Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

NEW YORK/ Wien/ „Die Met im Kino: AIDA

Zwischen Verklärung und Vulkanausbruch - sensationell

07.10.2018 | Oper

Bildergebnis für metropolitan opera aida netrebko rachvelishvili
Anna Netrebko und Anita Rachvelishvili. Foto: Marty Sohl/ Metopera

ZWISCHEN  VERKLÄRUNG UND  VULKANAUSBRUCH: VERDI’S SENSATIONS- „AIDA“ LIVE IM KINO (6.10.2018)

So ähnlich muss sich Giuseppe Verdi die  musikalische Realisation seiner wohl populärsten Oper “Aida“ vorgestellt haben: Anna Netrebko und Anita Rachvelishvili halten als Aida und Amneris genau die Balance zwischen Pathos und Intimität, die für Pharaonen-Tragödie nötig ist: sensationell! Stimmlich kann man den Wechsel zwischen lyrischer Verklärung und emotionalem Vulkanausbruch nicht besser realisieren. Die beiden setzen eine Tradition fort, die an die größten Aida-Serien mit Leontyne Price und Fiorenza Cossotto erinnert.

Grandiose Sensations-Spitzenleistungen allerdings ohne entsprechende „Gegenspieler“. Denn leider konnten die Männer nicht mithalten – vor allem Aleksandrs Antonenko als Radames war stark  überfordert (besonders in der Auftritts-Arie) und auch Quinn Kelsey als Amonasro oder Dmitry Belosselskiy als Ramphis, aber auch Ryan Speedo Green als König waren nur mittelmäßig. Dazu eine pausenreiche und zugleich über-monumentale Inszenierung von Sonja Friselli (Bühne Gianni Quaranta), die viele Umzüge liefert, unfreiwillig komisches Ballett (Alexei Ratmansky) aufbietet, ja sogar Pferde auf die Bühne bringt. Die alte MET läßt grüssen.

Aber was soll‘s: Anna Netrebko und Anita Rachvelishvili entschädigen für alles: schon in der ersten Arie „Ritorna vincitor“ demonstriert die russische Diva, dass die Aida derzeit wohl ihre beste Rolle ist; Dramatik wechselt in Lyrik, Empörung in Angst, Furcht in Hoffnung – die Seele als weites Land! Anna Netrebko demonstriert, was Belcanto im Sinne Verdi‘s bedeutet: höchste stimmliche Kunstfertigkeit und emotionale Schonungslosigkeit. Sogar Bild- und Tonstörungen werden vergessen! Und das gilt auch für das Duett zwischen Aida und Amneris: die Raffiniertheit, mit der Amneris das Liebesgeständnis ihrer Rivalin entlockt, macht die Georgierin zur gleichwertigen Partnerin: eine Psychokrimi, der auch die Emotionen der Königstochter glaubhaft vermittelt.

Dann der Triumph-Akt: jetzt schlägt der Dirigent zu, der bis dahin wenig Initiative vermittelte. Nicola Luisiotti verstärkt mit Chor und Orchester der Metropolitan Opera die Cinemascope-Wirkung dieser Vorstellung, die erneut von Aida und Amneris angeführt wurde. Zwei Diven von heute übersingen die riesigen Menschenmassen auf der Bühne – und doch siegen die lyrische Momente, in denen die Zeit still zu stehen scheint.

Ganz grandios dann der Nilakt: zunächst die „azurne Bläue“: so schwebend, so überirdisch hat man diese Arie noch selten gehört. Anna Netrebko verfügt nicht nur über eine stupende Technik, sie hat  offenbar auch keine Nerven…Nach diesem „Wett-Singen“ im Triumph-Marsch eine Nilarie mit Mozart-Ton, einzigartig! Doch dann wieder die eruptiven Momente. Im Duett mit dem Vater – dem zu biederen US-Bariton Qinn Kelsey- spielt Anna Netrebko die Charakterzüge von Lady Macbeth aus: Vaterlandsliebe, Amour fou und Befreiungs-Kalkül. Und so stürzt sie sich auch in das große Duett mit dem Tenor: der lettische Tenor bleibt unangenehm überfordert, aber Aida kämpft nicht nur um ihr eigenes Glück. Ein weiterer Höhepunkt, die Gerichtsszene und der vergebliche Kampf von Amneris gegen das drohende Todesurteil. Die Georgische Mezzosopranistin zieht nun alle Register ihrer reichhaltigen vokalen Möglichkeiten: die Stimme ist groß und MET-füllend, die Tiefe erreicht Simionato-Format und die Höhen, die mitunter etwas scharf klingen, erfüllen den gewünschten Überraschungs-Effekt. Zuletzt die Sterbeszene: Antonenko versucht, sich der Lyrik seiner Partnerin anzupassen; und siehe da: das unangenehme Vibrato wird geringer, das Schluss-Duett wird seine Ehrenrettung.

Dennoch: beim Schluss-Applaus dominieren die beiden Stars des Abends: beim Erscheinen von Anna Netrebko und Anita Rachvelishvili explodiert das Publikum wie bei einem Vulkanausbruch. Unausdenkbar wenn die beiden Stars gleichwertige Partner gehabt hätten!

Peter Dusek

 

Diese Seite drucken