Neue CD „Große Fuge“ beim Label Berlin Classics erschienen
Neue klangliche Möglichkeiten
Seit mehr als 20 Jahren sind die beiden Wahl-Berliner Sivan Silver und Gil Garburg als Piano Duo Silver-Garburg erfolgreich, haben in mehr als 70 Ländern auf fünf verschiedenen Kontinenten Konzerte gegeben und zahlreiche Alben veröffentlicht. Im Rahmen der vorliegenden Aufnahme „Große Fuge“ beim Label Berlin Classics bilden die beiden Großen Fugen Ludwig van Beethovens eine große Rolle, deren Entstehungsgeschichte eng miteinander verknüpft ist. Das Finale von Beethovens Streichquartett Nr. 13 in B-Dur op. 130 sorgte bei der Uraufführung im Jahre 1826 für Irritation und Unmut beim Publikum. Beethoven schrieb dieses Werk dann als „Große Fuge für Streichquartett B-Dur op. 133“ um. Die Gegenüberstellung dieser beiden Fassungen von Beethovens Großer Fuge macht auch den besonderen Reiz dieser Aufnahme aus. Beethoven habe in der Fassung für Klavier zu vier Händen neue Möglichkeiten, Texturen und Register erforscht, so Sivan Silver. Die Welt der letzten Streichquartette blitzt hier auf. Die vier Stimmen werden zu Trägern des linear angelegten Tonsatzes. Schärfen und Dissonanzen werden bei dieser Aufnahme sehr deutlich herausgearbeitet. Es handelt sich hier um eine ununterbrochene Reihe von Einzelfugen mit gemeinsamem thematischem Kern. Ein barockes Vorbild lässt sich dabei nicht erkennen. Dafür werden die reichen kontrapunktischen Möglichkeiten voll ausgelotet. Von G-Dur über C- und F- bis B-Dur werden alle vier Varianten des Fugenthemas kunstvoll ausgeleuchtet und hintersinnig interpretiert. Dafür sorgt auch das Artis Quartett mit Peter Schuhmayer (erste Violine), Johannes Meissl (zweite Violine), Herbert Kefer (Viola) und Othmar Müller (Violoncello). Das besinnlichere Verweilen gleicher Notenwerte im geraden Takt kommt ebenfalls nicht zu kurz. Der Zauber der ersten Fuge mit ihrem gezackt-punktierten Kontrapunkt und der Tonart d besitzt einen energisch-kämpferischen Impetus. Sechzehntel-Figurationen sowie gesanglich betonte Terzen- und Sextenparallelen sorgen dabei für ein unruhiges Klangbild. Die unheimliche dritte Fuge gewinnt dann ein geheimnisvolles Format, dessen Intensität nicht nachlässt. Tempo und Dynamik verändern sich immer wieder stark. Trillerfiguren und weiterführende melodische Floskeln erweitern den motivisch-thematischen Raum bei den Wiedergaben der beiden Fassungen gleichermaßen. Die Dynamik schwankt zwischen vielen möglichen Extremen. Das gesamte Fugenkonzept gerät in einen gewaltigen Sturmlauf – das ist das Spannende bei dieser Interpretation! Rhythmen machen sich plötzlich selbständig. Interessant ist außerdem Richard Dünsers Bearbeitung von Franz Schuberts Klaviersonate in B-Dur op. 30 D 617 für Klavier zu vier Händen und Streichquartett. Für Dünser ist es ein „Akt des Nachkomponierens“. Die Schubertsche Tonartensymbolik leuchtet hier in allen drei Sätzen sehr geheimnisvoll auf. Das Drama des ständigen Gebens und Nehmens blitzt immer wieder leuchtkräftig hervor. Der Marsch und vierstimmige Choral im langsamen Mittelsatz besitzt fast schauerliche Größe. Auch die Modulation von Moll nach Dur schillert in betörenden Klangskalen. Mit reichhaltiger Harmonik wartet Richard Dünsers eigene Komposition „Synopsis I“ für Klavier zu vier Händen und Streichquartett auf. Es ist ein Kompositionsauftrag der Gesellschaft der Musikfreunde Wien aus dem Jahre 2008. Die Töne sind dabei wie im Wechselgesang einer doppelchörigen Motette gesetzt. Harmonik, Rhythmik, Melodik, Form und Strukturierung gewinnen neue Bereiche und Gefilde. Ton-Zitate von Alfred Schnittke bilden zusätzliche Querverweise, Wachstum strömt aus weiteren harmonischen „Zellen“. Spannungsgeladene „legato“- und „espressivo“-Passagen wechseln sich ab. Eruptive Aufgänge und Abstürze begleiten den klanglichen Werdegang dieser ungewöhnlichen Komposition. Die Instrumente hören gleichsam nach innen – nicht nur die Bratsche. Der Hörer betritt neue Resonanzräume. Man kann diese Einspielung in jedem Fall sehr empfehlen.
Alexander Walther