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MÜNSTER/ Theater: LEBEN DES OREST von Ernst Krenek. Neue Intendanz, unbekannte Oper. Premiere

02.10.2022 | Oper international

Theater Münster –  Ernst Křenek „Leben des Orest“ – neue Intendanz – unbekannte Oper

Premiere 1. Oktober 2022

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Johan-Hyunbong Choi, Helena Koehne und Chor. Foto: Martina Pipprich

 Spartenübergreifend  will die neue Intendantin des Theaters Münster, Dr. Katharina Kost-Tolmein, ein Thema auf der Bühne darstellen. Sie begann mit dem Thema Generationenkonflikte – nicht ganz neu – dieses Mal dargestellt an Sagen rund um  den antiken Orest, der bekanntlich aus Rache für die Ermordung seines Vaters Agamemnon durch seine Mutter Klytaemnestra und ihren Liebhaber Aegisth diese beiden nun ebenfalls tötete. Da gab es einen Ballettabend „Furien“, die Orest wegen dieser Taten verfolgten, wobei das Ballett – warum auch immer –  in „Tanz Münster“ umbenannt wurde. Im Schauspiel folgte dann die „Orestie“ von Aischylos, wie heute leider vielfach üblich, erweitert durch Texte dreier lebender Autorinnen.

Als Musiktheater wurde zur Eröffnung gewählt „Leben des Orest – Grosse Oper in fünf Akten“  (acht Bildern) op.60 von Ernst Křenek auf ein eigenes Libretto, uraufgeführt 1930. Sie stand unter der musikalischen Leitung von GMD Golo Berg in einer Inszenierung von Magdalena Fuchsberger.

Im Gegensatz zu Richard Strauss, dessen „Elektra“ im Dezember folgt, schildert Ernst Křenek in seiner Oper nicht  nur eine Episode sondern das ganze Leben des Orest. So sehen wir im ersten Akt, wie Agamemnon, um  günstigen Wind für den Krieg gegen Troja zu erreichen, zuerst seinen Sohn Orest opfern will, was daran scheitert, dass auf Initiative Klytaemnestras Orest, geführt von seiner Amme Anastasia, fliehen kann. Tochter Iphigenie, als zweites Opfer gewählt,  wird durch  ein Wunder vorher entrückt..

Im zweiten Akt erleben wir Orest auf einem Jahrmarkt in Athen, wo er sich unwissend – Parsifal ähnlich – durch sein arrogantes Wesen unbeliebt macht, sodaß er von Gauklern verschleppt wird Wichtig für den weiteren Verlauf ist eine von ihm geworfene weisse Kugel, die von Anastasia  einer Statue der Athene  zu Füssen gelegt wird, um sie gnädig für Orest zu stimmen. Diese Szene gibt es in keiner anderen Fassung der Orestie.

Der dritte Akt zeigt den Teil der Handlung, den wir  kennen. Der zurückgekehrte Agamemnon  wird  von Klytaemnestra und Ägisth –  hier mit einem von ihnen gebrauten Gifttrank – ermordet, den ihm Tochter Elektra reichen muß. Sie wird daraufhin vom Pöbel umgebracht, da dieser sie für die Mörderin hält. Orest tötet Ägisth und seine Mutter, wird darauf von dieser verflucht und muß fliehen

Er gerät  in das kalte nordische Reich des Königs Thoas, der sich in die zu ihm gelangte Iphigenie verliebt. Orest wiederum wird geliebt von der Tochter des Königs Thoas namens Thamar. Bruder Orest und Schwester Iphigenie erkennen sich und alle vier ziehen ins sonnige Athen.

Hier soll Orest wegen des Muttermordes verurteilt werden. Das Gericht ist sich uneinig, es liegen sechs weisse und sechs schwarze Kugeln in der Urne. Athene veranlaßt ein kleines Mädchen die weisse Kugel, die damals Anastasia zu ihren Füssen niedergelegt hat, in die Urne zu werfen und damit Orest von der Anklage zu erlösen. So kommt es zum happy end von Orest und Thamar, König Thoas und Iphigenie und gewaltigem Finale.

Diese Handlung fand statt in einem dreigeteilten Bühnenbild von Monika Biegler. Auf einem hinteren Rundhorizont sah man Projektionen. ( Aron Kitzig) Etwa schon vor Beginn und zwischen den einzelnen Bilder konnten in der Mitte sitzende Zuschauer durch einen Spalt im Vorhang das Foyer des Theaters Münster erkennen. Später sah man dann auf diesem Rundhorizont u.a. Bilder Griechenlands, darunter ein Kreuzfahrtschiff, oder Katzen, die wohl Kreta andeuten sollten. Davor  – hinten auf der Bühne – wurden Bühnenteile hin- und hergeschoben oder Scheinwerfer ausprobiert, vielleicht, falls jemand vergessen haben sollte, dass man im Theater sass. Vorne gab es eine Spielfläche seitlich begrenzt von weissse Plastiksesseln, die früher ja so häufig auf Bühnen zu sehen waren. Natürlich wurden sie bei Bedarf umgeworfen  oder dienten als angedrohtes Wurfgeschoß. In der Jahrmarktsszene trugen alle rote Knollennasen – wie witzig? Der erste Teil der abschliessenden Gerichtsszene fand bei beleuchtetem Zuschauerraum  vor dem Vorhang statt. Der betreffend Verurteilung oder Freispruchs Orests unentschlossene Oberrichter  Aristobulos (wie immer ganz großartig in Stimme und Ausdruck Gregor Dalal) kam aus dem Publikum – die Zuschauer dann quasi als Richter.

Die wenig originellen Kostüme (auch Monika Biegler) waren heutige Alltagsklamotten, der Chor in heller Bekleidung. Weibliche Mitglieder der Königsfamilien trugen zusätzlich Pelzmäntel.

Unter den zahlreichen Gesangssolisten sei zuerst Johan Hyunbong Choi in der Titelpartie gelobt. Bei guter Textverständlichkeit drang sein ausdrucksstarker Bariton  über starke Orchesterklänge hinweg, auch leise Töne und kantable Gesangslinien (einmal ohne Orchester) gelangen ihm, dies alles besonders, wo er im fünften Bild sein bisheriges Wanderleben – Franz Schubert läßt grüssen –  als nutzlos empfindet und angeregt durch den Gesang eines Hirten sich zur Rückkehr in die Heimat entschließt. Auch diesen Hirten sang in gewohnt grosser Form Gregor Dalal, mußte dabei aber ganz unsinnig einen Plastikstuhl reinigen. Grossartig gelang Choi auch der Verteidigungsgesang des Orest vor dem Vorhang in direkter Ansprache an das Publikum.

Bewundern konnte man auch Margarita Vilsone als Elektra mit ausdrucksvollem in der Höhe vielleicht manchmal etwas stark forcierendem Sopran, besonders in ihrem längeren Monolog in einer Gefängniszelle auf der Bühne.  Robyn Allegra Parton als Königstocher im kalten Nordland fiel neben ausdrucksvollem Gesang durch gelungene Koloraturen auf. „Vogelstimme“ nennt sie ihr Vater Thoas.  Brad Cooper als Agamemnon verfügte über einen durchdringenden Tenor, leider mit Vokalverschiebungen  und wenig textverständlich. Wie andere Sängerinnen und Sänger auch mußte er dabei meist passend zur Musik körperliche Verrenkungen durchführen. Über einen klangvollen Sopran verfügte auch Katharina Sahmland als Iphigenie, sodaß das Quartett mit ihr, Thamar, Orest und Thoas am Ende des vierten Aktes zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends wurde –  gesungen mit Klavierauszügen.

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Garrie Davislim, Brad Cooper, Wioletta Hebrowska. Foto: Martina Pipprich

Die undankbare Tenor-Partie des Aegisth sang – auch schon in vergangenen Spielzeiten gelobt  Garrie Davislim.  Nicht ganz so gut gefiel Wioletta Hebrowska als unglückliche Klytaemnestra.  Helena Köhne sang die besorgte Amme Anastasia.

Grossen Anteil an der Aufführung hatten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Anton Tremmel. Die vor Beginn vieler Szenen von Krenek vorgeschriebenen „Chorstimmen im Orchester“ kamen allerdings vom Bühnenhintergrund oder aus einer Empore im ersten Rang. Sonst war der Chor zu bewundern vor allem als wankelmütiges, im Anfang kriegsmüdes Volk  Die Damen wirkten zusätzlich als Strassenmädchen in der Jahrmarktsszene.  Alle bewegten sich häufig, wie auch Solistinnen und Solisten,  im Rhythmus der Musik (Choreografie Alexander Novikov),  z.B. mal ein Tänzchen zur Walzermusik, mal ein Totentanz nach der Ermordung von Aegisth und Klytaemnestra.

Das eigentlich nur zum Schluß für das Werfen der entscheidenden weissen Kugel vorgesehen Mädchen war fast während der ganzen Oper auf der Bühne zu sehen (Riccarda Tolmein)

Zur „grossen Oper“ passte ein grosses Orchester einschließlich etwa Baßtuba, grossem Schlagzeug (vier Sorten Trommel, Kastagnetten, Tamburin, Glocken), Klavier und sogar einem Banjo. Die zwischen farbenreicher Spätromantik (z.B. Beschreibung der Seefahrt von Nordland nach Athen) und Jazz-elementen (etwa einem Blues zur Jahrmarktsszene) und allen Stilen dazwischen teils sehr rhythmische Musik (Totenfeier für Agamemnon) wurde  eindrucksvoll und gelungen gespielt vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg. Seine umsichtige Gesamtleitung sorgte  zudem für grosse musikalische Übereinstimmung zwischen Orchester und Bühne.

Im hymnischen Schlußchor rühmten sämtliche Solistinnen und Solisten – auch die vorher Verstorbenen – und der grosse Chor die Macht der Gnade, dies vor einer Projektion des Theaters Münster – eine Idee, die ähnlich vor langer Zeit schon einmal zum Schluß einer Aufführung von Mozart´s „Entführung“ vorkam, damals die Vorderseite des Theaters.

Das Publikum im  vollbesetzten Parkett reagierte mit nicht übermässig enthusiastischem Beifall und einigen Bravos vor allem der Besucherinnen und Besucher aus den Rängen.

Sigi Brockmann 3. Oktober 2022

 

 

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