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MÜNCHEN/ Residenztheater: DON KARLOS von Friedrich von Schiller

Inszenierung: Martin Kušej

05.10.2018 | Theater

München/Residenztheater 3. Okt. 2018

Don Karlos von Friedrich Schiller -Inszenierung: Martin Kušej

Einlassungen von Tim Theo Tinn

Ist es so? Kommen und Gehen aus finsterer Unendlichkeit!

Noch nie hat der Rezensent eine Aufführung erlebt, in der der leere völlig finstere Raum so eine durchwirkende Macht entwickeln konnte.                                                                            

Eine Drehbühne führt in völlig schwarze, finstere Welten mit ab und an gleißendem quadratischen Beleuchtungskranz (ein Ufo?) sowie einem Raum aus überdimensionierten Elementen, die an Pyramiden Schaumstoff (s. Akustik HIFI) erinnern = Schutz und Dämmung, ganz in monochromem Indigo. Der Farbe sind mystische Eigenheiten zugeschrieben. Im alten Ägypten wurden Mumien damit umwickelt, in Bewusstheit zu spiritueller Kraft, Liebe, Freiheit, Hellsichtigkeit. (s. auch Indigo-Menschen mit spirituellem Bewusstsein: unangepasste Zeitgenossen bzgl. alter Strukturen, Hierarchien, Autoritäten u.a.).  Kommen und Gehen der Wesenheiten geschieht oft nahezu somnambul unwirklich aus rabenschwarzem Dunkel/Nichts, gespenstisch umschattet in die Aufmerksamkeit schweigender Gegenwärtigkeit – aus spiritueller Unendlichkeit in konkretes Sein endlicher Realität.  

                         
Nils Strunk (Don Karlos) in mystischem Indigo (C) Matthias Horn   

 Raffinierte Ausleuchtung: wechselnde Lichtkegel lassen Akteure im Mittelpunkt stehen, aber auch in zunehmendem Dunkel und Schatten agieren. So entstehen dynamische Wechsel vom gleißenden Licht in Schatten, Finsternis und sich in dunklem Nichts auflösenden Charakteren.


v.l. Thomas Loibl (Philipp II), Franz Pätzold (Marquis von Posa) -(C) Matthias Horn –              

Lichtkranz oder Ufo mit außerirdischem Einfluss?

Die Inszenierung ist völlig heutig, werkimmanent, stimmig. Es gibt keine Ausflüge in eigenwilliges Phantasma und Hinzufügungen des Inszenators – brillante Sichtung und Aufbereitung Schillers Klassiker 231 Jahre nach Entstehen. Große Hochachtung vor der völligen Zurücknahme und Reduktion zu einem wirkungsmächtigen großen Schauspielabend.  Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern nichts mehr weglassen kann“ Antoine de Saint-Exupéry.

Handlung s. Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Don_Karlos_(Schiller)

Grübeln und reflektieren durch Bewegendes, Er – und Aufregendes: schon in der Exposition beginnt ein spannender Diskurs: familiär-soziale Intrigen, politisch-gesellschaftliche Konflikte und Tragödie, Freiheit und Toleranz, Liebeskonflikte zwischen Karlos Elisabeth und Eboli. Konflikt zwischen Vater und Sohn und dessen Freund Posa, Staatsräson, Konsenzrealität versus Moral und Wahrhaftigkeit. Diese Gemengelage öffnet turbulentes Kopfkino:

Regisseur Martin Kušej sieht im Drama Don Karlos düsterste Dystopie, den Gegenentwurf von Utopien, somit wird die fiktionale Historie mit negativem Ausgang Metapher unserer Konsenzrealität.

Dies kann man als zukunftspessimistisches Szenario unserer Gesellschaft deuten aber auch als Warnung vor einer erschreckend fatalen Zukunft. Visionen und Schreckensvisionen sind wie Wünsche und Träume am äußersten Rand aller Parallelwelten, Variantenräume, der Matrix in feinstofflichem Kosmos, deren Realisierung gering aber nicht völlig auszuschließen ist, wie ein Lottogewinn. Tatsächlich haben wir konkrete Mittel zu einer guten Welt. Aus der Quantenphysik entwickelt, besteht folgende These: wenn eine Anzahl aus der Wurzel von einem Prozent der Weltbevölkerung ihre energetische Kraft zur Veränderung nutzt, können sich Absichten zu Neuem transformieren und manifestieren. Diese Aufgabe stimuliert diese Inszenierung.

Hier verweise ich auf Dramaturgische Schriften Tim Theo Tinn 1 -5, sowie Gedanken zu gesellschaftlichen Theater-Reflektionen im Feuilleton des Oneline-Merkers. (https://onlinemerker.com/gedanken-zu-inszenierungskonzeptionen-i-s-gesellschaftlicher-theaterreflektionen-von-tim-theo-tinn/).

Und erleben wir nicht zusehends gewaltige Auflösungen bisheriger beherrschender Strukturen in der Offenbarung ihrer Erbärmlichkeit, geradezu als bittere Parodien ihrer selbst?

Politik wird augenscheinlich immer mehr von Warmduschern oder Personen mit fragwürdiger intellektueller Struktur bestimmt, mit unverhohlen brutalem Lobbyismus zum Kapital und Vernachlässigung der Menschen. Ist der aufbäumende Rechtspopulismus Zeichen neuer Wertorientierung oder Ergebnis bzw. Wertung bestehender Systeme? Die Menschen sind dem Bewusstsein der Weimarer Republik entwachsen, es wird kaum noch einmal einen herrschenden Rechtspopulismus geben. Aber er dient derzeit zum Auflösen der tradierten politischen Systeme – derzeitigen Wahlumfragen belegen den Weg gesellschaftlicher Transformation im vorgestellten Sinn. Man will diese Leute nicht mehr. Zur Manifestation braucht es nun allerdings geeignete Alternativen, die sich finden müssen.

Damit ist die Legislative – gesetzgebende Gewalt – beschrieben.

Die Verirrung der Executive – der ausführenden Gewalt – machen sich an den ekelhaften Machenschaften um den Präsidenten des deutschen Verfassungsschutzes fest.

Die Judikative –rechtsprechende Gewalt – hat bis heute ihre Vergangenheit aus dem Nationalsozialismus nicht überwunden. s. https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2016-10/nationalsozialismus-bonner-republik-bundesjustizministerium-akte-rosenburg)  Dem Rezensenten sind eine hohe Zahl aktiver Richter bekannt, die ungeschoren kriminell sind (Beispiel: ne bis in idem, Dispositionsmaxime).

Religionen: Katholizismus steht für historische Inquisition und aktuelle tausendfache Kindervergewaltigung mit sabberndem Bedauern. Islam wird durch Mordhorden identifiziert. Glauben wird durch Aufgabe von Moral in Finsternis geführt.

Banken dürfen unbeschadet als kriminell betitelt werden und haben jegliches Prestige verloren. Der Chef einer der ehemals größten deutschen Banken, die sich durch Milliarden-Strafen wegen Kriminalität augenscheinlich in Selbstauflösung befindet, war jahrelang enger Berater und Vertrauter der deutschen Regierungschefin.

Bereiche der Automobil-Industrie haben Kunden betrogen und taktieren nun statt Farbe zu bekennen – Besserung ist da nicht angesagt.

Energieversorger haben offensichtlich kein ökologisches Interesse, wie man an aktuellen Braunkohleaktivitäten und Atompolitik erkennt.

Noch geht es in unserer „Wirtschaftsethik“ um gnadenlose Gewinnmaximierung, desaströses ökologisches Gewissen und Ausbeutung von Menschen.

Selbst die Landwirtschaft verkommt mit Massentierhaltung, Gentechnik u.a.

 Diese Liste lässt sich fortsetzen – gemein ist allen: das Deckmäntelchen heuchelnder Wohlanständigkeit ist gefallen.


v.l. Meike Droste (Eboli), Thomas Lettow (Domingo), Thomas Loibl (Philipp II), Lilith Häßle (Elisabeth), Statisterie -(C) Matthias Horn 

Der Begriff Heuchelei durchweht den ganzen „Don Karlos“.  Finstere Unredlichkeit und aufgetragene Unbekümmertheit führen zur finalen Katastrophe. Die Inszenierung zeigt eine  Metapher zum geeignetem Bewusstsein einer möglichen Besserung.

Die Kostüme haben hohen dramaturgischen Impetus. Durchgehend im schwarzen Dunkel der Bühne gehalten, erscheint Kleidung zunächst zeitlich/lokal diffus, verdichtet sich dann aber immer mehr zu einem historisch verorteten Rahmen, der auch Übersinnliches berührt. Ausgehend von der Historie berührt die Optik Figuren des Federico García Lorca, der französischen Revolution und des Vampir -Monsters Nosferatu. Kommentar zu seinem filmischen Denkmal: „Seht her, wohin das alles geführt hat!“  

Insgesamt ein hervorragend organisch vernetztes Schauspiel -Ensemble, die dem „dramatisches Gedicht“ von 1787 den völligen Duktus heutiger Sprache geben. Ganz besonders hervorheben will ich die Elisabeth der Lilith Häßle und den Karlos des Nils Strunk. In großartiger Sensibilität haben sie ihre Figuren durchdrungen und angenommen. Die Kunstsprache liegt schwerelos in der Maske zur mühelosen Diktion jeden Ausdrucks. Mit etwas Unwohlsein will ich mich auch zum durchaus großen Talent Franz Pätzold äußern. N. m. E. verläuft er sich z. T. in gefälligem Chargieren. Sein Spiel scheint mehr aufgetragen als durchdrungen und vereinnahmt,– damit bewegt er sich auch nicht in der interpretierten Figur, sondern im Äußeren. Das erinnert an den jungen Harald Junke. Die guttural angelegte Sprache wird zum schnarrenden Knarzen, natürlich mit originellem Wiedererkennungswert, aber die Feinzeichnung wird untergeordnet.

Besetzung.: https://www.residenztheater.de/inszenierung/don-karlos

 

  1. Okt. 2018

Tim Theo Tinn berichtet aus dem Residenztheater München

 

 

 

 

 

 

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