Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

„Nach der dunklen Nacht scheint der Tag noch heller“ Interview mit Megan Kahts über ihr Album „DOPO NOTTE – Arias by Handel and Hasse“

18.09.2025 | Sänger

Nach der dunklen Nacht scheint der Tag noch heller“
Interview mit Megan Kahts über ihr Album „DOPO NOTTE – Arias by Handel and Hasse“

meghan2
Meghan Kahts. Copyrigt: Kahts

Die Koffer sind gepackt, der Rückflug nach Wien steht unmittelbar bevor. Megan Kahts sitzt in ihrem Kapstädter Hotel und reflektiert über zwei intensive Monate: eine triumphale Rossini-Produktion als Rosina in „Il barbiere di Siviglia“ liegt hinter ihr. Gleichzeitig ist vor wenigen Tagen bei Solo Musica München ihr Herzensprojekt erschienen – das Album „DOPO NOTTE“, entstanden aus musikwissenschaftlicher Leidenschaft und künstlerischer Vision.

Das Album ist mehr als eine Sammlung barocker Arien: Es ist eine fundierte Hommage an zwei Giganten des 18. Jahrhunderts, deren Namen heute zu Unrecht im Schatten ihrer Komponisten stehen. Faustina Bordoni (1697-1781), die erste wahre Operndiva der Musikgeschichte und Gattin Johann Adolf Hasses, sowie Giovanni Carestini (1704-1760), einer der virtuosesten Kastratensänger seiner Zeit, waren aktive Mitschöpfer jener Händel- und Hasse-Arien, die Kahts nun mit dem Orchester Wiener Akademie unter Jeremy Joseph eingespielt hat.

Zwischen Abschiedsmelancholie und Vorfreude auf Wien sprach die Künstlerin über die Verwirklichung ihrer Vision, über Sänger als Mitschöpfer der Barockoper und darüber, warum historische Aufführungspraxis heute noch spirituelle Kraft entfalten kann.

Ich erreiche Sie an Ihrem letzten Abend in Kapstadt, bevor Sie nach Wien zurückfliegen. Wie fühlen Sie sich gerade?

Ich habe sehr gemischte Gefühle. Der Abschied fällt mir wirklich schwer. Seit dem 5. Juli bin ich hier für diese Rossini-Produktion und es war so intensiv. Jetzt ist alles vorbei. Ich weiß nicht, ob es etwas Intensiveres gibt als eine Opernproduktion. Es fühlt sich so intim an. Man ist durch das Singen verbunden, durch die Musik, das Zusammenspielen, die ganzen Vorstellungen. Du entwickelst diese enge Bindung zu den Kollegen.

Was für eine Produktion war das?

Meine Rolle war die Rosina in „Il barbiere di Siviglia“ und das erwies sich als Traumrolle. Ich muss gestehen, vorher dachte ich, Rossini ist wie musikalisches Fast Food , vor allem im Vergleich zu Händel, meinem Lieblingskomponisten oder zu den deutschen Komponisten. Aber dann bin ich gesegnet worden von dieser Musik! Sie ist einfach so sonnig und so lebensbejahend.

Wie fühlte sich die Rolle stimmlich an?

Es ist eine hohe Mezzosopran-Rolle und ich konnte meine ganze Höhe singen. Das war so herrlich für meine Stimme. Diese Rosina ist eine fantastisch temperamentvolle Persönlichkeit. In der „Folge-oper“ (des Librettos nach) wird sie zu der Gräfin, die wir von Figaros Hochzeit von Mozart kennen – meine Lieblingsoper überhaupt.

Was hat sich seit unserem Gespräch 2023 in Bregenz entwickelt?

Außerordentlich viel! Ein ganz großer Meilenstein für mich ist das Album, das vor drei Tagen erschienen ist. Ich würde es fast als das größte Projekt meines bisherigen künstlerischen Lebens bezeichnen. Wir haben im Februar aufgenommen. Ursprünglich war es schon für August letzten Jahres geplant, aber ich war krank und wir mussten das Ganze verschieben.

Ich erinnere mich, dass Sie damals schon von einem Barockprojekt als Wunsch für die Zukunft sprachen…

Genau, und das ist jetzt realisiert worden. Diese Idee hat sich über Jahre in meinem Kopf entwickelt. Und nun hatte ich endlich die Gelegenheit, mit dem hervorragenden Orchester Wiener Akademie zu arbeiten. Der Cembalist Jeremy Joseph, der auch manchmal selbst dirigiert, ist sogar ein Landsmann von mir und stammt sogar aus Durban, wo ich zehn Jahre lang in meiner Kindheit gelebt habe. Ebenso lebt Jeremy genauso wie ich schon lange in Wien. Für mich haben wir beide zwei Seelen: die eine ist Südafrika und die andere Österreich. Bei Jeremy verhält es sich genauso.

meghan4
Meghan Kahts. Copyrigt: Kahts

Wie entstand das Konzept für „DOPO NOTTE“?

Das kam ursprünglich von der Zeit, als ich für die Kapstadtoper den Ruggiero in Händels „Alcina“ gesungen habe. Ich hatte das Gefühl, dass diese Rolle mir so gut passt. Dann habe ich herausgefunden: sie wurde für den Kastraten Giovanni Carestini komponiert. Ich habe ein bisschen geforscht und gesehen, welche anderen Rollen für ihn auch komponiert wurden. Da sind einige große Händel-Partien dabei. Ich habe mich sofort für diese Rollen interessiert.

Gleichzeitig machte ich mein Studium der Historischen Aufführungspraxis an der MDW in Wien. Wir analysierten eine verzierte Version der Arie „Verdi prati“ – das ist eine Arie, die Ruggiero in „Alcina“ singt. Jemand hatte die Verzierungen aufgeschrieben, die eine Sängerin gesungen hat, als sie diese Arie interpretierte. Und diese Sängerin hieß Faustina Bordoni.

Was faszinierte Sie so an Faustina Bordoni?

Sie war Johann Adolf Hasses Frau und wahrscheinlich die erste Operndiva in der Musikgeschichte. Die zeitgenössische Kritik beschrieb vor allem ihre Darstellung – wie ausdrucksstark sie war und welche Präsenz sie hatte. Sie war auch geschäftlich extrem klug, hat immer für ihre Gagen gekämpft und sehr gut verdient. Sie kam aus keiner wohlhabenden Familie und hat sich alles selbst erkämpft. Ich dachte mir: Es wäre toll, Arien, die für sie komponiert wurden, mit Kastratenarien, die für Carestini geschrieben waren, zu kombinieren. Ich wollte sie ins Rampenlicht setzen und sie einem Kastraten aus der Zeit gleichstellen.

Wie unterscheidet sich die für diese beiden Sängertypen komponierte Musik?

Die Musik, die für die Kastraten geschrieben wurde, ist immer wirklich genial gemacht. Musik für andere Sänger oder eben für Faustina Bordoni ist dagegen immer etwas zweitrangig im direkten Vergleich. Das fand ich ein bisschen schade. Deshalb gibt es auch mehr Arien auf dem Album, die für Carestini komponiert wurden als für Faustina.

Welche Bedeutung hatte diese Zeit der Sängerstars im 18. Jahrhundert?

Ich wollte dieses Album diesen beiden Sänger-Persönlichkeiten widmen, weil diese Zeit, in der sie lebten, war die Sängerhochzeit! Die Sänger waren die großen Stars der Opernwelt und nicht die Komponisten. Die Sänger waren immer quasi Mitschöpfer der Rollen, die für sie geschrieben wurden. Sie verzierten so frei und spontan, dass eine Arie wirklich ganz anders klingt, wenn ein anderer Sänger dieselbe Arie singt. Da habe ich mir gedacht: Auf dem Album gibt es zwei Komponisten und zwei Sänger-Persönlichkeiten – und denen widme ich dieses Album im besonderen.

Was bedeutet der Titel „DOPO NOTTE“?

„Dopo“ heißt „nach“, also „nach der Nacht“. Das kommt vom Titel einer der Arien: „Dopo notte atra e funesta“ – also „nach der dunklen, unheilvollen Nacht“. Und die nächste Zeile sagt schon: „scheint die Sonne noch heller und glänzender als vorher“. Das ist für mich eine wunderschöne Botschaft: Nach der dunklen Nacht scheint der Tag noch heller. Die Arie ist sehr berühmt und eine meiner absoluten Lieblings-Arien.

Was bedeutet diese Metapher für Sie persönlich?

Das Leben pulsiert nur so durch diese Musik! Der Rhythmus ist fantastisch, mit diesen Synkopen, die durch die ganze Arie gehen. Das ist ein solcher Jubel, so lebensbejahend. Und so ist es ja auch im Leben: Nach unseren dunkelsten Momenten kommt immer wieder Heilung. Es scheint immer wieder die Sonne. Noch schöner, noch heller und noch besonderer. Gerade wenn ich in meinem Leben traurige oder tragische Erlebnisse habe, bin ich so dankbar, dass ich Sängerin bin. Weil jedes Mal, wenn ich wieder übe oder probe, oder wenn ich auf der Bühne stehen darf oder mit meinen Kollegen musizieren darf ist das sehr heilend für die Seele. Es hat auch etwas Spirituelles für mich.

Wie war der Aufnahmeprozess im Februar?

Das war extrem spannend für mich, aber auch mit viel Druck verbunden. Wir hatten nur drei Tage, um das Ganze aufzunehmen – das heißt sechs Stunden am Tag. Das inkludiert natürlich alles: wenn sich Instrumente verstimmen, was bei Barockinstrumenten ständig passiert, oder wenn jemand im Orchester etwas Falsches spielt. Wegen der knappen Zeit wuchs auch die Probephase mit dem Aufnahmeprozess zusammen. Bei jeder Arie mussten wir quasi während der Aufnahme noch weiterproben, um zum idealen Ergebnis zu kommen. Da war schon einiges zu leisten, damit überhaupt ein Fluss entsteht. Das ist überhaupt nicht wie ein Live-Konzert.

Gab es einen besonders einprägsamen Moment?

Ja, bei „Dopo notte“! Sie hatten das Vorspiel ohne mich aufgenommen. Ich war noch beim Einsingen in meiner Garderobe. Sie haben das Vorspiel währenddessen aufgenommen, und mich ersten dann gerufen und ich musste die ersten Takes machen. Das Tempo war so schnell, wie ich das noch nie gesungen hatte. Ich dachte: „Das ist unmöglich, ich kann das nicht mithalten mit den Koloraturen.“ Aber die Musik hat mich so inspiriert und ich habe alles schaffen können! Wenn die Musik dich richtig ermutigt und inspiriert, schaffst du viel mehr, als du denkst. Dann erweitert die Musik deine Seele. Das war für mich der Beweis, dass es wirklich passiert ist.

War der Charakterwechsel zwischen den verschiedenen Arien stimmlich herausfordernd?

Stimmlich nicht – es war eher eine energetische Herausforderung, vor allem weil ich so gerne mehr geben wollte in den tieferen Arien. Mehr Bruststimme vielleicht. Ich wollte mich mehr hineinversenken. Aber ich wusste: in der nächsten Stunde muss ich dann wieder diese ganz hohe Arie singen, weil diese zwei Arien in derselben Tonart stehen, und wegen der Orchesterstimmung gehören sie eher nacheinander aufgenommen. Ich kann nicht zu viel Bruststimme geben und muss meine Energien gut einteilen. Ich musste gefühlt etwas einheitlich bleiben die ganze Zeit. Ich hätte gerne mehr Kontrast gezeigt, ehrlich gesagt. Aber ein bisschen mehr Zeit, ein bisschen mehr Ruhe hätte vielleicht ein anderes Ergebnis erzeugt. Ob das besser gewesen wäre, kann ich nicht wissen. Im Nachhinein ist es immer leicht zu sagen, was alles besser hätte sein können!

Wo ordnen Sie diese Arien in Ihre Kategorien von „gesundem Repertoire“ und „Halsbrechern“ ein?

Das sind alles andere als Halsbrecher! Diese Arien auf der CD bergen bei aller Schwierigkeit sehr gesunde Herausforderungen. Die Musik ist so genial konstruiert und wenn die Musik einen so inspiriert und ermutigt, kann es auch nur gesund sein, sie zu singen und interpretieren.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Ich singe im nächsten Jahr weitere Konzerte mit dem Orchester Wiener Akademie. Als nächstes habe ich Ende August CD-Präsentationskonzerte in der Nähe von Graz mit einem modernen Orchester, aber mit dem Repertoire von unserem Album. Im Oktober bin ich wieder in Kapstadt für die Wiederaufnahme der Rosina.

Danach bin ich mit einem anderen Wiener Orchester, dem Wiener Concert Verein, auf Tournee, die nach Portugal geht. Das ist auch wieder ein interessantes Programm, diesmal mit zeitgenössischer Musik des portugiesischen Komponisten Nuno Côrte-Real, der sich zugleich auf alte Lieder von John Dowland bezieht, die er neu bearbeitet.

Wissen Sie schon nähere Details darüber?

Nuno Côrte-Real hat eine sehr innovative Art, mit historischem Material umzugehen. Er bearbeitet die wunderschönen Dowland-Lieder mit zeitgenössischen Mitteln, ohne ihre Seele zu zerstören. Das ist genau die Art von künstlerischer Begegnung, die mich fasziniert – wenn Vergangenheit und Gegenwart sich auf Augenhöhe begegnen. Nuno wird auch selbst dirigieren, was dem Ganzen noch eine besondere Note geben wird. Es ist schön, dass wir nach den Konzerten in Wien auch nach Portugal gehen – sozusagen in seine musikalische Heimat.

Sie haben auch mit Paul Gulda konzertiert?

Ja, es hat mich besonders gefreut, ihn kennenzulernen. Er ist ein fantastischer Künstler und eine faszinierende Persönlichkeit! Es war nicht nur ein Liederabend, sondern er hat auch viel solo gespielt, in einer schönen Kirche in Paternion bei einem Kammermusik-Festival. Wir haben als Zugaben einige Wiener Lieder gemacht, da hat er sogar mitgesungen. Ich hatte wieder dieses unmittelbare Gefühl, dass das Ergebnis im Geschehen entsteht. Das war schön – ein absoluter Luxus. Wir sind ein harmonisches Duo und verstehen uns musikalisch toll.

Zum Schluss: Was bedeutet dieser Beruf für Sie?

Das ist absolut der schönste Beruf der Welt, vor allem für die Entwicklung der Seele, würde ich sagen. Singen ist extrem gesund und hält jung, finde ich. Ich bin dankbar für alles, auch wenn es manchmal hart ist. Man muss auch immer weiterkämpfen und zuversichtlich bleiben. Diese Rossini-Oper jetzt gerade war auch so wichtig für mich. Es ist ein absolutes Privileg, diese fantastische Musik zu singen. Dafür habe ich den europäischen Sommer geopfert, denn in Südafrika geht gerade der ungemütliche Winter zu Ende. Aber die Sonne habe ich umso mehr durch die Musik gehabt. Durch Rossini.

Das Album „DOPO NOTTE – Arias by Handel and Hasse“ ist bei Solo Musica München erschienen.

 

Diese Seite drucken