Theater Münster – Richard Strauss „Elektra“
besuchte 3. Vorstellung 27. Dezember 2022 – Premiere 18. Dezember 2022
Margarita Vilsone, Rachel Nicholls, Helena Koehne, Ensemble. ©: Martina-Pipprich
Die Tragödie in einem Aufzuge „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal in der Vertonung von Richard Strauss beginnt bekanntlich mit einem Motiv entwickelt aus dem Namen „Agamemnon“ Dies in mächtigem ff gespielt vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von Golo Berg liessen vergessen die vorher gezeigten Videos vom Blumen-gießenden Richard Strauss vor Kriegskulissse (Lukas Rehm) wie auch die gegenüber dieser Elektra weitgehend harmlose Vertonung von Ernst Krenek aus demselben Mythenkreis, die wir als letzte Opern- Premiere in Münster erlebten. Auch weiterhin bis zum gewaltigen Schluß gelangen dem Orchester bei musikalisch akzentuierten Höhepunkten die harmonischen Reibungen durch polytonale Akkordfolgen, auch die lautmalerischen Akzente etwa bei Elektras Graben nach dem Beil oder der Klang der Ruten in den Szenen der Mägde. Ganz gegenteilig klangen wunderbar melodisch etwa die Begleitung zu Elektras Darstellung vom gewünschten Eheglück ihrer Schwester Chrysothemis, ruhig und erhaben die Bläser beim Auftritt und der Erkennungsszene des Orests und dem sonoren Erkennungsmotiv. Voll entfalten in Dynamik und instrumentaler Vielfalt konnte sich das Orchester in den Zwischenspielen, etwa vor dem Auftritt von Orest. Ihm und dem Dirigenten gebührt das größte Lob des Abends. Das Tempo entsprach wohl den Angaben von Strauss, der dies ja auf deutsch, italienisch und häufig als Metronomzahl angibt.
Gleichzeitig wurde die Lautstärke wenn passend so weit zurückgenommen, dass die Gesangssolisten nicht übertönt wurden. Rachel Nicholls als Elektra verfügte für die Partie der „allerhochdramatischsten Sängerin“ (R. Strauss) nicht gerade über eine „Trompetenstimme“, blieb aber immer über dem gewaltigen Orchester hörbar. Dies gelang aber nur selten ohne Vibrato. Unglücklicherweise mußte sie den ersten grossen Monolog bis zum hohen c der „königlichen Siegestänze“ teils versteckt unter einem Stuhl teils liegend singen. Bei dem grossen Stimmumfangs der Partie gelangen tiefe Töne, auch kantables Legato, etwa als sie ihrer Schwester Hilfe beim Eheglück versprach. Berührend gestaltete sie die Wiedererkennung mit ihrem Bruder Orest.
Rachel Nicholls (vorne), _hinten Hasti Molavian, Helena Koehne, Margarita Vilsone, Robin Allegra Parton, Garrie Davislim, Johan-Hyunbong-Choi. Foto: Martina Pipprich
Hochdramatisch und ohne falsches Vibrato sang Margarita Vilsone ihre Schwester Chrysothemis. Ergreifend gelang ihr bei Darstellung der Freuden des erwünschten normalen Ehelebens die Vokalise auf Weiberschicksal. Ihr blieb auch genügend Stimmkraft für das Schlußduett mit Elektra, in dem beide Schwestern stimmlich gewaltig über das Orchester hinweg ihre Gefühle darstellen konnten.
Helena Köhne als Klytämnestra beherrschte die ganz tiefen Töne ihrer Partie, auch im pp, und konnte auch weitgehend textverständlich stimmlich ihre geistige Zerrüttung, ihre verzweifelte Suche nach Linderung ausdrücken. Ihr grosses Solo war ein stimmlicher Höhepunkt des Abends. Auch Johan Hyunbong Choi brachte mit wandlungsfähigem Bariton stimmlich zum Ausdruck die Ergriffenheit beim Wiedersehen mit Elektra, Entschlossenheit zum und Schauder vor dem Muttermord..
Die kurze Partie des Aegisth sang als Gast Aaron Cawley vom Staatstheater Wiesbaden.
Alle kleineren Partien wurden passend gesungen, besonders erwähnt sei Robyn Allegra Parton als fünfte Magd, die als einzige Sympathie für Elektra ausdrückt, mit einem leuchtenden Spitzenton bei „was ihr an Elektra getan“
Betreffend Bühne folgen Hofmannsthal und Strauss dem Vorbild des Sophokles, wo die dramatische Handlung sich hinter einer Fassade vollzieht und auf der Bühne davor in Monologen und Zwiegesprächen erzählt wird. Das konnte einem Regisseur wie Paul-Georg Dittrich nicht genügen – so erfand er unabhängig von der Musik eine übermässig bebilderte auch durch zu viele projizierte Texte von der eigentlichen Handlung ablenkende „Zeitreise“ die von der Entstehungszeit der „Elektra“ bis zu Beginn dieses Jahrhunderts führte. Hintergrund war die Fassade des von den Nationalsozialisten in München erbaute „Haus der Deutschen Kunst“, das mittels Drehbühne auf weitere Schauplätze wie unter anderen der in einem Opernhaus dirigierende Richard Strauss oder etwa das brennende Wohnmobil der NSU-Rechtsterroristen ausgedehnt wurde. (Bühne und Lichtdesign Christoph Ernst). Detektivisch suchten zwischendurch Kommissar Thiel und Professor Börne – wohl vergeblich – nach dem Zusammenhang zwischen solchen Szenen und der Musik.
Johan Hyunbong- Choi, Rachel Nicholls, Hasti Molavian, Helena Koehne. Foto: Martina Pipprich
Auch die Kostüme (ebenfalls Christoph Ernst) bildeten diese Zeitreise ab. So trat Elektra nacheinander gekleidet in einem Jung-Mädels-Kleid, einer SS-Blondine und grossem Ball-Kleid auf, dies gerade, als sie zu Orest vom ihrem elenden körperlichen Zustand erzählt. Zum Schluß wurde sie kostümiert als Beate Zschäpe, wohl um ihre Radikalisierung darzustellen, wobei Elektra ja eigentlich von Anfang an radikalisiert ist und Beate Zschäpe wohl keinen Vatermord rächen wollte. Ganz unverständlich blieb die Darstellung von Klytämnestra und Aegisth als A. Merkel und G. Schröder (mit Zigarre) – diese doch im Gegensatz zu den beiden durch Mord zur Macht gelangten Gewaltherrschern in demokratischer Wahl in ihr Amt gewählt. Unverändert blieb während des ganzen Stücks lediglich die Kostümierung der Mägde als jeweils schmarotzende Kakerlaken – Elektra nennt sie „Schmeißfliegen“ und „Gewürm“ – die sich angepaßt umgehend danach über die Ermordung ihrer Herrin Klytämnestra freuten. Zu den abschliessenden beiden fff-Akkorden reckte Elektra alias B. Zschäpe dann triumphierend das Beil in die Höhe.
Wioletta Hebrowska, Maria-Christina Tsiakourma, Rachel Nicholls, Hasti Molavian. Foto: Martina Pipprich
Das Publikum im gut besetzten Parkett – wohl zum grossen Teil Abonnentinnen und Abonnenten – begann nach kurzer Pause mit zögerlichem Beifall, der sich neben den drei Hauptdarstellerinnen vor allem für den Dirigenten und sein Orchester steigerte.
Sigi Brockmann 28. Dezember 2022