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Neue CD des Alban Berg Ensembles Wien bei Deutsche Grammophon erschienen/

20.06.2020 | cd
Neue CD des Alban Berg Ensembles Wien bei Deutsche Grammophon erschienen/
Schein-Rokoko und Zerbrechlichkeit
 
1971 erlaubte Alban Bergs Witwe Helene Berg den jungen Musikern Günter Pichler, Klaus Mätzl, Hatto Beyerle und Valentin Erben die Verwendung des Namens „Alban Berg Quartett„. Und 45 Jahre später entschloss sich die Alban-Berg-Stiftung, eine weitere junge Formation zu unterstützen. Denn das Hugo Wolf Quartett mit Sebastian Gürtler (Violine), Regis Bringolf (Violine), Subin Lee (Viola) und Florian Berner (Cello), Pianistin Ariane Haering sowie Flötistin Silvia Careddu (Wiener Philharmoniker) und Klarinettist Alexander Neubauer (Wiener Symphoniker) haben sich zum Alban Berg Ensemble Wien zusammengeschlossen. Dieses Debüt des vielversprechenden Alban Berg Ensembles im Musikverein Wien ist in jedem Fall ein starker Gewinn. Alt und Neu werden harmonisch in spannungsvoller Weise zusammengeschmolzen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wird so in ihrer ganzen erregenden Zerrissenheit erlebbar. Gustav Mahlers Fragment seiner 10. Symphonie wirkt hier trotz der betont kammermusikalischen Intensität überdimensional und sphärenhaft. Aber auch die weihevolle Abgeklärtheit und Reife dieses Werkes kommen voll zum Vorschein. So entsteht ein lyrisch-hymnisches Gebilde voller Ausdruckstiefe. Vor allem das ausdrucksstarke Arioso besitzt ergreifende Klarheit. Das Adagio aus Bruckners 7. Symphonie macht sich in geheimnisvoller Weise bemerkbar. Und die gewaltige Coda mit ihren sieben Terzen türmt sich zu einem mystischen Klang zusammen, dessen Nachhall hier von erstaunlicher Wirkungskraft ist. Ein höchst dissonanter Neunton-Akkord brennt sich hier ins Ohr. Das rhythmisch drängende „Purgatorio“ scheint dann zuletzt eine ganz neue und unbekannte Welt zu eröffnen. Die Melodik löst sich in geheimnisvoller Weise auf. Und die Anlage des Satzes als Doppelvariation zeigt die Nähe zu Mahlers neunter Sinfonie. Gerade die geniale thematische Kontrapunktik offenbart bei dieser Einspielung einen grandiosen klanglichen Reichtum.
Dass Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 op. 9 aus dem Jahre 1906 ein Übergangswerk ist, macht das ungeheuer konzentriert und reaktionsschnell musizierende Alban Berg Ensemble Wien auf dieser CD plastisch deutlich. Die klar umrissene Thematik und die komplexen harmonischen Bindungen wechseln sich in reizvoller Weise ab. Stürmischer Schwung stellt sich ein, das gesangliche Seitenthema wird facettenreich von der Geige vorgetragen. Auch die extreme Auf- und Abbewegung des Scherzos kommt nicht zu kurz. Die Wiederkehr des Quartenthemas erscheint ausgesprochen geheimnisvoll. Das Pianissimo der Geige rückt exakt ins Zentrum, und die Verdichtung des Stimmgewebes hinterlässt nachdrückliche Höreindrücke. Wunderbar ist auch die Wiedergabe der „Rosenkavalier“-Suite von Richard Strauss, deren sensible Inspirationen sich in einem kunstvollen Spiel von Sein und Schein widerspiegeln. Schein-Rokoko und Zerbrechlichkeit erreichen dabei einen konzentrierten Höhepunkt. Mozart und Wagner lassen grüßen. Der Glanz der silbernen Rose wirkt hier bei deren Überreichung geradezu überirdisch und irisierend. Auch die melodische Kraft kann sich in ihrer ganzen Überschwänglichkeit trotz der kammermusikalischen Form bestens durchsetzen. Die einzelnen Motive tauchen in diesem fast unentwirrbar-reizvollen Geflecht immer wieder neu und arabeskenhaft auf. Der mitreissende harmonische Strom ist nicht aufzuhalten, denn das ewig junge Wien meldet sich in leidenschaftlicher Weise zu Wort. Das ist wahrhaft beglückend, das klangliche Auf und Ab reisst die Zuhörer unmittelbar mit. Zu diesem begnadeten neuen Ensemble gesellen sich noch Nora Cismondi (Oboe) und Alois Posch (Kontrabass).
 
Alexander Walther

 

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