MET New York/Cineplex Münster
Tristan und Isolde – 8. Oktober 2016 – intensives musikalisches Erlebnis
Copyright: Metopera/ Ken Howard
Aus Anlaß des 50-jährigen Bestehens der heutigen Metropolitan Opera New York neu inszeniert war vergangenen Samstag als 100. live-übertragung in Kinos weltweit „Tristan und Isolde“ zu erleben, eine Koproduktion mit dem Festspielhaus Baden-Baden, der Polnischen National Oper und des Chinesischen Nationalen Centrums der ausführenden Künste Beijing.
Obwohl er das ganze Werk als „Handlung“ bezeichnete, setzte Richard Wagner bei „Tristan und Isolde“ vor die eigentliche Handlung ein Vorspiel, von ihm „Einleitung“ genannt, das die beiden melodischen Motive mit harmonischer und instrumentaler Entwicklung zu einer riesigen dynamischen Steigerung und nachfolgendem Spannungsrückgang durchführt. Durch die chromatische Tonfolge gleich zu Beginn ergibt sich der sogenannte „Tristan“ – Akkord . (wohl ausgehend vom ersten Ton a ein verminderter Septimenakkord gefolgt von einem Dominantseptimenakkord) Dies machte das Orchester der Metropolitan-Opera unter Leitung von Simon Rattle in der Aufführung – der 459. an der MET – transparent und doch emotional mitreissend hörbar, ohne das Tempo allzu langsam zu nehmen.
Allerdings wurden viele Opernbesucher von diesem Erlebnis abgelenkt, weil Regisseur Mariusz Trelíński diese geniale Einleitung nur als Begleitmusik für einen sich völlig gleichmässig drehenden Radarschirm mißbrauchte, in dem dann durch hohe Wellen fahrende Kriegsschiffe oder auch der junge Tristan auftauchten. (Videos Bartec Macias ) Genauso wurde mit den Vorspielen zum zweiten und dritten Aufzug verfahren.
Deshalb war bestimmend für das grosse Erlebnis des Abends die musikalische Seite und hier insbesondere das Orchester. In Tempo und Dynamik wurden Ruhepunkte und grosse Steigerungen, passend auch zur Erotik, der Handlung erreicht, ohne – jedenfalls im Kino – die Sänger zu übertönen. Die Verflechtung der Themen und die variable Instrumentation wurden deutlich. Zu bewundern, sogar zu geniessen, waren alle Solostellen einzelner Instrumente und Mischklänge mehrerer Instrumente. Als Beispiel seien die p-geblasenen Hörner und danach die Akkorde des „Laubes säuselnd Getön“ zu Beginn des zweiten Aufzugs genannt. Die Variabilität im Tempo und Verdeutlichung einzelner Soli führte allerdings manchmal auch zu sehr langsamen Tempi. Bei den langen „Hab-Acht“ – Rufen im zweiten Aufzug zeigte die mit wohlklingendem Mezzo stimmlich stets sehr präsente Ekaterina Gubanova als Brangäne die Kunst ihres langen Atems. Ihre ganze Partie hindurch war sie so weit möglich textverständlich.
Ähnliches gilt für den in der Rolle des König Marke erfahrenen René Pape, der mit profundem Baß in seinem Klagegesang grosse dynamische Abwechslung zwischen p (dies wundervolle Weib) bis ff (warum mir diese Hölle?) schaffte.
Copyright: Metopera/ Ken Howard
Als Isolde beherrschte Nina Stemme begeisternd alle Nuancen ihrer Partie, besonders natürlich in „ihrem“ ersten Aufzug durch Spiel und verschiedene Stimmfärbung zwischen Verzweiflung, Ironie, Rachegefühlen und Liebe. Sie traf perfekt alle Töne innerhalb des großen Stimmumfangs ihrer Partie bis hin zu strahlenden Spitzentönen.
Eine ganz großartige Leistung zeigte auch Stuart Skelton als Tristan – Opernfreunden aus Westfalen vielleicht noch erinnerlich als Siegmund im halbszenischen „Ring“ unter Hans Wallat im Konzerthaus Dortmund. Mit hell timbrierten Tenor sang er lange Legato-Bögen im grossen Duett mit Isolde im zweiten Aufzug, das durch den heute häufigen Strich verkürzt wurde. Genügend stimmliche Kraftreserven blieben für die Fieberausbrüche im dritten Aufzug auch gegenüber dem grossen Orchester und auch mit eindrucksvollem Spiel. Dabei blieben diese immer Gesang, glitten nie ab ins Schreien und er war so weit wie möglich textverständlich.
Mit kräftiger aber wenig flexibler Stimme sang Evgeny Nikitin den treuen Kurwenal, dafür war seine Beherrschung des deutschen Textes gelungen. (Es gab einen „German Coach)
Gut besetzt waren die Nebenrollen mit Neal Cooper als Melot, Alex Richardson als Hirt, etwas weniger gut David Crawford als Steuermann und noch weniger Tony Stevenson als Stimme des Seemanns im ersten Aufzug.
Die kurzen Einwürfe des Chors (Donald Palumbo) wurden hinter der Bühne gesungen, aber trotzdem nicht immer mit dem Orchester zusammen.
Für die szenische Seite der Aufführung waren auch dank schauspielerischer Fähigkeiten der Sänger Szenen zwischen den einzelnen Personen häufig gelungen.
Copyright: Metopera/ Ken Howard
Als Bühne wählte Boris Kudlička verschiedene Räumlichkeiten eines Drei-Decker-Kriegsschiffes, im ersten Aufzug Isoldes Raum mit Sofa weit unten, durch Treppen verbunden mit der Tristans Kommandositz ganz oben, im zweiten Aufzug für das Treffen der Liebenden einen Ausguck ganz oben, für das Liebesduett ein Munitionslager mit grossen Ventilatoren im Hintergrund diese von hinten beleuchtet (Licht Marc Heinz) – nur keine falsche Romantik? Der dritte Aufzug spielte dann auf der Krankenstation – Tristan zunächst gestärkt durch eine Infusion,
Die Kostüme waren entsprechend Uniformen verschiedener Dienstgrade (Marek Adamski) mit König Marke in weisser Gala-Uniform.So gab es auch kein Schwert, sondern man benutzte eine Pistole für Mord Tristan an Morold) und Verwundung. Wohl um die kosmische Dimension des Geschehens hervorzuheben, wurden die Schauplätze immer wieder durch die vom Beginn her bekannten Videos von Wellen geweitet.
Zum von Pedro R. Díaz so klagend und tongenau geblasenen Solo des Englisch-Horns zu Beginn des dritten Aufzugs erschien Tristan als Junge am Bett seines Vaters, überflüssig wie meistens zusätzliche Personen, aber heute grosse Mode, trotzdem gut gespielt von Jonathan O’Reilly. Es sollte wohl Tristans durch die Liebe zu Isolde verkorkstes Leben als durch den Tod seines Vaters beeinflusst gezeigt werden.
Gut gelöst war der Kampf zwischen Marke, seinen Getreuen und Kurwenal kurz vor Ende des dritten Aufzugs, der nur durch Scheinwerfer angedeutet wurde.
„Ich brauch kein Gift ich sterb von selbst“ parodierte Nestroy Isoldes Liebestod, nicht so in dieser Aufführung, wo sich Isolde zu diesem Zweck die Pulsadern aufschnitt. Bei diesem in wundervollem p begonnenen und dann sich kontinuierlich gesteigerten Schlußgesang sah man Isolde neben dem tot sitzenden Tristan ganz rechts unten auf der Bühne, während der Rest von den bekannten Video-Wellen immer mehr ausgefüllt wurde, was ganz passend war.
Das Publikum in der fast ausverkauften MET – es gab noch wenige Karten zu USD 395 (!) – zeigte nach dem zweiten Aufzug durch laute Buh-Rufe wohl seine Abneigung gegenüber der Inszenierung, applaudierte nach Ende der Oper heftig und anhaltend mit Bravos für die Sänger der Hauptpartien und, wie schon nach den Pausen, für das Orchester und seinen Dirigenten.
Auch im Cineplex war der größte Teil der Plätze verkauft, es wurde nicht irgendwie gestört und es entstanden nach den Pausen auch keine Lücken!
Sigi Brockmann 10. Oktober 2016
Fotos: Ken Howard/METopera/clasartclassic