Fotos: Festspiele Reichenau
NÖ Theatersommer / Festspiele Reichenau:
CELLA
Neue Bühnenfassung von Nicolaus Hagg
nach dem Roman „CELLA oder die Überwinder“
von Franz Werfel
Premiere: 5. Juli 2017,
besucht wurde die Generalprobe
Muss man Romane dramatisieren? Nein. Man muss absolut nicht. Dennoch geschieht es allerorten. Am Burgtheater. An der Josefstadt. Und seit vielen Jahren in Reichenau. Sei’s drum, ob es gut ausgeht oder nicht, ist Glückssache, jedenfalls ist der Prozentsatz des Geglückten nicht hoch.
Immerhin – im nächsten Jahr will Reichenau den Scott-Fitzgerald-Dichter-und-Säufer-Roman „Die Schönen und Verdammten“ auf die Bühne bringen. Da ist uns Franz Werfel – mit seiner Alma auch einst Semmering-Bewohner – schon näher. Nicht, dass „Cella oder die Überwinder“ zu seinen großen Büchern zählte. Aber wenn man es denn schon „spielen“ muss, dann heuer, wo mit „80 Jahre nach dem Anschluß“ immerhin ein Gedenkjahr gegeben ist. Schließlich begibt sich die Handlung des Buches rund um jenen „Gott schütze Österreich“-März 1938.
Werfel, der zur Zeit des Anschlusses schon im Ausland war (seine Flucht mit Alma in die USA verlief berüchtigt dramatisch, man hat das in Reichenau einmal sogar zum Theaterstück gemacht), schrieb Ende 1938 den Roman von Cella, der begabten 14jährigen Pianistin, die in der Dramatisierung von Nicolaus Hagg nicht vorkommt und auch nicht fehlt. Sie fungiert nur als Symbol für eine Welt der Kunst und des Schönen, für die es bald keinen Platz mehr gibt. Erzählt wird die Geschichte ihres Vaters, des jüdischen Anwalts Dr. Hans Bodenheim, der mit seiner Familie in Eisenstadt lebt und trotz seiner jüdischen Herkunft sich nie anders fühlen würde denn als Österreicher – hat er nicht im Ersten Weltkrieg gekämpft, hat ihm nicht Kaiser Karl selbst einen Orden umgehängt? Ein normaler, grundanständiger Mann, dem August Schmölzer genau diesen unaufgeregten Umriß gibt.
Julia Stemberger, Sascha Oskar Weis
Wenn sich nun die politische Lage entwickelt, wie man es aus dem Geschichtsbuch kennt, dann hat auch Werfel, hat auch Hagg dazu nicht mehr zu bieten als eine Art Schulfunk-Nachhilfeunterricht. Bodenheim, der nicht glauben will, dass ihm, dem Österreicher; angesichts der herannahenden braunen Massen etwas geschehen wird. Der jüdische Industrielle Weil, der ahnt, dass er sein Geld besser ins Ausland transferiert. Der Klavierpädagoge Scherber, der in die USA gehen und Cella dorthin mitnehmen will. Ein alter Oberstleutnant, der für einen „monarchistischen“ Widerstand steht, von seiner „kaiserlichen Hoheit“, dem Erzherzog Otto, schon verfrüht als „Majestät“ spricht (und dieser wartet – natürlich vergeblich – im Ausland darauf, dass man ihn ruft, Österreich vor dem deutschen Einmarsch zu retten). Ein Esterhazy-Prinz, der angesichts der irren politischen Lage bloß daran denkt, ein Konzert zu veranstalten, wo eine seiner Kompositionen aufgeführt werden soll… Und da ist noch Zoltan Nagy, der gänzlich undurchschaubare, aber sichtlich mit allen Wassern gewaschene Jugendfreund von Bodenheim.
Der Text, den sie absondern, erzählt weniger von Menschen, schildert vielmehr brav die Situation, wie sie immer schlimmer wird, wie der Jude sich endlich ausgegrenzt fühlt und am Ende im Nazi-Gefängnis landet. Dort gibt es den einzigen sozusagen „theatralischen“ Knalleffekt der müden Angelegenheit, für die Regisseur Michael Gampe nicht mehr tun konnte, als die Darsteller über die von Peter Loidolt spärlich möblierte „Bühne“ des Neuen Spielraums von Reichenau zu schieben. Das Ganze ist nicht lang, aber es ist – Todsünde – langweilig und ziemlich leblos. Trotz der Besetzung, die wie immer in Reichenau durchaus vom Feinsten ist.
Dennoch: Die brave, aufrechte, hausbackene christliche Gattin des von ihr heiß geliebten jüdischen Mannes, die nur ein wenig auftaut, wenn ihr Ex-Liebhaber (lang ist’s her) sie ancharmiert – das ist keine herausforderende Rolle für eine Schauspielerin wie Julia Stemberger. Da hat es Sascha Oskar Weis als Zoltan Nagy schon leichter, er ist „hintergründig“, wie man so schön sagt, der einzige der ganzen Mannschaft, der ein bisschen interessant wirken darf (wenngleich man sich Kollegen vorstellen kann, die in dieser Rolle mehr „schillern“ würden). Selbst so gute Schauspieler wie André Pohl als resignierter alter Jude und Toni Slama mit dem ganzen Pathos des alten Soldaten, wirken nicht, und wenn auch Martin Schwab alle Register zieht, als alter Klaviervirtuose zu „irrlichtern“, und David Oberkogler einen ziemlich vertrottelten Adeligen spielt … man wacht nicht wirklich auf. Zum Drüberstreuen gibt Philipp Stix noch einen Pfarrer und Gerhard Roiss ein proletarisches Urviech aus der Verbrechergilde.
Martin Schwab / André Pohl
Wir brauchen wirklich nicht „Cella“, damit wir über die Situation der Juden vor 1938 nichts Neues erzählt bekommen. Dass man in Reichenau Dichter und Jahrestage feiert, ist ehrenvoll. Es wird halt nicht immer spannendes Theater daraus.
Renate Wagner