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Neue CD: „Das Mirakel“ von Engelbert Humperdinck bei Capriccio

14.12.2025 | cd

Neue CD: „Das Mirakel“ von Engelbert Humperdinck bei Capriccio

Besondere Rarität

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Von Engelbert Humperdinck kennt man eigentlich hauptsächlich die Oper „Hänsel und Gretel“ und vielleicht noch die „Königskinder“. Die Pantomime „Das Mirakel“ in zwei Akten und einem Zwischenspiel für Chöre und Orchester aus dem Jahre 1911 ist dagegen weitgehend unbekannt geblieben. Das Libretto stammt von Karl Gustav Vollmoeller. Umso verdienstvoller ist nun die erste Gesamteinspielung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dem Rundfunkchor Berlin sowie dem Kinderchor des Georg-Friedrich-Händel-Gymnasiums Berlin unter der einfühlsamen Leitung von Steffen Tast. Sie weist übrigens Ähnlichkeiten mit der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn auf. Megildis wird hier als Nonne dazu getrieben, ihre weltliche Neugier auszuleben. Sie lässt sich von einem stattlichen Ritter aus dem Kloster entführen. Im Kloster nimmt die Muttergottes ihren Platz ein. Draußen in der Welt wird die Nonne dann zum Spielball männlicher Gelüste. Am Tod ihrer zahlreichen Liebhaber ist Megildis allerdings unschuldig. Schließlich kehrt die missbrauchte junge Mutter reumütig in das Kloster zurück. Die Muttergottes verzeiht ihr und nimmt sich des Kindes an. Sie erstarrt wieder zu Marmor. Das Werk von Humperdinck ist allerdings weder Oper noch Ballett noch Sinfonie. 1911 wurde es in der gewaltigen Inszenierung von Max Reinhardt in der Olympia Hall in London gezeigt. Das Trio Karl Vollmoeller, Engelbert Humperdinck und Max Reinhardt hat in zahlreichen Projekten erfolgreich zusammengearbeitet. Engelbert Humperdinck besaß ja fast den Ruf eines „Märchenonkels“ – und in diesem Zusammenhang ist diese Komposition eine große Überraschung, selbst wenn hier bekannte Kirchen- und Kinderlieder gesungen werden. Das Mysterium wird dabei mit Hilfe von klangmalerischen Tönen höchst eindringlich erzählt. Natürlich ist auch hier die Klangsprache Richard Wagners spürbar, von dem Humperdinck maßgeblich beeinflusst wurde. Die Frühlingslitanei der keuschen Schwestern und der vierstimmige Chor der Nachbarn sind gleich zu Beginn charakteristische Passagen. Trompetenschall feiert die Wundertaten der Marienstatue. Ein Kinderchor intoniert die Melodie von „Hänschen klein“. Ein Spielmann führt mit einer Schalmei (hier Oboe) die Kinder an. Der Reigen verwandelt sich plötzlich in einen Walzer. Vogelstimmen kommen hinzu. Immer verführerischer ergreift die Melodie des Spielmanns von der Nonne Besitz. Den Ritter begleitet ein seltsamer Trauermarsch-Rhythmus. Zartheit und Feingliedrigkeit der Motive überraschen den Hörer auch hier immer wieder. Die Formatverkleinerung der Wagnerschen Harmonik mindert die Wirkung nicht. Leidenschaftliche Klangbildungen und poetische Sequenzen beschwören manchmal sogar eine ausgeprägte Natur- und Seelenstimmung. Diesem Aspekt werden außerdem die beiden Sängerinnen Sophie Klußmann (Sopran) und Josette Micheler (Mezzosopran) sehr gut gerecht. Dur und Moll charakterisiert hier Gut und Böse, der melodische Fluss und die dynamischen Steigerungen werden behutsam herausgearbeitet. Und auch die polyphone Gestaltung überzeugt. Unbedingte Empfehlung!

Alexander Walther 

 

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