Münster Apostelkirche am 26. November 2016
Mozart Requiem d-moll KV 626 – Fassung Karl Marguerre
Münster Apostelkirche
Opernbesucher im Ruhrgebiet freuen sich immer wieder, wenn sie die inzwischen in ganz Europa (auch in Wien!) und darüber hinaus auftretende Sopranistin Eleonore Marguerre in einer ihrer Rollen angefangen von Monteverdi und Händel über Mozart bis zu Verdi und französischer Oper des 19. Jahrhunderts bewundern können – den Star der Oper Dortmund, zuletzt ganz großartig als Marguerite in Gounods „Faust“ Ein Grund für diese Begabung ist sicher auch ihre Herkunft aus einer vielseitig gebildeten hochmusikalischen Familie. Ihr Großvater, Karl Marguerre, war langjähriger Mathematik-Professor an der TH Darmstadt, ein Jahr lang auch deren Rektor Gleichzeitig gründete er und leitete 30 Jahre lang dort Orchester und Chor der Hochschule. forschte und publizierte über Musik, u.a. über Wolfgang Amadè Mozart..
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Dabei beschäftigte er sich mit dessen Requiem d-moll KV 626, das bekanntlich Mozart bedingt durch seinen frühen Tod als Torso hinterlassen hat. Auf Bitten seiner Witwe Konstanze vollendete es nach Absage anderer Musiker sein Schüler Franz Xaver Süßmayr – von Mozart scherzhaft auch „Sauermayr“ genannt. Ohne diese Vervollständigung würde das Requiem heute nicht aufgeführt!
Trotzdem sind Fachleute seit Johannes Brahms der Ansicht, daß Süßmayr dies nicht besonders passend gelungen sei. Selbst ein Laie empfindet, daß nach dem noch von Mozart fast vollendeten „Lacrymosa“ die Musik zum Teil viel harmloser klingt als in den ersten Sätzen. Deshalb stellte Karl Marguerre eine eigene Fassung her. Eine weitere Enkelin, Dorothee Heath, Geigerin im Sinfonieorchester Münster, hat diese Fassung ihres Großvaters nochmals überarbeitet und GMD Fabrizio Ventura zu einer Aufführung bewegen können, die am letzten Samstag in der ausverkauften Apostelkirche zu Münster stattfand.
Mittelschiff der Apostelkirche
So ist zu verstehen, dass Eleonore Marguerre die Solo-Sopran-Partie sang, Sänger aus Münsters Opernensemble übernahmen die weiteren Solo-Partien, Lisa Wedekind Mezzosopran, Youn-Seong Shim Tenor, und Gregor Dalal Baß.
Einen Unterschied zur gängigen Aufführungspraxis des Requiems zeigte schon ein Blick auf das Sinfonieorchester Münster. Man sah die üblichen Streicher, Trompeten und Posaunen, bei den Holzbläsern Fagotte und Bassett-Hörner (einer Art tiefer gestimmter Klarinette.), die Mozart für die von ihm vollendeten Teile verwendete. Süßmayr hatte dann ohne grosse musikalische Phantasie diese Besetzung für das gesamte Requiem beibehalten.. Zusätzlich sah man jetzt Flöten, Oboen und Klarinetten, die Marguerre hinzugefügt hat. Aus Vergleichen mit Begleitung der Singstimmen in anderen Werken Mozarts sowie der für die Zeit typischen Zuordnung mancher Instrumente zu bestimmten Tonarten begründete er diese Erweiterung der Instrumentation. Er setzte sie ein, wo z.B. Hoffnung auf Erlösung beschrieben wird,, etwa im „Sanctus“ und „Benedictus“. Solch tiefgreifende Änderung der Instrumentation ergibt für diese Teile der Totenmesse eine hellere Klangfarbe im Vergleich zu Süßmayr und erscheint deshalb logisch – Mozarts endgültige Vorstellungen kennt ohnehin niemand!.
Wo Karl Marguerre satztechnische oder harmonische Ungereimtheiten bei Süßmayr fand, ersetzte er sie durch Passagen aus anderen Teilen des Requiems, sodaß alles immer „Mozart“ blieb.
Diese Änderungen konnten Zuhörer ohne genaue Kenntnis des Requiems allerdings kaum bemerken.
Zudem nahm Fabrizio Ventura wie von ihm bei Mozart gewohnt recht schnelle Tempi, was dem Konzertchor Münster in der Einstudierung von Boris Cepeda manchmal Schwierigkeiten bereitete. Allerdings werden in einer frühgotischen Hallenkirche bei schnellen Chorsätzen die einzelnen Stimmen leider ohnehin oft nur schwierig für den Zuhörer akustisch nachvollziehbar. Als Beispiele seien erwähnt die schnellen mehrstimmigen Sechzehntel bei „Christe eleison oder das fugierte „Quam olim Abrahae“ (Was Du einst Abraham versprochen) Im „Confutatis“ (den Verdammten) war eindringlich zu hören der Gegensatz zwischen den punktierten Sechzehntel-Noten der Strafe androhenden Herren und den „Sotto voce“ – Bitten der Damen um Aufnahme zu den Seligen (voca me cum benedictis) – dank Marguerre von „zarten“ Flötentönen
begleitet. Sehr gut gelang dann der schwierige vom Beginn wiederholte Schlußchor „Cum sanctis“ (Mit den Heiligen)
Da es sich hauptsächlich um ein Chorwerk handelt, haben die Solisten keine besonders herausragenden Anforderungen zu bewältigen..Nach der gewaltigen Solo-Posaune des jüngsten Gerichts konnte Gregor Dalal zu Beginn des „Tuba mirum“ mit stimmlich grossen Intervallen bis zu ganz tiefen Tönen glänzen. Natürlich bewunderte man Eleonore Marguerre beim kurzen Solo zu Beginn „Te decet hymnus“ (Dir gebührt Lobgesang) und dem ebenso kurzen Adagio-Solo „Lux aeterna“(Das ewige Licht) In die gemeinsam gesungenen Stellen der Solisten fügte sie sich zurückhaltend ein, was man vom Tenor nicht behaupten kann.
Das Sinfonieorchester Münster ließ die meisterhafte Instrumentation Mozarts (und Marguerres) eindrucksvoll erklingen, etwa mit starken Akzenten der Posaunen schon vor dem ersten Einsatz des Chores, dem furios-gespielten „Dies irae“, den schnell gespielten punktierten Sechzehnteln im „Rex tremendae“ , den ausdrucksvollen Seufzern im „Lacrymosa“ oder dem wehmütigen Duett von Cello-Solo und Bassett-Hörnern im „Recordare“
Was Mozart immer wieder fast ohne Erfolg versuchte, nämlich eine feste Anstellung zu bekommen,
gelang dem durch zahlreiche Kompositionen bekannt gewordenen Ulrich Schultheiss, er ist Professor an der Musikhochschule Münster. Vor dem Mozart-Requiem wurde sein bereits 2014 entstandenes Violinkonzert unter dem Titel „Und doch suche ich weiter“ durch den Geiger aus dem Orchester Münster Mihai Ionescu und das Sinfonieorchester Münster wieder unter Fabrizio Ventura uraufgeführt. In virtuosen Passagen und lyrischen Momenten konnte der Solist sein Können zeigen. Trotz grosser Bläserbesetzung und Einsatz von teils exotisch klingendem Schlagzeug wurde der Solist nie übertönt, was die kompositorische Erfahrung von Ulrich Schultheiss zeigt..Eine Zusammenhang mit dem folgenden Requiem oder ein Grund für die Uraufführung in einer Kirche war allerdings nicht zu erkennen.
Für beide Stücke wurde applaudiert, beim Requiem hätte es noch mehr sein können, vielleicht hielt sich das Publikum nach einer Totenmesse noch in der Woche nach Totensonntag auch mit Beifallskundgebungen zurück.
Sigi Brockmann 28. November 2016