NICOLA PORPORA: ARIEN – MAX EMANUEL CENCIC; DECCA CD
Mitreißende Hommage zum 250. Todestag des Komponisten am 3. März 2018
Wer war dieser Porpora, dieses echte Kind Neapels, das die italienische Gesangskultur im 18. Jahrhundert erst recht zum Blühen brachte? Gesichert ist, dass er ein begnadeter, überaus genauer bis sadistisch-strenger Gesangslehrer am neapolitanischen Conservatorio Sant‘Onofrio gewesen ist, wo er so illustre Vokalartisten wie die Kastraten Porporino, Farinelli oder Caffarelli zu seinen Schülern zählte. Sein reiches Leben führte ihn auf der Suche nach Aufführungs- und Verdienstmöglichkeiten nach London, Venedig, Dresden und schließlich nach Wien. Da will es die Legende, dass der junge Joseph Haydn als sein Kammerdiener fungierte und Porporas Gesangsschüler am Klavier begleiten musste.
Als Komponist schrieb er Opern, Kantaten, Chorwerke, Sonaten, Oratorien, Konzerte. Auf Tonträgern beginnt sich sein Schaffen nach und nach durchzusetzen, wenngleich es da noch extrem viel aufzuarbeiten gilt. Reine Porpora Arien-CDs haben vor Cencic schon Franco Fagioli und Karina Gauvin vorgelegt. Operngesamtaufnahmen gibt es kaum, erst auf Initiative von Max Emanuel Cencic ist kürzlich die Weltersteinspielung der Oper Germanico in Germania bei DECCA erschienen. Nun legt Cencic 14 Arien aus dem reichen Opernschaffen Porporas vor, sieben davon sind ebenfalls erstmals auf Tonträgern zu hören. Ungefähr 50 Opern hat Porpora geschrieben. Cencic hat sich in den Archiven umgesehen und sich für einzelne Gesangsnummern aus den Opern Ezio, Meride e Selinunte, Ifigenia in Aulide, Filandro, Poro, Enea nel Lazio, Il Trionfo di Camilla, Carlo il calvo und Arianna in Nasso entschieden.
Schon nach Anhören der ersten Bravourarie „Se tu la reggi al volo“ aus Ezio fallen der ungemein melodische Einfallsreichtum, die bestechenden Virtuosität des Soloparts, aber auch die reiche lautmalerische Instrumentierung auf. Max Emanuel Cencic bereits legendärer Countertenor klingt nach unglaublichen 30 Karrierejahren frischer denn je. Dieser quirlige und schillernde Popstar der Barockmusik gestaltet mit klarer Tongebung alles aus seiner bronzen timbrierten Mittellage heraus, lässt die pastose Tiefe frei orgeln und schwingt sich nach wie vor zu unglaublichen Höhenflügen auf. Die Stimme gehorcht bruchlos und mit lupenreiner Intonation jedem Affekt, jedem Verlangen nach subtilster Farbgebung, jedem Fingerdeut der vor technischen Vertracktheiten und vokalen Finessen überschäumenden Partituren. Es klingt so, als ob Porpora die Arien Cencic direkt in die Kehle komponiert hat. Was für ein Glück auch, dass George Petrou die Aufnahme leitet und sein brillantes Instrumentalensemble Armonia Atenea z.B.: bei Nummern aus „Ifigenia in Aulide“ oder „Carlo di Calvo“ zu vor Spannung beinahe berstendem Drive anspornen kann. Neben den verzierten schnellen Arien arie di bravura gibt es aber auch den anderen getrageneren Typus an Solonummern, nämlich die aria di sostenuto. Cencic vermag hier etwa als Lottario in dem achtminütigen „Quando s‘oscura il cielo“ aus „Carlo il calvo“ endlose Legatobögen zu spinnen, gestaltet seinen abwechslungsreichen Vortrag ganz aus einer raffinierten Dynamik heraus.
Arien-CDs sind ja so eine Sache. In nicht so seltenen Fällen ist der Hörer nach einigen Nummern entweder von einem zu wenig oder zu viel von etwas gelangweilt oder übersättigt. Nicht so im vorliegenden Fall. So kurzweilig und im Dienste des Reichtums des Schaffens eines noch zu empfehlenden Komponisten ward kaum je ein Album vernommen. Kein Wunder, dass die CD schon kurz nach dem Erscheinen mit dem begehrten französischen Diapason d‘or ausgezeichnet wurde.
Dr. Ingobert Waltenberger