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NORDHAUSEN/ Theater: DIALOGUES DES CARMÉLITES

09.03.2018 | Oper

NORDHAUSEN: DIAOGUES DES CARMÉLITES
am 7.3. 2018 (Werner Häußner)

Als Generalmusikdirektor in Würzburg hat Daniel Klajner „Dialogues des Carmélites“ in einer feinfühligen Inszenierung von Gabriele Wiesmüller selbst dirigiert. Das war kurz nach der Jahrtausendwende, als Francis Poulencs letztes Bühnenwerk allmählich wiederentdeckt wurde. Inzwischen ist die Oper von 1957 in den festen Bestand des Repertoires zurückgekehrt – und Klajner ist Intendant des Theaters in Nordhausen im nördlichsten Zipfel Thüringens. Dort hat er die Geschichte der Nonnen von Compiègne, die 1794 in den letzten Tagen des Terrors der französischen Revolution dem Blutrichter Robespierre zum Opfer fielen, auf den Spielplan gesetzt.

Regisseurin Katharina Thoma entdeckt das Zeitlose und allgemein Gültige in der Geschichte dieser sechzehn christlichen Märtyrerinnen, die 1906 schon selig gesprochen wurden. Die äußerst reduzierte Formensprache der Bühne von Sibylle Pfeiffer vermeidet jeglichen Historismus, zeichnet die streng geregelte Welt des Klosters zunächst mit drei an ein Altartriptychon erinnernden Metallrahmen im Hintergrund und fahrbaren Metallgestellen auf der Bühnenfläche. Zwar tragen die Schwestern eine Tracht, aber auf christliche Symbolik wird verzichtet. Die Priorinnen führen nicht etwa ein Kreuz, sondern ein miniaturisiertes Metallrechteck als Zeichen ihrer Würde: Ein Hinweis wohl, dass sie als Garantinnen der Ordnung des Konvents fungieren – einer kleinen Welt für sich.

Die so einfach wie symbolträchtig gestaltete Symmetrie gerät aus den Fugen, als sich ankündigt, dass die entfesselte Gewalt auch in diesen bisher geschützten Raum eindringt. Moritz Haakh kleidet die Schergen der Revolution eher wie Milizen, die zufällig und unvorbereitet zu ihrer Rolle gekommen sind, mit Armbinden und hastig auf die Alltagskleidung aufgenähten Signets: „Normalos“ verbreiten so gleichgültig Terror und Tod, wie sie vorher ihr unauffälliges Leben geführt haben mögen. Nur der erste Kommissar, David Johnson, trägt eine SS-ähnliche Uniform in grellem Gelb, die alte Symbolfarbe der Lüge, der Verschlagenheit und des Verrats – ironischerweise auch die Farbe der Sonne und der Vernunft.

Ähnlich wie bei Gertrud von Le Fort, auf deren Erzählung „Die Letzte am Schafott“ das Libretto fußt, stellt die Inszenierung in Nordhausen nicht den Rückblick auf das Grauen der Französischen Revolution ins Zentrum, sondern weist mit ihrer Bilderfindung in die Gegenwart. Das ist im Sinne der Dichterin: 1931, am Ende der Weimarer Republik, als die Novelle entstand, war für Le Fort zu spüren, dass „die Erde unter unseren Füßen zu beben begann“.

Ein feines Sensorium für solche Veränderung hat die adlige Tochter Blanche de la Force: Sie sucht im Kloster eben jenen festen Rahmen, der ihr hilft, sich ihrer inneren Verunsicherung, einer angstbestimmten Existenz zu entziehen: Ihr Bruder (Kyounghan Seo mit angespannter Stimme) vergleicht sie mit einem jungen Baum, „den der Frost ins Mark traf“. Katharina Thoma zeichnet in ihrer Regie sorgfältig nach, wie Blanche aus dieser existenziellen Fremdheit – die Welt als Element, in dem sie nicht leben kann – auszubrechen versucht, wie sich ihre Angst bis zur impulsiven Fluchtreaktion aus dem von den Kommissaren gewaltsam geöffneten Kloster steigert, um am Ende – im Angesicht des Todes unter der Guillotine – sich selbst zu überwinden. Zinzi Frohwein gestaltet diese Figur als dichte Studie einer jungen Frau, die keineswegs zum Engel auf Erden überstilisiert wird, sondern die in ihrer Reaktion auch verletzend wirken kann. In den Dialogen mit der zarten, frohgemuten Novizin Constance, von Leonor Amaral mit feinen Lasuren gesungen, treten die inneren Beklemmungen deutlich zum Vorschein.

Für die letzte Szene haben Pfeiffer und Thoma eine ungewöhnlich deutliche Lösung gefunden: Ein riesiges Fallbeil beherrscht die Szene, ein Henker zerrt die gewaltige Klinge nach oben. Eine nach der anderen treten die Nonnen, während sie den alten Marienhymnus „Salve Regina“ singen, hinter das Hinrichtungs-Instrument. Das Beil rauscht herab und lässt die Frauen verschwinden. Eine Lösung, in der die Brutalität des Mordens nicht wegstilisiert, aber auch nicht zur Schau gestellt wird.

Die Musik Francis Poulencs rückt Dirigent Michael Helmrath eher in die Richtung Arthur Honeggers oder noch mehr Darius Milhauds, die wie Poulenc der „Groupe de Six“ angehörten: Die Spaltklänge werden geschärft, die Farben der Instrumente aufgeraut, den lyrischen Momenten das Parfüm verweigert. Poulencs Partitur wandelt Helmrath so fernab von Debussys Finessen in Klang: kantig, zupackend, schneidend klar. Nicht immer ist das dem Willen des Interpreten geschuldet: Das Loh-Orchester Sondershausen kümmert sich wenig um Subtilitäten oder Piano-Kultur. Das Blech fühlt sich am wohlsten, wenn es draufhalten kann. Die Holzbläser modellieren ihre Klangkultur sorgsamer; namentlich ein herb leuchtendes Solo der Klarinette bleibt in Erinnerung. Aber es ist zu hören, dass Poulencs Musik eine Herausforderung ist.

Auch die Sängerinnen tun sich nicht leicht: Judith Christ singt die alte Priorin mit ausgeprägtem Vibrato gleichgültig, als habe sie die Rolle gelernt, ohne den Sinn der Worte zu gewichten. Petra Schmidt – in der besuchten Vorstellung als Gast aus Gelsenkirchen – gibt der neuen Priorin Madame Lidoine die Aura einer weisen, würdigen alten Frau. Carolin Schumann als Mère Marie mit gut gebildetem Zentrum, aber forciert-fester Höhe, bekundet den radikalen Willen zum Tod für den Glauben mit der gebotenen Härte, drückt aber auch adäquat aus, wie ihr bruchlos gefügtes Glaubensbild Risse bekommt, als sie als Einzige vom Martyrium ausgeschlossen ist und weiterleben muss.

Marian Kalus als Priester neigt mit verbildeter Stimme eher zur Karikatur als zu einer Autoritätsperson. Dem Chor, einstudiert von Markus Popp, fehlt es nicht an Farben, aber ausgerechnet in den geistlichen Gesängen fällt es den Sängerinnen schwer, zu homogenem Klang zu kommen.

Katharina Thomas reduzierte, konzentrierte Inszenierung hinterlässt einen Abdruck in der Seele – das Schicksal dieser Ordensfrauen aus dem 18. Jahrhundert stellt der Gegenwart die Frage, aus welchen Quellen man lebt, wie man dem Unrecht widersteht und wann der Punkt gekommen ist, an dem das Sterben dem Weiterexistieren vorzuziehen ist. Daniel Klajner hat mit dieser Stückauswahl in seiner zweiten Nordhäuser Spielzeit ein Signal für die Relevanz von Theater gesetzt. Verfolgt er diese Linie weiter, wird sein Haus für seine künstlerische Leistungskraft nicht nur überregional wieder mehr Resonanz erfahren, sondern auch sein Publikum finden, das an diesem Mittwochnachmittag (!) leider recht überschaubar geblieben ist.

Werner Häußner

 

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