Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

NEW YORK/ Die Met im Kino/ Cineplex Münster: DON GIOVANNI

23.10.2016 | Oper

 MET New York/Cineples Münster am 22. Oktober 2016: „Don Giovanni“ – genau nach  Mozart und Da Ponte!

ghu
Fotos Marty Sohl /MET-opera /clasartclassic

Musikfreunde sind aus Erfahrung skeptisch, wenn Schauspielregisseure sich  der Opernregie zuwenden. Manche inszenieren  nur ihre Vorstellung vom manchmal „modernisierten“ Inhalt der Oper , manchmal nur den Text, vertrauen wenig der Musik, weil diese  wegen der gegenüber gesprochenem Text  längeren Dauer der Darstellung von Emotionen eher stört, sodaß dauernd irgendeine Aktion auf der Bühne stattfinden muß. Ganz anders verfuhr der Brite Michael Grandage. Er ist ein mit vielen Preisen ausgezeichneter Film- und Schauspielregisseur, der 2010 mit „Madama Butterfly“ seine erste Oper inszenierte. Danach kam 2011 an der New Yorker MET von Wolfgang Amadè Mozart  „Don Giovanni“ auf den Text von Lorenzo da Ponte. Letztere wurde in dieser Saison wiederaufgenommen und am Samstag  als 556. Aufführung an der MET in viele Kinos weltweit übertragen.

Zwar sah man eine kahle Bühne , mit wenigen Requisiten wie etwa einem langen Tisch für Giovannis letzte Mahlzeit, die durch eine eher verkommene aus Türen gebildete Gerüstwand  nach hinten abgeschlossen wurde – nicht ganz selten heute,  aber gut für die Akustik.Diese konnte in der Mitte geöffnet werden, um Platz für grössere Räume zu schaffen,(Bühne und die ungefähr der Entstehungszeit der Oper nachempfundenen Kostüme Christopher Oram) In diesen Türen waren in der Friedhofsszene etwa die Statue des Komturs  – natürlich im Nebel – und andere Statuen Verstorbener zu sehen. In diesem Rahmen spielte sich die Handlung so ab, wie wir sie als von Mozart und Da Ponte gewünscht kennen, ohne irgendwelche Überraschungen. Die Frage, was vor Beginn der Oper zwischen Donna Anna und Don Giovanni passierte, blieb offen. Erotische Beziehungen zwischen den Hauptpersonen wurden nur angedeutet. Zum Ball am Ende des ersten Aktes sah man  auf der Bühne die drei gleichzeitig verschiedenartige Tänze spielenden Orchester , zu denen das Ballett (Ben Wright)  entsprechend unterschiedliche  Tanzbewegungen ausführte.  Don Giovanni versank zum Schluß in lodernden Flammen, es folgte das Schluß-Sextett. Nach diesem schritten alle in eine hellblaue Zukunft (Licht Paule Constable). Unfreiwillige Komik erzeugte die Tatsache, daß Don Giovanni und Leporello von so unterschiedlicher Körpergrösse und Figur waren, daß Donna Elvira schon total blind vor Liebe gewesen sein mußte, um die beiden zu verwechseln. (Leitung der Wiederaufnahme Louisa Muller)

Aber auch sonst sorgte Adam Plachetka von der Wiener Staatsoper  als Leporello für den „giocoso“ – Teil der Oper mit übertrieben komischem Spiel, dazu passender Stimmfärbung in Arien und flinkem parlando .

Ganz erfreulich verlief die gesamte musikalische Seite der Aufführung. Von seiner Krankheit stimmlich und physisch genesen gelangen Simon Keenlyside alle Facetten der Titelfigur bewundernswert. Verführerisches Timbre hörte man im Duett mit Zerlina (La ci darem) und im Ständchen. Hier konnte man mit leichter Abweichung von dessen Text von einer „voce dolce piu del mielle“ (honigüssen Stimme) sprechen.(Mandoline Joyce Rasmussen Balint) Überschäumende Lebenslust aber auch Hast, etwas davon zu verpassen, sprachen aus seiner Presto-Arie „Finch`han dal vino“ (Champagner-Arie) Zum dramatischen Schluß steigerte er sich noch schauspielerisch und stimmlich  zur Darstellung stolzer Hybris.

 

Alle drei Damen, mit denen Giovanni in der Oper so seine Schwierigkeiten hat, sangen auf ganz hohem Niveau. Als Donna Elvira glänzte Malim Byström mit warmen Timbre, genauen Koloraturen bis zu Spitzentönen. Ihre zweite grosse Arie „Mi tradi“, in der sie sich gestehen mußte, daß sie Giovanni trotz aller Enttäuschungen noch liebt, geriet zur Charakterstudie einer verzweifelt liebenden Frau.  Mit hellerem Timbre war Hibla Gerzmava als Donna Anna ebenfalls sicher in Koloraturen, traf dramatisch ihre Spitzentöne, etwas scharf in der Rachearie im ersten Akt. Besser und mit berückendem p gerieten Rezitativ und  Rondo – Larghetto „Crudele?“ (Ich grausam?) im zweiten Akt. Frisch und einfühlsam aber im Duett mit Giovanni auch hin- und her gerissen zwischen Liebe zu Masetto und Stolz, vom Adeligen begehrt zu werden, sang  Serena Malfi  die junge Zerlina. Eine Klasse für sich war Paul Appleby als Don Ottavio, gefördert von einem von James Levine initiierten Programm zur Nachwuchsförderung.  Mit etwas zum Bariton neigenden Timbre sang er makellos Legatobögen, hatte genügend Atem für die lang gehaltenen Töne und Koloraturen besonderes seiner zweiten Arie „Il mio tesoro“ und zeigte an derem Ende sogar stimmlich männliche Entschlossenheit.  Mit hünenhafter Gestalt und mächtigem Bass überzeugte Matthew  Rose als etwas einfältiger Masetto. Mit besonders in der Schlußszene vibratoreichem Baß sang Kwangchul Youn den Komtur.

Neben den Sängern war es vor allem die musikalische Leitung durch den „Ersten Kapellmeister“ (principal conductor) Fabio Luisi, der zusammen mit dem Orchester das seltene Gespür für Mozarts musikalische Grösse gepaart mit  Leichtigkeit beherrschte. Das zeigte gleich die ohne Bühnenhandlung gespielte Ouvertüre mit dem Gegensatz zwischen dem tragischen d-moll-Beginn mit Seufzermotiven, crescendo und decrescendo in chromatischem Abstand auf- und absteigenden Tonleitern und dem folgenden leichten schnellen Allegro. Die Tempi wählte er so, daß die Sänger immer, auch bei schnellen Passagen, atmen konnten Alle Orchestersoli von Holzbläsern, auch etwa vom Cello, waren im Kino gut zu hören, auch beim Einsatz der Posaunen zum Schluß wurden die Sänger zumindest im Kino nie übertönt.  Trotzdem gelang in sehr schnellen Tempo das erste Finale (Chor Donald Palumbo) exakt und mitreissend. Höhepunkte dank dieser Sänger und dieser Orchesterbegleitung wurden alle Ensembles, als Beispiel seien hervorgehoben das Quartett im ersten und das Sextett im zweiten Akt, besonders aber das ganz kurze Adagio-Terzett zwischen den „Adligen“ Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio kurz vor dem Finale des ersten Aktes.

Noch atemlos nach diesem Finale stellte Simon Keenlyside im Pausen-Interview  eine gedankliche  Verbindung her zwischen dem „Viva la liberta“ gesungen vom Chor und allen Solisten und der einige Jahre vor der Uraufführung  erfolgten Proklamation der Menschenrechte in der US-Unabhängigkeits-Erklärung, daß eben alle Menschen frei und gleich seien. In der Aufführung paßte eigentlich dazu, daß die drei weiblichen Hauptpersonen jeweils aus  Russland, Schweden und Italien stammten.

Die MET-Oper war anscheinend fast ausverkauft, es gab nach vielen Arien und Ensembles Zwischenapplaus und zum Schluß waren Bravos zu hören. Auch das Cineplex in Münster war so gut verkauft, daß die ursprüngliche Reservierung für den Rezensenten storniert wurde und er sich mit einem Platz ganz vorne begnügen mußte, was vor der dann riesig erscheinenden Leinwand nicht sehr angenehm war.

 Sigi Brockmann 23. Oktober 2016

 

 

 

Diese Seite drucken