New York: „Gala: 50 Years At Lincoln Center“ – Metropolitan Opera 7.5.2015
Kein Opernhaus der Welt weiß Jubiläen so glanzvoll zu feiern wie die Metropolitan Opera. Wer erinnert sich nicht gerne zurück an die glanzvolle Centennial-Gala anlässlich des 100jährigen Bestehens der Opernkompanie im Oktober 1983, die auch weltweit im Fernsehen übertragen wurde und glücklicherweise in der Zwischenzeit auf DVD veröffentlicht wurde. Niemals zuvor oder auch danach war eine derart große Anzahl von Stars auf einer Opernbühne versammelt wie damals. Aber auch in der laufenden Saison gibt es ein großes Jubiläum zu feiern. Vor 50 Jahren übersiedelte die Operngesellschaft in das neue Opernhaus im Lincoln Center. Grund genug, um auch zum Ende dieser Spielzeit mit einer großen Galaveranstaltung daran zu erinnern. Die Eintrittskarten (ohne Galadinner) kosteten bis zu $ 1.950! In einem Anfall von Wahnsinn leistete ich mir eine Karte für $ 950 und flog für zehn Tage nach New York. Nachdem ich zuvor schon fünf ausgezeichnete Opernvorstellungen an der MET sowie eine sensationelle Musical-Produktion im Shubert-Theatre gesehen hatte, folgte zum Abschluss meines New York-Aufenthaltes die letztlich dann doch noch ausverkaufte Gala.
Noch vor Beginn konnte man nach dem Betreten des Zuschauerraumes auf eine Leinwand projiziert die Pläne für das neue Opernhaus sehen. Es war sehr interessant nicht nur die Ansicht des tatsächlich realisierten Planes sondern auch all die verworfenen Entwürfe an den verschiedensten Standorten in New York zu sehen. Dann begann die fünfstündige Galaveranstaltung.
Die Programmauswahl sollte an unvergessliche Momente in der Aufführungsgeschichte des traditionsbewussten Hauses erinnern. Der Bühnenbildner Julian Crouch hat gemeinsam mit einem Projektionsteam namens 59 Productions, dem Kostümbildner Kevin Pollard und dem Lichtdesigner Brian MacDevitt eine eindrucksvolle Bühnenshow geboten. Mithilfe modernster Animationstechnik konnte so unter Beiziehung von nur ganz wenigen realen Versatzstücken für jede Arie bzw. jede Opernszene ein eigenes Bühnenbild kreiert werden, manche gerieten ziemlich einfach, manche jedoch geradezu atemberaubend schön, wobei man in den meisten Fällen Anleihen bei berühmten Inszenierungen der MET-Geschichte genommen hat. Die meistens Sänger absolvierten ihre Auftritte in Kostümen, nur in wenigen Einzelfällen wurde im Smoking bzw. Abendkleid gesungen.
Zu Beginn sah man auf die Leinwand projiziert nur die Silhouette von Manhattan. Die neue MET steht ja genau dort, wo Teile der Filmversion von Bernsteins „West Side Story“ gedreht wurden. Welche Musik hätte wohl besser für den Beginn der Gala gepasst, als die Ouvertüre zur Filmversion von Bernsteins „West Side Story“? Am Pult stand der designierte Chefdirigent der Metropolitan Opera, Yannick Nézet-Séguin, der den ersten Teil des Abends begleitete. Und während dieser musikalischen Einleitung wurden Bilder eingeblendet vom Bau des neuen Opernhauses. Eröffnet wurde das Haus am 16. September 1966 mit der Uraufführung der Oper „Antony and Cleopatra“ von Samuel Barber mit Leontyne Price und Justino Diaz in den Titelpartien. In einer Videoeinblendung erinnerte sich die inzwischen 90jährige Leontyne Price an diesen Abend. Als sie während des Interviews ganz plötzlich den Beginn der Arie der Cleopatra anstimmte, war man fassungslos über die Tatsache, dass ihre Stimme noch immer wunderschön und unverbraucht klingt. Folgerichtig folgte als nächstes ein Ausschnitt aus dieser Oper, gesungen vom stimmkräftigen Chor der Metropolitan Opera, einstudiert von Donald Palumbo. Den Reigen der Gesangssolisten eröffnete Plácido Domingo mit „Nemico della patria“, der Arie des Gérard aus „Andrea Chénier“ von Umberto Giordano. Die Schönheit seiner Stimme ist ungebrochen. Natürlich sang er diese Arie als Tenor, aber nicht wenige Bariton-Kollegen, auch viel jüngere, werden ihn um diese Gesangsleistung beneiden. Nach der Arie ließ es sich Domingo nicht nehmen sich hinzuknien und mit der Hand den Boden der Bühne zu berühren. Danach folgten die Arie des Rodolfo aus Verdis „Luisa Miller“, mit schönem Legato vorgetragen von Piotr Beczala, und die Arie des Grafen aus Mozarts „Le nozze di Figaro“, großartig gesungen und gestaltet von Michael Volle. Danach gab es einen Wechsel am Pult, Marco Armiliato übernahm die nächsten Opernausschnitte, zunächst das Duett Norina – Malatesta aus „Don Pasquale“ mit der bezaubernden Pretty Yende, die leider noch nie an der Wiener Staatsoper aufgetreten ist, und dem polnischen Bariton Mariusz Kwiecien, gefolgt von einem lupenrein gesungenen (aber wenig beeindruckenden) „Vissi d’arte“ von Kristine Opolais. Die Animationstechnik begeisterte total, als sich Scarpias Arbeitszimmer im Palazzo Farnese in nur wenigen Sekunden in den Kreml verwandelte, wo dann René Pape großartig die Wahnsinnsszene des Boris Godunow gestaltete. Und in nur wenigen Augenblicken verwandelte sich der Kreml in eine Pariser Dachkammer. Der Technik des Hauses kann man zu dieser gelungenen Show nur gratulieren. Der zweite Teil des ersten Bildes aus „La Bohème“, nun wieder mit Nézet-Séguin am Pult, bildete einen der Höhepunkte der Gala. Joseph Calleja, der schon seit vier Jahren nicht mehr an der Wiener Staatsoper aufgetreten ist, war in Bestform und protzte mit seinen strahlenden Höhen in seiner Arie und im anschließenden Duett mit Mimi, die von Sonya Yoncheva mit vollem, rundem Sopran gesungen wurde. Selbstverständlich sang Calleja am Ende des Duetts gemeinsam mit Yoncheva das hohe C. Nachdem der Jubel verklungen war, kam General Manager Peter Gelb persönlich auf die Bühne, um einen Stargast anzukündigen, der nicht auf dem Programm stand. Dmitri Hvorostovsky ist gekommen, um die Arie des Rigoletto („Cortigiani vil razza dannata“) zu singen. Das war wohl der berührendste Moment der Gala, als das Publikum laut aufschreiend von den Sitzen aufsprang und Hvorostovsky mit Standing Ovations begrüßte. Die Umstände seiner Krankheit gebieten es jedoch seine Gesangsleistung nicht zu beurteilen. Jeder im Saal freute sich einfach, dass es dem sibirischen Bariton gesundheitlich möglich war nach New York zu kommen und an der großen Feier seines Stammhauses (er sang hier immerhin schon 182 Vorstellungen) teilnehmen zu können. Danach folgte die Arie der Charlotte aus Massenets „Werther“, überirdisch schön gesungen von Joyce DiDonato, die unverzeihlicher weise bis auf einen einzigen Abend als Rosina im „Barbier von Sevilla“ im Jahr 2009 bis heute keine weitere Opernvorstellung mehr an der Wiener Staatsoper gesungen hat. Bevor Michael Volle die Auftrittsarie des Papageno gesungen hat, wurde zuvor kurz ein Interview mit Marc Chagall gezeigt, der ja nicht nur in der ersten Spielzeit die „Zauberflöte“ ausgestattet hat, sondern auch die berühmten Wandgemälde in der neuen MET geschaffen hat. In diesem Video erklärte er u.a., wo er den damaligen General Manager Rudolf Bing in einem dieser Gemälde verewigt hat. Danach glänzte Matthew Polenzani als Énée in dem Duett „Nuit d’ivresse“ aus „Les Troyens“ von Berlioz an der Seite von Susan Graham als Didon mit wunderschönen Piani und herrlicher Phrasierung. Bisher hatte er ja in dieser Oper nur den Iopas gesungen; die ganze Partie des Énée wäre aber für ihn garantiert zu dramatisch. Dieses Duett sowie die nächsten Musiknummern wurden wieder von Marco Armiliato geleitet. Dolora Zajick erinnerte mit der Arie der Principessa di Bouillon aus „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea daran, dass sie eine der besten dramatischen Mezzosoprane der letzten 30 Jahre war. Leider ist sie seit ihrer letzten fulminanten Santuzza im Jahr 2010 nicht mehr an der Wiener Staatsoper aufgetreten. In einem kurzen Video wurde der Spatenstich zum Bau des neuen Opernhauses (1959) durch den damaligen amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower gezeigt. Bevor das Publikum nach zweieinhalb Stunden in die Pause geschickt wurde, folgten noch zwei absolute Höhepunkte des Abends. Nachdem Javier Camarena neun strahlend schöne hohe C’s in der Arie des Tonio aus Donizettis „La Fille du Régiment“ gesungen hatte, tobte das Haus, und dann folgte, begleitet wieder von Nézet-Séguin, noch die Auftrittsarie der Lady Macbeth, fulminant interpretiert von Anna Netrebko. Wann wird sie diese Partie endlich auch an der Wiener Staatsoper singen?
In der Pause hatte ich das große Vergnügen mit Justino Díaz sprechen zu können, der in der Eröffnungsvorstellung des neuen Hauses der Partner von Leontyne Price gewesen ist, die leider nicht anwesend war. Auch sonst konnte man den einen oder anderen MET-Star aus vergangenen Zeiten entdecken. Ich selbst habe noch Martina Arroyo gesehen, angeblich waren auch noch Lucine Amara, Richard Bonynge, Loretta di Franco, Mignon Dunn, Rosalind Elias, John Macurdy, Sherrill Milnes, George Shirley und Teresa Stratas anwesend.
Als nach der Pause zum Einzug der Gäste aus dem „Tannhäuser“, gesungen vom Chor der Metropolitan Opera mit Nézet-Séguin am Pult, Bilder vom Abriss des alten Opernhauses gezeigt wurden, wird wohl möglicherweise bei so manchem älteren Besucher der MET etwas Wehmut aufgekommen sein. Dann folgte eine Videoeinblendung, in der die Geschichte über die Entstehung des Designs der einmaligen Kristallluster der MET erzählt wurde. Die Tochter des Designers Tadeusz Leski erzählte, dass kurz vor einer Besprechung mit John D. Rockefeller, dem Hauptfinanzier des neuen Hauses, beim Zeichnen mit weißer Tinte Farbkleckse auf die Pläne für die Innenräume gespritzt sind. Da keine Zeit mehr war neue Pläne zu zeichnen, hat Leski einfach weiße Linien zu den Farbklecksen dazu gemalt und erklärt, dass sei das Design für die Luster. Rockefeller war begeistert und so entstand das einmalige Design der Kristallluster nur durch einen „Unfall“. (Wir Österreicher dürfen ja ein bisschen stolz darauf sein, dass diese „Chandeliers“ von der Firma Lobmeyr aus Österreich kommen.) Dann folgte das Duett „Bess, you is my woman now“ aus „Porgy and Bess“ mit Pretty Yende, die wunderschön sang (aber die ganze Partie wird sicher noch zu dramatisch für ihre Stimme sein), und dem warmtimbrierten Bariton Eric Owens, der vor zwei Jahren zwar an der Wiener Staatsoper als Alberich angekündigt war, dann aber leider doch nicht gesungen hat (und in der Zwischenzeit auch schon zum Wotan aufgestiegen ist). Einen kleinen Vorgeschmack auf ihr Rollendebüt in der nächsten Spielzeit als Dalila gab Elīna Garanča mit der schön gesungenen Arie „Mon cœur s’ouvre à ta voix“. Danach folgte das Duett König Philipp – Großinquisitor aus Verdis „Don Carlo“ mit Günther Groissböck und dem MET-Veteranen James Morris, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag gefeiert hat und noch immer stimmgewaltig als Großinquisitor beeindruckt. So schönstimmig wie von Groissböck hört man den König Philipp auch nicht alle Tage gesungen, ein großes Versprechen für die Zukunft. Es ist schön, dass der österreichische Bassist wenigstens an der MET geschätzt wird. Es grenzt geradezu an ein Wunder, dass es bei einer so großen Anzahl an Künstlern nur eine einzige krankheitsbedingte Absage gegeben hat (Rolando Villazón wurde ja schon vorher aus dem Programm genommen.) Statt dem erkrankten Juan Diego Flórez sang Vittorio Grigolo die Arie des Roméo aus „Roméo et Juliette“ von Gounod. Der italienische Tenor hat offensichtlich in den letzten Jahren sehr viel an Technik hinzugelernt, seine Phrasierung ist wunderschön, sein Timbre ohnehin, nur seine strahlenden Spitzentöne wirken manchmal „aufgesetzt“. Aber er begeisterte wirklich mit seinem leidenschaftlichen Einsatz vor einem projizierten Sternenhimmel. Diese Arie sowie die beiden nächsten Musiknummern wurden wieder von Marco Armiliato dirigiert. Diana Damrau brillierte mit Violettas „É strano … Sempre libera“. Sie sang die Arie aus Verdis „La Traviata“ so hervorragend und auch berührend, dass man ihr gerne das missglückte hohe Es am Ende verzieh. Hinter der Bühne ergänzte Matthew Polenzani als Alfredo. Die große amerikanische Mezzosopranistin Stephanie Blythe, deren Weg leider bis jetzt auch noch nie nach Wien geführt hat, begeisterte mit ihrer runden, satten, dunklen Stimme als Cornelia in einem Duett aus Händels „Giulio Cesare“ mit David Daniels, der nach wie vor eine der schönst timbrierten Countertenor-Stimmen besitzt, als Sesto. Yannick Nézet-Séguin leitete die beiden nächsten Musiknummern. Zunächst kämpfte Željko Lučić mit dem Credo des Jago aus Verdis „Otello“ ein wenig gegen die Lautstärke des großen Orchesters an, begeisterte aber mit bombigen Höhen. Mit einem schönen Ausschnitt aus „The Tempest“ von Thomas Adès erinnerte die MET an die vielen Uraufführungen, die seit Eröffnung des Hauses hier stattgefunden haben. Isabel Leonard und Ben Bliss, beide mit wunderschönen lyrischen Stimmen gesegnet, sangen das Duett Miranda – Ferdinand, der kurze Einwurf des Prospero kam von Dwayne Croft. Während der Orchestergraben ein wenig umgebaut werden musste, zeigte ein Video James Levine, der von 1976 bis 2016 Chefdirigent der MET war, in Interviews und bei der Arbeit. Danach erschien er, vom Publikum mit Standing Ovations begrüßt, im Rollstuhl am Pult, um den letzten Teil der Gala zu dirigieren. Zunächst sang Vittorio Grigolo „É lucevan le stelle“ aus Puccinis „Tosca“ und bestätigte den positiven Eindruck, den er schon zuvor bei seinem Roméo hinterlassen hatte. Er begeisterte mit seinen schönen Piani zu Beginn, seinem leidenschaftlichem Ausdruck im Mittelteil und seiner erschütternden Verzweiflung gegen Ende. Danach folgte ein wunderschön auf Linie gesungenes „Porgi amor“ aus „Le nozze di Figaro“. Renée Fleming hat leider in den letzten 15 Jahren keine Mozart-Opern mehr gesungen, nach dieser Arie bedauerte man das sehr. Anschließend sang sie noch das Duett Thaïs – Athanaël aus Massenets „Thaïs“. Da kamen dann schöne Erinnerungen hoch an die traumhafte Aufführung an der MET im Jahr 2008 mit ihr und Thomas Hampson als Athanaël. Diesmal war der unermüdliche Plácido Domingo ihr Partner. Im Finale von Verdis Oper „I Lombardi alla prima crociata“ vereinigten sich drei wundervolle Stimmen, Angela Meade, deren glänzender, dramatischer Sopran sich ganz besonders für die frühen Verdi-Opern eignet, dem großartigen, bei uns leider noch viel zu wenig bekannten Tenor Michael Fabiano (2012 sang er im Wiener Konzerthaus in Elgars Oratorium „The Dream of Gerontius“) und Günther Groissböck, das wundervolle Violin-Solo spielte David Chan. Eine wahre Explosion an Koloraturen und eingelegten Verzierungen präsentierte anschließend Joyce DiDonato mit der Kavatine „Bel raggio lusinghier“ aus der Oper „Semiramide“ von Rossini. Der letzte Soloauftritt gehörte Anna Netrebko. Vor einem erblühenden Kirschbaum sang sie einfach himmlisch die Arie „Un bel di“ aus Puccinis „Madama Butterfly“. Mit schöner breiter Mittellage, strahlenden Höhen und starkem Ausdruck stimmte da einfach alles. Hoffentlich wird sie diese Partie auch bald auf der Bühne singen. Nach der Arie verlor der Kirschbaum seine Blüten, diese Szene war einfach wunderschön. So wie „Antony and Cleopatra“ spielt auch Verdis „Aida“ in Ägypten. Zum Schluss kehrten wir also wieder an den Nil zurück. Mit sensationeller Animationstechnik entstand in wenigen Sekunden eine herrliche Postkartenidylle, allein das Entstehen der Tempelfiguren war atemberaubend. Im Finale des 2. Aktes sangen Latonia Moore die Aida, Dolora Zajick die Amneris, Yusif Eyvazov den Radamès, Željko Lučić den Amonsaro, James Morris den Ramfis und Sava Vemić den König. Als sich am Ende die Bühne aus dem alten Ägypten in die Metropolitan Opera mit dem Insert „50 Years At Lincoln Center“ verwandelte, alle Mitwirkenden der Gala noch einmal auf die Bühne kamen und sich aus Kanonen ein goldener Konfettiregen über alle Anwesenden ergoss, kannte der Jubel nach mehr als fünf Stunden keine Grenzen mehr.
In keinem anderen Opernhaus wäre eine ähnlich glanzvolle Gala auch nur denkbar. Die MET hat wieder einmal bewiesen, dass sie nach wie vor das beste Opernhaus der Welt ist. Happy Birthday und alles Gute für die nächsten 50 Jahre im Lincoln Center.
Walter Nowotny