Alle Fotos: Renate Wagner
NÖ / Theater Reichenau / Neuer Spielraum:
DAS WEITE LAND von Arthur Schnitzler
Premiere: 2. Juli 2014
Besucht wurde die Generalprobe
Arthur Schnitzler ist der Säulenheilige Nr. 1 der Festspiele Reichenau, kein Autor wurde seit den Anfängen dieses ganz besonderen Festivals am Semmering so häufig gespielt und so kontinuierlich gepflegt wie er. Im Vorjahr hat man nun in Hermann Beil einen besonders „Schnitzler-sensiblen“ Regisseur entdeckt, der den „Einsamen Weg“ zum Erlebnis und zum Ereignis machte. Heuer gelang es mit dem „Weiten Land“ nicht ganz so selbstverständlich, immer das Richtige zu tun, obwohl es sich um eines von Schnitzlers besten (und damit auch effektvollsten) Stücken handelt.
Ein großer Teil des Problems lag daran, dass man die Guckkastenbühne verlassen hat. Der „Neue Spielraum“ – der längst eine Institution ist – hat seinen Reiz, hat aber auch seine Schwierigkeiten. Der Reiz besteht in der „offenen Dramaturgie“, die er jedem Regisseur auferlegt, die Schwierigkeiten in der Tatsache, dass es fast nicht zu verhindern ist, Stücke hier zu zerfransen und zu dekonzentrieren. Die rein technischen Probleme bestehen darin, dass bei einer Raumbühne, die auf drei Seiten von Publikum umgeben ist, der Regisseur einen ganz erheblichen Teil seiner Bemühungen darauf richten muss, die Darsteller immer in Bewegung zu halten, damit sie nie zu lange einer Seite den Rücken zuwenden (und damit dort auch prompt schwerer verständlich werden).
Daneben noch in voller Intensität an der „Konzentration“ des Inhalts zu arbeiten, ist bei einem so sehr auf das Wort und auf das subtile darstellerische Detail gestellten Autor wie Schnitzler erheblich schwerer als etwa bei einer Roman-Dramatisierung oder einem Werk, das ohnedies auf „Action“ setzt. Bei Schnitzler spielt sich alles „innen“ ab, und ob in der Villa in Baden, ob im Luxushotel am Völser Weiher, es geht ja doch vordringlich darum, was die Personen einander ausgesprochen oder als Subtext zu sagen haben.
Joseph Lorenz
Immerhin, Hermann Beil gelingt noch sehr viel, im Arrangement, im Körpersprachlichen, in der Interaktion, aber mehr als eine sehr gute Aufführung (im Vorjahr war es eine besondere) stellt sich nicht ein. Das mag allerdings genügen, vor allem angesichts des Hauptdarstellers, der sich in die lange Linie der faszinierenden Hofreiter stellt. Wenn Joseph Lorenz zu Beginn fast wie ein Operettentenor hereintänzelt, ist das Absicht, denn da will ein Alpha-Männchen der ganzen Welt klar machen, wie phantastisch es ihm doch geht. Dass er viel zu verbergen hat, spielt Lorenz geradezu mit Virtuosität aus, wobei er den Weg seines Seelenzustandes durch die fünf Akte hindurch faszinierend differenziert, bis er am Ende fast selbst wie eine Leiche auf der Bühne steht. Und das ist er ja dann auch…
Julia Stemberger als seine Gattin Genia hat, so wie er, vor allem am Anfang unechte Töne, die hier stimmen – denn das ist eine Frau, die sich in ihrer Haut ganz zutiefst nicht wohl fühlt, es mit damenhafter Attitüde nicht merken lassen will und geradezu verzweifelt um nicht weniger kämpft als um ihr Leben an der Seite eines Mannes, mit dem man einfach nicht leben kann, weil nichts ihm wichtig ist als er selbst.
Julia Stemberger / André Pohl
Und da ist der Dr. Mauer, der anständige Mensch schlechthin: André Pohl muss nur er selbst sein, um hier mit der Figur zur Deckung zu kommen.
Mit den idealen Besetzungen ist man damit allerdings am Ende, wenngleich der Rest immer noch sehr gut ist. Aber wie man weiß, kann das für Schnitzler gelegentlich zu wenig sein – zumal in einem Stück wie diesem, wo jede Rolle, ob groß, ob klein, auch noch ihre eigene Tradition hat.
Nichts an Johanna Arrouas erinnert daran, dass man sie auch als höchst potente Operetten-Soubrette kennt, und sie bringt vor allem die Emanzipation der Erna sehr gut zum Ausdruck: Den Zauber des ganz jungen Mädchens bringt sie nicht. Dagegen hat sich als ihre Mama ein spätes süßes Mädel auf die Bühne verirrt: Gabriele Schuchter tänzelt als Mama Wahl leichtgewichtig und irgendwie schnippisch herum, die Pointen sitzen nicht so recht, aber das ist den ganzen Abend lang so: Vielleicht hat der Regisseur zu wenig Humor?
Johanna Arrouas / Gabriele Schuchter
Elisabeth Augustin gibt der Frau Meinhold etwas an Verhuschtheit, das man an der großen, schwerblütigen Diva, die sie darzustellen hat, noch nicht so sah. Die nachdrückliche Persönlichkeit, die als Doktor von Aigner die zentralen Erkenntnisse über die Seele als „Weites Land“ anzubringen hat, zeigt der sonst immer so überzeugende Rainer Frieb diesmal nicht – vielleicht ist er auch falsch besetzt. Er hätte dem Bankier Natter vielleicht mehr Schärfe gegeben als Eduard Wildner, der weniger Intrigant als achselzuckender Bonvivant scheint und in Chris Pichler, die doch wahrlich eine Österreicherin ist, eine Gattin mit seltsam „deutschem“ Zungenschlag besitzt.
Wenig kommt von den jungen Männern, von Dominik Raneburger als Otto, kaum etwas von Paul Maresch, Lukas Wurm oder Daniel Jesch. Miguel Herz-Kestranek ist zweifellos eine Luxusbesetzung für den Portier Rosenstock, der hier böhmakelt und wenig zu vermelden hat, denn der dritte Akt wurde auf Rudimente zusammengekürzt. Überhaupt „fehlt“ durch die Striche vielen Figuren so viel, dass sie kaum zu legitimen Entfaltungsmöglichkeiten kommen. Andererseits – fast drei Stunden Spielzeit sind es immer noch.
Peter Loidolt hat nicht mehr als zwei Sofas und eine Gartengarnitur auf die Bühne gestellt und Berge auf die Wände rundum gemalt, die Kostüme von Erika Navas stimmen, von Zeit zu Zeit rauscht Musik auf (Helmut Jasbar). Das Stück ist gut, es entfaltet einen Teil seiner Wirkung, und ausverkauft ist es schon seit Monaten – die magische Mischung Schnitzler & Reichenau überwindet jeglichen Einwand, ja, lässt für das Publikum a priori gar keinen aufkommen.
Renate Wagner