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MÜNCHEN/ Residenztheater: PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG von Heinrich von Kleist

29.09.2015 | Theater

MÜNCHEN/Residenztheater: PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG von Heinrich von Kleist
Premiere zum Saisonauftakt am 25.September 2015 Besucht wurde die Vorstellung am 27. September 2015

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Oliver Nägele (Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg), Shenja Lacher (Prinz Friedrich Arthur von Homburg Foto: Andreas Pohlmann

Was für ein glänzender Theaterdichter Kleist doch war! Regisseur David Bösch legt in seinem auf neun Personen kammerspielhaft verschlankten „Prinz Friedrich von Homburg“ das Baugerüst des Stücks mutig frei, klopft es ab auf Kernsätze und entscheidende Wendepunkte. Und lässt das Münchner Publikum dann in kurzweiligen 100 Minuten den ganzen Zick-Zack-Kurs der traumhaft-alptraumhaften Handlung wie auf einer rasanten Achterbahn mitvollführen. Da hat General Homburg etwa gerade der Kurfürstin die freudig-schreckliche Botschaft vom Sieg und Tod ihres Gatten überbracht – schon nutzt er den Schockmoment, entlockt der Nichte des Verstorbenen das ersehnte Eheversprechen und empfiehlt sich gar als Nachfolger an der Heeresspitze. Und dann plötzlich: Ein Missverständnis! Der Kurfürst lebt! Wie sie da alle kurzzeitig ins Bodenlose stürzen, um Fassung ringen – das hat ebenso boulevardesken Witz wie zutiefst tragische Dimensionen.

Man merkt: Bösch liebt diese Ambivalenzen, diese Momente, in denen Situationen unvermittelt kippen. Und an solchen Gefühls-Wechselbädern hat Kleist – der Krisen- und Katastrophendichter per se – bekanntlich nicht gespart. Kurz innegehalten und dann weiter: Das 1810 vollendete Drama um die historische Schlacht bei Fehrbellin, um Homburgs Befehlsmissachtung, Verurteilung und Begnadigung läuft wie am Schnürchen.

Reduktion herrscht auch im kargen Einheitsbühnenbild von Falko Herold. Eine sich verjüngende Marmortreppe führt nach hinten ins schwarze Nichts. Sie isoliert die Figuren und stellt zugleich jede ihrer Aktionen klar sichtbar aus. Nur wenige farbige Requisiten und Kostüme glimmen aus diesem grauen Einerlei hervor: Mal ein neongelber Tennisball, mal ein rotsamtenes Kleid – oder der grüne Lorbeerkranz, den Homburg für sich zu erringen träumt. Wo sind nur die hellen Strahlen und Sonnen, die im Text ständig herbeigesehnt werden? Hier herrscht kaltes Ober- oder Gegenlicht oder das Blitzgewitter der Schlacht (Licht: Tobias Löffler). Selbst aus der „Paradiesgarten“-Szene am Anfang gähnt bei Bösch/Herold bereits die Leere der nachfolgenden Krieg- und Kerkerbilder. Nächtliche Nebelschwaden hüllen den schlafwandelnden Prinzen ein – oder ist es Pulverdampf?

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Ulrike Willenbacher (Die Kurfürstin), Friederike Ott (Prinzessin Natalie von Oranien), Shenja Lacher (Prinz Friedrich Arthur von Homburg), Franz Pätzold (Rittmeister von der Golz), Oliver Nägele (Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg), Gerhard Peilstein (Obrist Kottwitz), Simon Werdelis (Graf Reuß) Foto: Andreas Pohlmann

Schon bei Kleist vermischen sich die Sphären und Schauplätze ja merkwürdig: Da treffen sich die Offiziere im Schloss, um den Plan für die kriegsentscheidende Schlacht zu besprechen, während am Nebentisch Kurfürstin und Natalie beim Frühstück auf ihre Abfahrt warten. Der Kurfürst – hier sorgender Familienvater, dort oberster Befehlshaber – legt offenbar keinen Wert auf Trennschärfe zwischen privater Familienangelegenheit und preußisch-militärischer Truppenführung. Kein Wunder, dass auch „Vetter“ Homburg Begriffe und Begehrlichkeiten durcheinandergeraten. Bösch konzentriert schlicht, was bei Kleist schon steht, wenn er dessen Militärwelt und -personal nun ganz in großfamiliären Strukturen aufgehen lässt, als deren heimlicher Mittelpunkt sich Homburg wähnt: Mit Fürst und Fürstin als verständnisvollen Eltern, den Offizieren als Brüdern – und Natalie als treuer Schwester (weit mehr denn als begehrtes Liebesobjekt). Der Traum von Ruhm und Anerkennung gerät hier zum Wunsch nach bedingungslosem familiärem Aufgehobensein. Und so bedeutet es nachvollziehbar den Totalverlust, die Katastrophe, wenn der Kurfürst sich gegen den ungehorsamen Sohn plötzlich starr auf preußisches Militärrecht beruft. Shenja Lacher, ein unruhig-sanfter Prinz, durchlebt alle Stadien des Verlusts, von Unglauben über Trotz bis zur nackten Angst, in der er hemmungslos regressiv vor der steifen Mutter-Fürstin zusammenklappt. Lacher hält wunderbar die Balance zwischen kindlicher Ichbezogenheit, Überheblichkeit und tiefster Verstörung.

Das Todesurteil, durch’s Mikrofon der breiten Öffentlichkeit kundgetan, kann der Kurfürst so leicht nicht zurücknehmen. Oliver Nägele spielt ihn als Patriarchen, der wohl selbst bedauert, den Bogen so überspannt zu haben. Doch – um der lieben Ruhe als höchstem Ordnungsprinzip willen – muss der Sohn in seine Schranken gewiesen werden: Sein Platz ist festgeschrieben, zum Konkurrenten oder Stellvertreter soll und wird er es nie bringen. Nägele sitzt aus, lässt jede Hysterie an sich abprallen, jede Argumentation ins Messer laufen, agiert dabei mit größter Zurückgenommenheit. Und wird so zum heimlichen unheimlichen Hauptdarsteller des Abends.

Ob Homburg wohl im Tod ein Ersatz-„Zuhause“ finden könnte? Die beiden Schlussvarianten – Hinrichtung oder Show-Begnadigung – versuchen das offen zu halten, vermitteln aber leider vor allem Unentschiedenheit. Und sicher bleibt in der psychologischen Lesart auch so manche politische Brisanz, subversiv-anarchische Schärfe auf der Strecke. Doch dafür gelingt Bösch ein durchweg packender, fein gearbeiteter und mit großartiger Schauspielkunst bekränzter Theaterabend.

Christine Mannhardt

Nächste Vorstellungen: 03., 09., 24. Oktober, 15., 22. November 2015

 

 

 

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