Theater Münster 9. Februar 2016
Battistelli „Sinfonia da Experimentum Mundi“ Uraufführung der Neufassung mit Orchester
Handwerker erzeugten besonders in früheren Zeiten bei ihrer Arbeit Geräusche, die auch rhythmisch-musikalische Reize ausüben konnten. Als Beispiele von der Opernbühne seien genannt Richard Wagners Hans Sachs mit seiner Tätigkeit als Schuster, Mime und Siegfried als Schmiede oder als letztere sogar rhythmisch ganz scharf die Nibelungen im „Rheingold“
Copyright: Arndt Zinkant
Handwerkszeug als Rhythmusinstrumente verwendet auch der 1953 geborene italienische und Komponist Giorgio Battistelli in seiner “ Sinfonia da Experimentum mundi“ – aber hier sind echte Handwerker bei ihrer täglichen Arbeit auf der Bühne tätig, deshalb wohl auch der Titel, den man in etwa als „Versuch mit den Klängen der Welt“ interpretieren kann. Schmied, Steinmetz, Tischler, Küfer oder Pflasterer erzeugen mit ihren Werkzeugen nicht so exakt wie gelernte Musiker unterschiedliche Rhythmen, auch polyrhythmisch gegeneinander. Dies wird ergänzt durch ein groß besetztes Schlagzeug. Frauenstimmen murmeln zusätzlich geräuschartig. Ein Sprecher beschreibt Handwerkszeug und seine Verwendung durch rhythmisches Lesen aus der „Encyclopédie“ von Diderot und d’Alembert, so einer Art Wikipedia des 18. Jahrhunderts.
Klangfarben entstanden dabei bisher nur durch das Schippen von Mörtel der Maurer, durch Hobeln, durch das Zerquetschen der Eierschalen des Kuchenbäckers oder das Sirren der Scherenschleifer, das wirkte auf die Dauer etwas eintönig. Dies kann man nachhören auf YouTube in mindestens drei Aufnahmen, davon zwei aus der Schweiz und Frankreich unter Leitung des Komponisten und einer aus La Paz in Bolivien.
Etwas farbiger sollte auf Anregung des verstorbenen Dirigenten Claudio Abbado der Klang nun durch Hinzufügung eines Orchesters werden. Diese Fassung wurde am vergangenen Dienstag im Rahmen des Festivals für zeitgenössische Musik„KlangZeit 2016“ im Theater Münster vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Fabrizio Ventura uraufgeführt.
Das in normaler Stärke mit Streichern bis hin zu vier Kontrabässen sowie einer Gruppe von Bläsern links und rechts seitlich und hinter den Handwerkern platzierte Orchester wirkte mit Klangteppichen, Tremolieren, sowie Bläserakkorden, als Begleitung aber auch Gegenpol zu den Rhythmen der achtzehn Handwerker. Diese stammten aus Münster und Umgebung bis auf die Küfer, die aus Italien angereist waren, da dieser Beruf hier nicht mehr ausgeübt wird. Auch andere handwerkliche Tätigkeiten des 1981 uraufgeführten Stückes hatten abgesehen von ihrer rhythmisch-musikalisch gelungenen Darbietung durchaus den nostalgischen Reiz der vom Aussterben bedrohten Berufe, etwa Scherenschleifer, Schmied oder Küfer. Besonderes Lob gebührt der Kuchenbäckerin, die während des ganzen Stücks fast ohne Unterbrechung Eier aufschlagend und Teig knetend tätig war.
Die acht Frauenstimmen des Konzertchors Münster murmelten ihre Texte gebetsmühlenartig aber sehr exakt in an- und abschwellender Lautstärke.
Zwei Hauptrollen weist die „Sinfonia“ auf. Wenn man den riesigen Schlagzeugapparat sah, glaubte man gar nicht, dass ein einzelner alles bedienen konnte. Aber Thomas Jambor meisterte das, von einem Instrument zum andern rennend, häufig gegensätzlich zu den Rhythmen der Handwerker spielend, mit großer Präzision . Das diesjährige „KlangZeit“ – Festival steht auch unter dem Motto „Heimat“, dazu passend eben auch die Handwerker aus der Region. „Heimat“ kann aber auch bedeuten die Verwendung einer heimischen Sprache. In ländlichen Gegenden Norddeutschlands wurde bis ins vergangene Jahrhundert hinein gesprochen und wird bis heute für mundartliche Theaterstücke verwendet die niederdeutsche Sprache, in Westfalen „Plattdüütsk“ genannt. In diese Sprache hat der bekannte Übersetzer, Schauspieler und frühere Theaterleiter Hannes Demming die Texte aus der „Encyclopédie“ übersetzt. In der Aufführung rezitierte er sie dann selbst ganz rhythmisch der Musik angepasst in einer Art Sprechgesang. Dies gelang ihm in wechselnder Lautstärke und Tonhöhe bis hin zu psalmodierender Gregorianik sehr eindrucksvoll.
Überlegen und mit sehr präziser Zeichengebung leitete GMD Fabrizio Ventura das musikalische und handwerkliche Geschehen. Grosse Steigerungen in Tempo und Lautstärke wechselten abrupt mit ganz leisen Abschnitten, wo man etwa nur das Aufschlagen der Eier und Zerquetschen der Schalen hörte. Die Schlusssteigerung gelang atemberaubend, wobei die beiden Küfer auf ihrem Faß den akustischen Höhepunkt schlugen.
Battistelli nennt die Sinfonia „Opera die musica immaginistica“ – so wurde durch Beleuchtungswechsel und etwa auch durch die sprühenden Funken der Scherenschleifer der gewünschte musiktheatralische Effekt erzielt.
Das Theater war ausverkauft, wohl auch, weil im ersten Teil im Rahmen der Aufführung seiner sämtlichen Sinfonien Beethovens „Pastorale“ vom Sinfonieorchester Münster, natürlich auch unter Leitung von GMD Ventura, besonders im dritten und vierten Satz mit sehr raschen Tempi musikalisch überzeugend gespielt wurde, nicht ganz verständlich in der „amerikanischen“ Orchesteraufstellung mit den zweiten Geigen links in der Mitte und den Celli rechts.
Das Publikum war wohl erfreut, dass „moderne“ Musik so unterhaltsam sein konnte und applaudierte nach der Sinfonia von Battistelli enthusiastisch mit vielen Bravos besonders für den Dirigenten, den Sprecher, den Schlagzeuger und die nunmehr nach vorne auf die Bühne gelangten Handwerker.
Sigi Brockmann
Probenfotos Oliver Berg und Theater Münster (Battistelli)
Das Konzert wurde vom WDR aufgezeichnet und wird zu einem noch nicht bekannten Zeitpunkt gesendet
Eine DVD der Fassung ohne Orchester ist kürzlich bei EuroArts Music international erschienenen