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NEW YORK/ Die Met im Kino: Hoffmanns Erzählungen – sensationell: Benjamin Bernheim

05.10.2024 | Oper international

Die MET im Kino:  (5.10.2024): HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

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Copyright: Metopera

Vor 15 Jahren feierte Les contes d’Hoffmann in der Inszenierung von Bartlett Sher Premiere an der Metropolitan Opera – damals noch mit Joseph Calleja in der Titelrolle und Anna Netrebko als Antonia. So manche(r) wird sich an eine Aufführung im Kino erinnern. Auf die große Leinwand kam die Produktion nun erneut, natürlich mit einer völlig neuen Besetzung. Jeder Akt spielt nicht nur zu einer bestimmten Zeit in Hoffmanns Leben, sondern auch in jeweils einer ganz eigenen Welt. Im Antonia-Akt befindet man sich in einer geradezu kafkaesken Atmosphäre. Auf der Bühne befinden sich lediglich ein Klavier und ein Stuhl als Requisiten. Umso opulenter wird es in den Akten von Olympia und Giulietta, die stark von so manchen Filmen Federico Fellinis inspiriert sind, und bei denen sich eine Vielzahl an Figuren wie Artisten, Tänzer sowie Statisten auf der Bühne befinden, die allesamt ständig in Bewegung und Interaktion miteinander sind.

Für die Titelrolle sicherte sich die MET niemand geringeren als den französischen Supertenor Benjamin Bernheim, der der führende Vertreter im Tenorfach der lyrisch-französischen Oper ist.  Der Hoffmann ist eine nicht nur schwer zu singende Partie, sie ist zudem sehr lang. Bernheim sorgte für Erstaunen – wie schon zuletzt in Salzburg – mit welcher Leichtigkeit er die Partie sang, die ja sehr hoch liegt und einem Tenor viel abverlangt. In der kräftezehrenden Partie hat man schon so manche Sänger gehört, denen spätestens im Giulietta-Akt die Stimmkraft ausging. Nicht so bei Bernheim, der nicht nur kontinuierlich sein hohes Niveau bis zum Schluss gehalten hat, sondern im Giulietta-Akt sich dann sogar noch steigern konnte. Dabei hatte er auch keinerlei Mühen mit der schwierigen Tessitura. So glänzte er selbst noch beim herausfordernden Oh Dieu, de quelle ivresse im Giulietta-Akt mit souveränen Spitzentönen. Bernheims Qualitäten kamen auch im Hoffmann – den er im Pauseninterview mit der Violetta in La traviata vergleicht, weil beide Partien für jeden Akt eine eigene Stimme brauchen –  bestens zur Geltung: Stimmpracht und eine hervorragende Technik unter Verwendung der Voix mixte, der perfekte französische Gesangsstil und die vielen Stimmfarben, die dem Sänger zu Verfügung stehen. In seinem Fach ist Bernheim derzeit sicher konkurrenzlos.

Aber auch bei den Damen gab es eine ganz besondere Gesangsleistung – und die kam von Erin Morley in Gestalt der Olympia. Im Grunde hat die Puppe, in die sich der rosa bebrillte Hoffmann so verliebt, nicht mehr zu singen als eine Arie. Aber welch eine Arie! Morley erregte Aufsehen, da sie sich diesmal in stimmliche Höhen katapultiert hat, die man auch bei einer Olympia nicht alle Tage zu hören bekommt. Bis zum hohen A hat sie sich hochgesungen, was ihr in der Presse und unter Opernfreunden sogar Vergleiche mit Natalie Dessay eingebracht hat, was Morley sicher besonders freuen wird. Zählt sie doch Dessay zu ihrem großen Olympia-Vorbild, wie sie in einem Video-Einspieler in einer Pause verriet. 

Weniger begeistern konnte Pretty Yende in der Partie der Antonia. In den diversen Rezensionen wurde sie als Schwachpunkt der Aufführung bezeichnet, ja, sogar von einer Fehlbesetzung war die Rede. So weit muss man nicht gehen. Aber es war nicht zu überhören, dass da nicht alles rund lief. Gelegentliche Intonationsprobleme waren zu hören, und die einst so klaren hohen Töne kamen nun mit mehr Anstrengung, weniger Kraft und dadurch mit so manch unschöner Färbung. In den Hoffmann-Antonia-Duetten wurde Yende von Bernheim deutlich an die Wand gesungen, als er nämlich in unzähligen Stimmfarben malte – Farben, die Yende nicht mal ansatzweise zur Verfügung standen. Vielleicht ist die Partie der Antonia einfach eine Nummer zu groß für sie. Steckt die Sängerin derzeit in einer stimmlichen Umbruchphase?

Von den drei Frauen in Hoffmanns Leben hat es die Giulietta immer am schwersten, hat sie doch hier nicht mal eine Arie. Wenigstens hat sie die Barcarole. Und im Gegensatz zur puppenhaften Olympia und zur bezaubernden Antonia ist die Giulietta eine wenig sympathische Figur und Clementine Margaine machte mit ihrem üppigen Mezzo wohl das beste aus der Rolle was man da so herausholen kann. Als Figur selbst war sie wenig beeindruckend. Da änderte auch das voluminöse Rokokokostüm, das sie trug, nichts daran.

Bedeutend mehr Eindruck hinterließ da schon die Rolle des Nicklausse, der in dieser Inszenierung deutlich aufgewertet wurde und der bei Sher weniger Kumpel und Begleiter von Hoffmann ist, sondern eher als Helfershelfer für die vier Bösewichte agiert. Diesem Nicklausse ist mehr daran gelegen Hoffmann von seinen Frauen fernzuhalten und ihn dafür mehr zum Schreiben zu bringen. Vasilisa Berzhanskaya fiel bei ihrem MET-Debüt mit ihrer doch eher dramatisch klingenden dunklen Mezzosopranstimme auf, die für die Hosenrolle des Nicklausse eigentlich zu schwer ist, was besonders in den höheren Registern deutlich wurde.

In den Partien der vier Bösewichter war Christian Van Horn das, was man im Englischen so schön „serviceable“ nennt. Ja, er hat das solide gesungen, aber auch nicht mehr. Der Stimme fehlt einfach das ganz Dunkle, das Dämonische. Bei einem Dr. Mirakel beispielsweise, der die tote Mutter Antonias heraufbeschwört, muss einem einfach auch ein wenig die Gänsehaut kommen.

Überraschend bei dieser Oper war die Wahl des Dirigenten. Marco Armiliato – der an diesem Abend, wie man erfuhr, zum 500. Mal am Dirigentenpult der MET stand – ist nicht unbedingt der Mann fürs Französische Fach. Ja, und nicht alles war da so richtig Französisch was da aus dem Orchestergraben erklang. Das ein oder andere Mal fehlte es doch an französischem Sentiment oder an frankophoner Raffinesse. Aber über weite Strecken hatte Armiliato die Partitur gut im Griff und war dem Werk als auch den Sängern auf der Bühne ein guter Begleiter.

Am Ende der Vorstellung feierte ein begeistertes Publikum – auch im fast vollen Kinosaal – die Künstler, wobei Bernheim und Morley am lautesten bejubelt wurden.

 

Lukas Link

 

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