
Hanna Glawari (Svenja Isabella Kallweit) umringt von ihren Verehrern. Foto; JOpera / ORF
NEUHAUS / Schloss Tabor: Lehars DIE LUSTIGE WITWE
7. August 2021 (Premiere 5. August 2021)
Von Manfred A. Schmid
Das JOpera Festival auf Schloss Tabor bei Jennersdorf war – wie der Name sagt – knapp zwei Jahrzehnte lang ein Hort für gern besuchte Opernaufführungen. An dem im sanften südburgenländischen Hügelland eingebetteten Spielort standen manchmal auch Operetten auf dem Programm, wie z.B. 2016 Die Fledermaus, aber der intime barocke Rahmen eignete sich besonders für Werke der Deutschen Spieloper. Das wird mit dem neu bestellten Generalintendanten Alfons Haider alles anders. Zukünftig sollen hierorts nur noch Operetten aufgeführt werden, während in Mörbisch, dem „Mekka der Operette“ (Copyright Harald Serafin), das Musical einziehen wird. Aus JOpera, wie derzeit noch auf dem Programmheft für Die lustige Witwe zu lesen ist, mit dem Zusatz „Generalintendanz Alfons Haider“, wird also alsbald JOperetta werden müssen. Opernaufführungen bleiben dann dem Steinbruch von St. Margarethen vorbehalten, doch der liegt außerhalb von Haiders General-Kompetenz von Doskozils Gnaden.
Der rührige Generalintendant, der sich per Email an das Stammpublikum u.a. mit der Ankündigung gewendet hat, man werde bei der Inszenierung von Die lustige Witwe mit einem „noch nie dagewesenen Bühnenbild“ überrascht werden – dem Rezensenten ist noch kein Fall bekannt, wo das Bühnenbild schon dagewesen wäre – ließ sich nicht nehmen, sich auch bei der 2. Vorstellung an das Publikum zu wenden. Launisch plaudernd und Schmäh führend – das kann der TV erprobte Entertainer wirklich gut – wirkt er dabei allerdings mehr wie ein Conferencier denn als Intendant, geschweige denn als Generalintendant. Dass nach der Premiere in den Medien vor allem von der durch die verspätete Ankunft Lugners gestörte Begrüßungsrede Haiders berichtet wurde und von der Aufführung selbst bisher kaum die Rede war, zeigt, dass nun wohl ein anderer Wind weht. Und Haider vergiss tatsächlich auch nicht, das Publikum stolz darauf hinzuweisen, dass an diesem Abend ein Seitenblicke-Team angerückt sei.

Valencienne (Theresa Grabner), Rossillon (Philipp Kapeller). Alle weiteren Fotos: Martina Kammerlander
Höchste Zeit also, sich dem Wichtigsten, der Aufführung, zuzuwenden. Regisseur Stephan Grögler, der auch für das Bühnenbild zuständig ist, verlegt den Ort der Handlung nach Wien, in eine Zeit knapp nach der Ablöse der Monarchie durch die Republik Österreich. Also etwa um 1918-20. Rot-weiß-rote Fahnen flattern, und der Republiksadler, mit der bürgerlichen Krone auf dem Haupt, ist sogar zweimal präsent. Einem der beiden Wappenvögel geht die Krone hoch. Kein Wunder, tummeln sich auf der Bühne doch jede Menge Barone und Grafen, obwohl in der Republik alle Adelstitel längst abgeschafft worden waren. Oder empört er sich gar darüber, dass hier Österreich vorgetäuscht wird, obwohl Hanna Glawari, die lustige Witwe, mehrmals betont, sich in Paris aufzuhalten und das Pariser Leben kennenlernen zu wollen?
Zwei imposante Oldtimer dominieren die Bühne und begrenzen sie an den Seiten, eine weitere Bezindroschke ist links der Mitte platziert. Die ohnehin räumlich nicht sehr tiefe Bühnenfläche wird durch die drei Ungetüme, die in die Handlung als Zufluchtsorte für Rendezvous und dergleichen einbezogen werden, empfindlich verkleinert. Gäbe es nicht die zentrale Showtreppe, wäre akute Raumnot gegeben. Erstaunlich, wie geschickt Grögler aus der selbstauferlegten räumlichen Einschränkung das Beste herausholt. Die choreographischen Einlagen (Sabine Arnold) leiden aber doch darunter. Vor allem bei dem von der Glawari veranstalteten Fest fällt das gesellschaftlich wichtige Walzertanzen ziemlich mickrig aus. Dafür wuselt es in einem fort. Gedränge und Geschiebe sind Trumpf. Die Handlung schreitet zügig, zuweilen etwas hastig voran, die komplizierten Interaktionen bleiben aber immer nachvollziehbar, die Personenführung gelingt gut.
Für passende Kostüme bis hin zu den Grisetten sorgt Anna-Sophie Lienbacher. Besonders gelungen ist ihr das bei Hanna Glawari, dem strahlenden Mittelpunkt der Aufführung. Die Titelfigur ist mit der deutschen Sopranistin Svenja Isabella Kallweit bestens besetzt. Das „Vilja“-Lied ein berührender, stimmungsvoller Höhepunkt, aber auch in den Duetten mit Danilo – besonders im neckischen „Hoppla hopp“ – kann sie ihr Stärken ausspielen. Dazu zählen auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten sowie ihre Bühnenpräsenz. Wolfgang Resch ist ein sympathischer junger Tenor. Gesanglich zufriedenstellend, fehlt es ihm für den Danilo aber an Charme und lässiger Ausstrahlung. Mit seiner Bubenhaftigkeit gewiss ein guter Papageno, aber (noch?) kein idealer Danilo. In Erinnerung bleibt sein eindrucksvoll gestalteter Auftritt mit „Es waren zwei Königskinder“, in dem er den Zustand wachsender Verzweiflung glaubwürdig verkörpert.

Valencienne (Theresa Grabner), ihr Ehemann Baron Zeta (Andreas Jankowitsch) und Njegus (Peter Kratochvil)
Für Humor und Komik überaus kompetent zuständig sind Theresa Grabner als kokette Valencienne, die als „anständige Frau“ etwa so authentisch wirkt wie derzeit noch Alfons Haider als burgenländischer Generalintendant, und Philipp Kapeller als der Hals über Kopf in sie verliebte Camille de Rossilon. Ihrem Liebesglück entgegen steht Valenciennes eifersüchtiger Mann, der tolpatschige Diplomat Baron Zeta, eine Wurzen-Rolle für Andreas Jankowitsch, der für die absurden Zustände an der pontevedrinischen Gesandtschaft verantwortlich zeichnet.
Besondere Erwähnung gebührt dem Njegus von Peter Kratochvil, der als quirliges Faktotum in allen turbulenten Situationen, u.a. als geschickt balancierender Trasvestit auf Stöckelschuhen, präsent ist und für viele Lachnummern sorgt. In Nebenrollen treten Benjamin Kelly Chamandy (Cascada) und Maximilian L.A. Müller (Saint-Brioche) nachhaltig in Erscheinung. Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh macht seine Sache gewohnt gut und ist mit Spielfreude auch schauspielerisch im Einsatz. Die Junge Philharmonie Brandenburg, seit Jahren das höchst verlässliche Orchester des Festivals, zaubert unter der Leitung des burgenländischen Dirigenten Erich Polz wienerisches Flair auf die Bühne und legitimiert so die Verlegung der Handlung von Paris nach nach Wien. Denn Lehars Partitur ist zutiefst österreichisch geprägt, auch wenn sich der Komponist beim Auftritt der Grisetten vom Offenbach‘schen Cancan beeinflusst zeigt.
Das Publikum spendet begeisterten Applaus. Der Beginn der Operettenära ist mit dieser insgesamt unterhaltsamen Inszenierung weitgehend geglückt. Nächstes Jahr steht Frtz Kreislers zuckersüßes Singspiel Sissy auf dem Programm. Mit dem Genre der Operette verwandt, aber keineswegs ein Paradestück. Ob da der Generalintendant niveaumäßig sein Publikum nicht fatal unterschätzt? Man wird sehen. Haiders Bewährungsprobe hat eben erst begonnen