Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

NEW YORK/ Wien/ Die Met im Kino: TRISTAN UND ISOLDE

15.10.2016 | Oper

MET im Kino: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 8.10.2016  Cineplexx “Village Cinema“ Wien-Mitte

Bildergebnis für metropolitan opera Tristan und Isolde

Die Metropolitan Opera feierte ihre 50. Saison im Lincoln Center – mit einer aus dem Festspielhaus Baden-Baden ausgeliehenen Inszenierung! Die Besetzung, vor allem mit der exzellenten Nina Stemme, sowie Ekaterina Gubanova als prächtig tönende Brangäne, lässt den Damen eindeutig den Vortritt. Unter den Herren ragt René Pape als “Admiral“ Marke hervor. Evgeny Nikitin (Kurwenal) tut sich schwer mit den Höhen seiner Partie. Stuart Skelton – der massige Titelheld braucht den ganzen 1. Akt, um zur nötigen stimmlichen Größe zu gelangen.

„in the pit“ – Sir Simon Rattle. Militante Optik dominiert im permanent flackrigen Radar-Schirm-Grün. Nicht eben das Gesehene erhellend, zu häufige Video-Bebilderungen in schwarz-weiß … 

 Merker-Kollege Johann Schwarz war in New York mit dabei (siehe Heft 9/2016). er hat sich das Live-Erlebnis nicht nehmen lassen. Meine Eindrücke hierorts basieren auf der Riesen-Leinwand im Saal und einer recht befriedigenden Ton-Anlage. Technisch irritierten atmosphärische Störungen die HD-Übertragungen (etwa wegen Hurrikan „Matthew“?). So gab es oft ruckeliges „Einfrieren vom Bild“, doch keinerlei Störung im synchronen Ton.    

Mariusz Treliński, Regisseur von heute, ist dem Zeitgeist verfallen und seinem „horror vacui“ – warum bebildert er bereits das „Tristan“-Vorspiel?! In unserer Zeit, wo Optik marktschreierisch dominant dem Hör-Sinn vorangestellt wird, – will oder kann man sich offenbar nicht mehr auf das persönliche „Kopf-Kino“ des Zuhörers verlassen? Man zwingt diesen, sich mit mehr oder meist weniger passenden willkürlichen Bebilderungen auseinander zu setzen. Wer da nicht mittut, ist selber schuld und im Auditorium hat man eben die Augen zu schließen, punktum! Diese immer mehr zutage tretende Schausteller-Buden-Mentalität – „treeeten Sie näher, kooommen Sie raaaan…“feierte auch da ihre gar nicht „fröhlichen Urständ‘ “. Im fest gebauten Bühnenbild von Boris Kudlicka wird man beinah ununterbrochen von mannigfaltigen Video-Projektionen überschüttet. Bartek Macias heißt der Täter – und der belästigt! Die Herren-Kostüme (Marek Adamski) sind, je nach Rang und Namen, fast immer dem militärischen Bereich zuzuordnen, sie sitzen perfekt maßgeschneidert samt glitzerndem Prunk der vielen Distinktionen. Normal, dass zeitlos Gegenwärtiges bei beiden Damen obligat ist.

Im 1. Akt befinden wir uns im Längsschnitt einer Militär-Schiffs-Architektur. In einem Raum mit langem Sofa liegt Isolde, in unruhigem Schlafe schlummernd. Tristan beäugt und belauscht sie, auf und ab wie schlafwandernd, er wirkt wie ein großer hungriger Bär. Ein prominent angeordneter , grünlich flackernder Radar-Schirm ist offenbar Symbol für ein technisches Hilfsmittel, zur Klarsicht auf die vorkommenden Personen – gar durch ihre schwer durchdringbaren nebulosen Seelenlandschaften? – Oder wofür steht das sonst?!

Nina Stemme, von allem Anfang an, verfügt über eine geballte Kraft ihrer stimmlichen und darstellerischen Mittel, die über „irdisches Maß“ hinaus ragen. Im Dialog mit dem hochfahrend frechen Kurwenal kommt Stemmes Isolde sogar derart in Rage, dass sie über ihre Grenzen geht und ihm gar ins Gesicht schlägt. Geradezu „wund“ spielt sie sich weiterhin mit ihrem total emotionellen Einsatz! So wenn das „große Kind Tristan“, als ihr Gegenüber bei der Unterredung über das Vergangene einfach nur dasteht und auf seine natürliche Hilflosigkeit gegenüber der stolzen und von ihm schwer gekränkten, ja beleidigten Frau setzt. Während sie ihm ihre Argumente entgegen schleudert „wagst du zu höhnen“, Rechenschaft und Sühne für die Blutschuld fordert, erwidert er nur stoisch gleichgültig – „…die ward gesühnt“!

 An diesen tapsig bärenhaften australischen Heldentenor als Herre Tristan, muss man sich erst gewöhnen. Erst als Stuart Skelton direkt zum „Sühnetrank“ geht, entwickelt er Format – da kommt der „Helde“ in Fahrt und gibt auch vokal Gas. Zuvor dürfte ihm die frühe (Matinee-)Stunde von 11 h Ortszeit doch nicht ganz gelegen gekommen sein. In der den 1. Akt kulminierenden „Heft“ und die vertauschten Tränke in ihren Händen, besonders spannend im Spiel Brangänes Verwirrung angesichts ihres Irrtums. Die vorbildlich phrasierende, wortdeutliche Gubanova ist später ebenso beispielhaft mit ihrem samtenen Mezzo im 2. Akt bei den von ihr beschworenen „Wacht“-Rufen.

In eben diesem Akt – kein nächtliches Jagen in Forst und Tann, – selbst wenn „Hörnerschall“ dies suggeriert. Wir sind bereits im Eisenzeit-Alter, wie das Bild zeigt – eine Art eiserner Pavillon stellt die Dekoration dar. Dabei unklar, ob sich diese Elemente vorerst auf Schiff oder auf Festland befinden? Wiederum geht durch jeden Akt als stehendes szenisches Element der grünlich zuckende Radar-Schirm! Für gar aufkommende Ahnungen von Meer und Land tun Wolken- und heftige Wasserwogen-Projektionen ein Übriges (in der Musik „wogt es ja auch?!). Mit Derartigem sollte man sich als Zuseher nicht aufhalten und lieber die Augen schließen, und sich nicht ablenken lassen durch Beliebigkeit der Bilder. Lieber das Entzücken genießen, anhörends der grenzenlosen Empathie einer Isolde vom Rang der Stemme. Da darf man bereits jetzt schon viel früher durch sie „ertrinken, versinken..“ – im Wunderreich der Nacht! Aus jeglicher Verzückung kann wohl jeder gerissen werden durch Kurwenals raustimmigen Warnruf „Rette dich Tristan!“, ausgeführt von Evgeny Nikitin.

Die Entdeckung des Paares und die Vorführung durch Melot vor dem „König“ – der hier in weißer festlicher Admirals-Uniform voller Distrinktionen erscheint, wird zum Höhepunkt des Auftritts von Markes Erscheinung. In René Pape manifestiert sich kein enttäuschter greiser Griesgram. Sein so stark empfundenes und zutiefst anrührend verletzliches Lamento „Dies, Tristan, mir…“ geht einem zu Herzen. Nicht eben förderlich, dass diese Anklage durch die kriegerische Gewandung von Personal in Tarn-Anzügen eine Dominanz von rigider Militär-Gerichtsbarkeit aufweist…

Im 3. Akt zu den klagenden Schalmeien-Tönen des Hirten durch das solistische Englischhorn, präsentiert sich als High-Tech-Spitalsbett das Siechen-Lager Tristans. Er wälzt sich delirierend, eine Knabenfigur erscheint leibhaftig als Halluzination des Todkranken, – sollte dies gar Klein-Tristan sein? Dieser geistert herum, besteigt das Bett des Moribunden, spielt mit einem brennendem Feuerzeug! Schon im 1.Akt hatte es wohl mehr als nur attributische Bedeutung, damals als Tristan auf dem Schiff damit Isolden nachspähte. Darauf eine merkwürdige Verwandlung des Schauplatzes. Man fragt sich: Erklärt dies das „Spiel mit dem Feuer“ und als seine Folge eine verkohlte Brand-Ruine, umgeben von ruinös niedergebrochenen Eisenteilen, etwa heutige Kriegs-Ruinen im Nahen Osten? Bereits ungeduldig von derartigen szenischen Ausreißern wird man schlussendlich Zeuge eines normalen Stück-Ablaufes und sämtlicher geordneter Auftritte aller Rollen-Vertreter ohne Irritationen bis hin zum prachtvoll erlebten finalen „Liebestod“. 

Sir Simons Gast-Dirigaten an der Wiener Staatsoper in den Jahren 2005, 2009 und 2015 anlässlich von „Parsifal“, „Tristan“ und dem „Ring“ war nicht eben unumstritten als Leiter von Opern-Musik und es gab etliche gewichtige Gegenstimmen um seine Dirigate. So meinten nicht wenige Kenner, Rattles Stärke liege vielmehr im Konzert-Bereich und deutlich weniger in der Koordination von Bühnenleben mit Sängern und Orchester! Bezeichnend ist ja, dass seine internationalen Opern-Auftritte marginal sind, gegenüber gestellt seinen viel häufigeren Konzert-Verpflichtungen.

Auch hier an der Metropolitan Opera wurde es bestätigt. Was eher von ihm in den Hintergrund rückte, waren orchestral „der große Atem“, der „große Bogen“ über einen ganzen Akt, und dergleichen Zusammenführendes, Überspannendes. Das haben sogar einige alte Herren unter den Kapellmeistern noch immer anzubieten. Mir schien, Sir Simon sei Klang-Magie einzelner schöner Stellen im MET-Orchester wichtiger gewesen! Das war so bei den Vorspielen aller 3 Akte, sowie auch beim quasi Verlöschen des Klanges und Isoldes im Liebes-Tod. 

Etliches blieb nach dieser Met-Übertragung im unklaren oder für mich nicht deutbar. Darauf passend ein bekanntes literarisches Zitat in neuem Zusammenhang:

 „Wir stehen selbst enttäuscht

und sehn betroffen,

Den Vorhang zu

– und viele Fragen offen“

                                                                     Norbert A. Weinberger

                                                                                                                                                         

 

Diese Seite drucken