Münster St.-Paulus-Dom – 6. Mai 2017 – Berlioz Requiem
Viele grosse und nicht so grosse Komponisten haben das „Requiem“, die lateinische Totenmesse, vertont. Keiner hielt dafür so viele Mitwirkende für notwendig wie Hector Berlioz in seiner „Grande Messe des Morts“ op. 5 für ganz grosses „Hauptorchester“ einschließlich viel Schlagwerk , gemischten Chor von mindestens 210 Stimmen aber nur einen Solo-Tenor. Zusätzlich sollte in jeder der vier Himmelsrichtungen ein Blechblasorchester platziert werden, was passend war für den Ort der Uraufführung, den Dôme des Invalides – einen Kuppelbau – in Paris, die stattfand im Jahre 1837 als Trauerfeier für einen verstorbenen General.
Foto: Sigi Brockmann
Für die Aufführung im St.-Paulus-Dom wirkten an Orchestern und Chören alle mit, die in einer Stadt der Grösse Münsters zur Aufführung des gewaltigen Werks beitragen konnten, vor allem natürlich das Sinfonieorchester Münster. Hinzu traten das Orchester der Musikhochschule Münster und das Jugendorchester der Westfälischen Schule für Musik (Einstudierung Tor-Song Tan) An Chören nahmen teil der Konzertchor Münster (Einstudierung Boris Cepeda Studienleiter am Theater), der Philharmonische Chor Münster (Einstudierung Martin Henning) sowie die Capella vocale Münster (Einstudierung Daniel Lembeck). Initiator des gigantischen Projekts und Dirigent der Aufführung war der zum Ende der Spielzeit scheidende GMD Fabrizio Ventura
Dieser sorgte auch gleich mit mit düsterem crescendo zu den chromatisch aufsteigenden Anfangstönen des Introitus und dem ersten „Requiem“ der Chöre für einen andächtigen Beginn., danach folgender Steigerung endend mit erst fast von den Bässen fast nur gemurmelten dann gesteigerten „Kyrie“ Aber gespannt wartete man auf das dem anfänglichen choralartigen „Dies irae“ (Tag des Zorns) folgende„Tuba mirum“ (Posaune Wunderton verbreitend). Diesen Schrecken verbreiteten akustisch die sechzehn Pauken , Wirbeltrommel und zehn Beckenpaare zusammen mit allen verfügbaren Bläsern im Haupt- und den vier Fernorchestern. Letztere waren in allen vier Ecken des Doms in Längsgängen auf halber Höhe aufgestellt Da die hinten stehenden Bläser den Dirigenten nicht sehen konnten, gebührte grosses Lob Marion Wood , die im rückwärtigen Teil im Mittelschiff als Subdirigentin dafür sorgte, daß diese exakt mit dem Hauptorchester und den vorderen Fernorchestern zusammenklangen. Als dann die Bässe mit dem gewaltigen „Tuba mirum“ einsetzten, war die Wirkung überwältigend. Diese wiederholte sich im „Rex tremendae“ (König Zittern verbreitender Majestät), der Dom bebte, geriet aber auf festem Fundament errichtet nicht ins Wanken.
Foto: Sigi Brockmann
Weitere Teile der Chorpartien sind deshalb etwas einfacher zu singen, weil fast einstimmig gesetzt. Hier konnte man das schwebende p aller Chöre bewundern, so etwa in dem immer wiederholten flehenden Motiv des „Offertorium“, was angeblich das qualvolle Warten auf Erlösung der Seelen im Fegefeuer musikalisch ausdrücken soll.
Gemeistert wurden aber auch die schwierigen polyphonen Sätze. Ganz großartig gelang etwa das fugierte polyphone „Quaerens me“ (Mich suchend sassest Du müde) a capella ganz ohne stützendes Orchester, besonders, wenn zu den melodische Oberstimmen die Bässe auf demselben Ton in jeweils vier Achteln „Preces meae“ (Meine Bitten sind unwürdig) fast stammelten. Schwierig für den Chor ist auch das folgende „Lacrimosa“ (Tag der Tränen) Den Gesang des fast tänzerisch anmutenden 9/8 -Taktes stören immer ff-Akkorde der Streicher oder des ganzen Orchesters auf unbetonten Taktteilen, was aus der tänzerischen Melodie wohl eine Art Totentanz machen soll. Da liessen sich die Chöre nicht aus dem Takt bringen.
Das „Sanctus“ beginnt mit einer genial instrumentierten Melodie zuerst der Geigen, dann von vier Solo-Geigen und ganz darüber schwebend einem Flöten Solo, ganz intim gespielt von den Solisten des Orchesters. Dahinein platzte von der Kanzel herab Youn-Seong Shim mit seinem Tenorsolo mit mächtigem Vibrato und forcierten Spitzentönen bis zum hohen b, als wenn er nochmals vor den Schrecken des jüngsten Gerichts warnen wollte – dabei sollte Gottes Heiligkeit gelobt werden. (mf schreibt Berlioz vor) – ganz ätherisch pp klingend begleitete der Damenchor. Kraftvoll und festlich schlossen die Chöre das „Sanctus“ ab mit sauber und als Fuge durchhörbar gesungenem „Hosanna“ , Überhaupt war es erstaunlich, wie gut auf dem Platz des Verfassers vorne hinter dem Hauptaltar die einzelnen Stimmen zu unterscheiden waren, ohne daß sie verwischt klangen
Neben den Massen an Blechbläsern und Schlagzeug gibt es auch für das Orchester intime lyrische Passagen. Sehr andachtsvoll klangen Celli und Kontrabässe, etwa im „Quid sum miser“ (Was soll ich Armer sagen) nach einer wohl die verzagte Seele darstellenden Einleitung von Englisch-Hörnern und Fagotten. Flehend und klagend klang die Einleitung der ersten Geigen zum „Offertorium“, himmlisch die p – dann sf – dann p – Akkorde der Bläser im „Hostias“ (Opfergaben)
Als das letzte „Amen“ begleitet von arpeggierenden Achtel-Akkorden der Geigen und zarten Bläserakkorden, aber auch unterbrochen von leisen Paukenschlägen, verklungen war, brach nach einer andächtigen Schweigeminute im bis auf den letzten Platz besetzten Dom grosser Beifall aus. Der in der ersten Reihe sitzende Oberbürgermeister, für den die ganze Reihe freigehalten worden war, erhob sich als erster, alle anwesenden „Mitbürgerinnen und Mitbürger“ folgten seinem Beispiel und so kam es zu langen stehenden Ovationen mit Bravos für alle Chöre und Orchester, deren Einstudierer, auch für den Tenor, und vor allem für den Dirigenten als Dank für dieses aussergewöhnliche Konzerterlebnis.
Sigi Brockmann 7. Mai 2017