Cineplex-Kino Wien Mitte
MET IM KINO: “LA TRAVIATA“ MIT DAMRAU UND FLOREZ (15.12.2018)
Die Erwartungen waren hoch und wurden dennoch übertroffen. Das gilt zumindest für den Alfredo Germont dieser MET-Live Übertragung: Juan Diego Florez. Der peruanische Star-Tenor hat seine vorsichtige Repertoire-Erweiterung souverän angegangen – mit Giuseppe Verdi’s „La Traviata“ lässt er seine bisherigen Fach-Grenzen wirklich hinter sich (ebenso wie mit dem Rigoletto-Herzog oder dem Romeo in „Romeo et Juliette“). Ohne Versuchung, den Liebhaber der Kameliendame allzu dramatisch anzulegen. Der attraktive „Latin lover“ spielt alle seine Vorzüge aus, mit denen er bisher bei Rossini oder Donizetti aufwartete: er wirbt und „balzt“, er schmachtet und umgarnt das Objekt seiner großen Liebe. Die Stimme hat Schmelz und ist erfrischen „flexibel“, das Piano sitzt, die Spitzentöne strahlen. Ein Charmeur in jeder Phase! Zugleich hat er sich seinen bubenhaften Charme bewahrt. Ein Glücksfall der Opernbühne! Seine Violetta – Diana Damrau – kann da vor allem im ersten Akt nicht ganz mithalten. Sie ist zu neckisch und zu „aufgesetzt“. Für die große Arie ist die Stimme zu hell, das Timbre zu „gesund“. Aber dann – ab dem großen Duett mit dem Vater – holt sie auf, von Bild zu Bild wird sie deutsche Sopranistin dramatischer und in der Sterbeszene gestaltet sie „große Oper“. Dritter im Bunde ist der aus Hawai stammende „Nativ“ Quinn Kelsey. Er hat eine solide „mittlere“ zwanzigjährige US- Karriere hinter sich und macht aus der großen Arie das Beste. Das Timbre ist etwas „hohl“, die Höhenlage wird ohne allzu große Mühe gemeistert. Immerhin: man nimmt ihm seine spießige „Scheinmoral“ ab. Ein Biedermann durch und durch, seine Selbsterkenntnis kommt zu spät. Dieses Trio wird vorzüglich von Yannick Nézet-Séguin begleitet, der Chor und Orchester der Metropolitan zur Hochform anfeuert. Ach ja – da gibt es ja auch noch eine neue Inszenierung des Broadway-Routiniers Michael Mayer (Bühnenbild Christine Jones). Sie deutet „La Traviata“ – wie so oft – als Rückblende der sterbenden Violetta. Ein überladener Jugenstil-Einheits-Salon (der sich als funktional vielseitig erweist) – in der Mitte ein großes Bett! Auch bei den nicht unwitzigen Ballett-Szenen (Choreographie Lorin Latarro)! Warum die Met die grandiose Decker-Inszenierung aus Salzburg so rasch verworfen hat, scheint mir nicht erklärbar. Offensichtlich ist das Met-Publikum in punkto Regie noch konservativer als das Wiener. Da aber in der Oper „prima la musica“ gilt, war die Begeisterung – mit Recht – groß.
Peter Dusek