück zu führen.

Die sechsaktige Revolutionsoper „Die Erzählung einer Lazarettschwester“ (https://www.youtube.com/watch?v=EqJD4xhzBmY) entstand im Jahr 1971 (Juche 60) ebenfalls unter Anleitung von Kim Jong-il. Die Oper handelt von An Yong Ae, die während des Koreakrieges in den 1950er Jahren während eines heftigen Bombardements einen Patienten zum Schutz mit ihrem eigenen Körper deckt und dabei tödlich verletzt wird. Sie stirbt mit der Bitte, ihr blutgetränktes Parteibuch und ihren letzten Parteibeitrag an das Zentralkomitee der Partei zu übermitteln und den letzten Wunsch, Kim Il Sung zu treffen. Für europäischen Geschmack wohl etwas starker Tobak, aber die wunderschöne Musik, die den von Kim Jong il aufgestellten Prinzipien folgt, macht auch diese Oper zu einer interessanten Rarität. Das Titellied der Oper „Wo mag unser heiß ersehnter Heerführer sein“ wurde übrigens von Kim Jong-il persönlich geschaffen.

Ebenfalls 1972 (Juche 61) entstand die Oper “Das Blumenmädchen” (https://www.youtube.com/watch?v=YPZGEGDy6q8). Erneut wird in ihr der Kampf gegen die japanischen Invasoren um 1930 abgehandelt. Im Mittelpunkt steht das Leben und das Schicksal von  Kot Bun, die Blumen verkaufen muss, um Medikamente für ihre kranke Mutter kaufen zu können. Ihr tragisches Leben und das der Dorfbewohner machen sie bereit zum Kampf gegen die Japaner.

Die aus einem Vorspiel, fünf Akten und einem Schlussakt bestehende Oper „Erzähle du Wald“ (https://www.youtube.com/watch?v=ydcXJSLC4fA), entstand gleichfalls 1972 (im Jahr Juche 61). Der Dorfvorsteher eines besetzten Gebietes kollaboriert zum Schein mit dem Feind und wird deshalb von den Dorfbewohnern und seiner eigenen Tochter als „Kaegujang“ (Verräter) verhöhnt und beleidigt. Er informiert die Volksarmee über die erkundeten feindlichen Stellungen. Er soll die Japaner in einen Hinterhalt in die Hongsan Schlucht locken. Die japanische Armee wird vernichtend geschlagen und der Dorfvorsteher verwundet. Erst nach dieser Schlacht erfahren die befreiten Dorfbewohner, dass er illegal für die  Partisanenarmee gearbeitet hat.

Die im Jahr 1973 (Juche 62) entstandene Oper “Das Lied vom Kumgang-Gebirge” (https://www.youtube.com/watch?v=4Au1Cz7cwek) gliedert sich formal in ein Vorspiel, sieben Akte und einen Schlussakt. In dieser Oper unternimmt der Komponist Hwang Sok Min eine kreative Reise ins Kumgang Gebirge, das in eine Erholungsstätte umgewandelt worden war. Während der japanischen Besatzung (1905–1945) hat er seine verschleppten Familienangehörigen verloren und sie nun seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen. Beim Anblick der glücklichen Dorfbewohner erinnert er sich mit Wehmut an seine verschollene Gattin und ihre gemeinsame Tochter. Er unterstützt die Laienkünstler im Dorf und freundet sich mit ihnen an.  Diese besuchen schließlich ein Kunstfestival in der Bezirksstadt, wo der Komponist erfährt, dass Sun I, welche die Hauptrolle spielt, seine verloren geglaubte  Tochter ist. Nach der Aufführung kommt es zu einem rührenden Wiedersehen und er trifft auch seine Gattin wieder im Dorf Kumgang.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass alle fünf Opern durchaus hörens- und sehenswert sind. Der musikalische Stil der Werke der namentlich leider nicht bekannten Komponisten und Komponistinnen würde ich als eine Mischung aus Melodramatik, Pathetik und schwelgerischer Lyrik samt eingebetteten Tänzen beschreiben. Die Inszenierungen folgen dabei dem vorgegebenen Konzept von Kim Jong-il, die Bühnenbilder und Kostüme sind dabei für europäischen Geschmack vielleicht etwas zu naturalistisch. Aber man muss dabei bedenken, dass diese fünf Revolutionsopern eben dem Prinzip eines sozialistischen Realismus verpflichtet sind und das äußert sich neben den gewählten Themen auch in der Ausstattung. Ich wünsche allen Opernliebhabern beiderlei Geschlechts in dieser leider theaterfreien Zeit viel Freude am Betrachten dieser Werke. Meine Favoriten sind „Ein Meer von Blut“ sowie „Das Blumenmädchen“.

Harald Lacina

     Fotocredits: http://www.dvrk.de/index.html

 

 

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