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MÜNCHEN/ Reithalle/Gärtnerplatz-Produktion: LILIOM von Johanna Doderer. Uraufführung

05.11.2016 | Oper

München, Reithalle – „Liliom“ von Johanna Doderer (Uraufführung am 4.November 2016)

Der Premierenerfolg von „Liliom“ des ungarischen Autors Ferenc Molnár am 7. Dezember 1909 war keineswegs rauschend. Das Publikum hatte dem durchaus beliebten Verfasser von Lustspielen und Boulevardkomödien nicht verziehen, dass er diesmal ein sozialkritisches Stück geschrieben hatte. Erst die Übersetzung durch Alfred Polgar ins Deutsche und die Übertragung der Handlung aus dem Budapester Stadtwäldchen in den Wiener Prater für die Wiener Premiere 1913 ebnete den Weg zum Welterfolg. Und an diesen Misserfolg hatte Molnár wohl gedacht, als er die Anfrage von Giacomo Puccini den „Liliom“ als Oper zu vertonen, ablehnte. „Die ganze Welt würde nur noch von einer Puccini-Oper sprechen, so aber bleibt es ein Stück von Molnár“, soll er gesagt haben.  Erst in den 40er Jahren des 20.Jahrhunderts gestattete er Richard Rogers und Oscar Hammerstein II aus „Liliom“ ein Musical zu machen. „Carousel“ wurde zum Welterfolg. Und auch die Ballettchoreographie von John Neumeier für die Hamburger Oper wurde zum durchschlagenden Erfolg. Der Weg auf die Opernbühne sollte allerdings mehr als 100 Jahre bis zum 4. November 2016 dauern. An diesem Abend fand die Uraufführung der Oper „Liliom“ mit der Musik von Johanna Doderer in einer Produktion des Gärtnerplatzteheaters in der Reithalle in München statt. Mit Erfolg.

Josef E. Köpplinger, der Intendant des Gärtnerplatztheaters und Regisseur dieser Uraufführung, hat den Text in der Polgar-Fassung bearbeitet und für das Opernlibretto eingerichtet. In enger Zusammenarbeit mit der Komponistin hat er das Stück gekürzt, ohne die wesentlichen Teile des Werkes zu vernachlässigen oder den Verlauf der Handlung zu verändern. Eine gelungene Bearbeitung, das Libretto bleibt dicht am Original.

„Liliom“ ist die siebente Oper der in Bregenz geborenen und in Wien lebenden Johanna Doderer. Ihr Kompositionsstudium hatte sie 1993 in Graz bei Beat Furrer begonnen und in Wien bei Erich Urbanner und Klaus-Peter Sattler fortgesetzt. Das kompositorische Werk reicht von Kammermusik über Orchesterwerke bis hin zur Oper. Für den „Liliom“ war sie Köpplingers Wunschkomponistin.

Ihre Musik, so die Komponistin in einem Gespräch vor der Premiere, sei inspiriert vom Ringelspiel auf dem Rummelplatz; davon, wie sich das Leben immer weiterdreht. Das ständige Drehen wird zum Symbol des Lebens selbst. In einem anderen Interview spricht sie davon, wie sehr sie sich bei der Komposition einer Oper mit dem Genre Oper an sich beschäftigt. „Ich studiere immer Partituren anderer Komponisten und lerne aus ihnen“, denn das Komponieren von Opern bedeute letztlich „eine jahrelange intensive Auseinandersetzung, um mit Stimme, Orchester und Dramaturgie nicht nur umzugehen, sondern schließlich damit zu segeln“. Für „Liliom“ hat sie sich intensiv mit der italienischen Oper beschäftigt und – naheliegend – ganz besonders mit Puccini.

Vermutlich ist es dieses intensive Studium der „klassischen“ Oper, dass die Musik von Johanna Doderer in dieser Oper nicht wirklich „modern“ klingt. Zwar hört man im großen, im Hintergrund der Bühne spielenden, Orchester das eine oder andere in der Oper ungewohnte Instrument, aber die Notierung klingt weitestgehend tonal und es fehlt jegliche Elektronik. Einzig in den Singstimmen kippt der gewollte Klang gelegentlich ins Schrille. Diese nahezu traditionelle Musik, und Doderer hat dezidiert keine Angst vor Tonalität, gefällt nicht unbedingt den Liebhabern von „Modernität“, hilft aber dem „normalen“ Publikum für das Verständnis der Musik. Da und dort erkennt man Anklänge an Komponisten der Entstehungszeit des Bühnenstückes, nach einiger Zeit des Einhörens kann der Musikfreund erahnen, wie es weiter gehen wird. Das ist, ich wiederhole mich, nicht unbedingt dem Zeitgeist entsprechend, aber es hilft dem unvoreingenommenen Opernfreund zum Verständnis.. „Die Personen reden immer, sagen aber wenig“ sagt sie über die Figuren und charakterisiert mit diesem Satz ihr Herangehen an die Komposition. Und zeigt damit auch auf, dass sie unzweifelhaft das kompositorische Handwerk beherrscht.

Josef E. Köpplinger lässt das Stück in der Entstehungszeit spielen (Kostüme: Alfred Mayerhofer). Die Bühne der Reithalle, das Gärtnerplatztheater kann ja noch immer nicht bespielt werden, ist der Raum für ein praktikables Bühnenbild (Rainer Sinell), das schnelle Verwandlungen zur Zwischenmusik ermöglicht und das durch Lichteffekte (Michael Heidinger und der Regisseur) bzw. Videoprojektionen im Hintergrund (Meike Ebert und Raphael Kurig) unterstützt und ergänzt wird. Im Zentrum hängt ein blinkendes Kopfteil eines alten Ringelspiels, das bei Bedarf gehoben oder abgesenkt werden kann. Vom linken Bühnenrand lässt sich eine Holzwand öffnen und gibt dadurch eine ärmliche Küche als Spielfläche frei. Eine Schräge im Hintergrund der Bühne ist gleichermaßen Bahndamm und Bühnenabschluss, lässt sich verschieben und dient dann dem (ausgezeichneten) Kinderchor als Aufstellfläche. Ein hohes Lob gebührt an dieser Stelle der Technik – so, wie es in der vierten Szene zentimetergenau regnet, ist es eine perfekte Leistung.  

Aber was wäre eine Oper ohne Sänger. Die Kompositionen für die SängerInnen der Hauptrollen entstanden in enger Zusammenarbeit zwischen den Darstellern, der Komponistin und dem Theater. Der Titelfigur wie der Ringelspielbesitzerin Frau Muskat hat Johanna Doderer jeweils eine große Szene komponiert, die Freundinnen Julie und Marie können sich in gemeinsamen Auftritten zeigen und Ficsur bleibt mehr als eine Nebenrolle. Über weite Strecken sind ähnlich dem weitgehend melodischen Orchesterpart auch die Singstimmen traditionell geführt. Deutliche Intervallsprünge fehlen zumeist, dafür darf Liliom immer wieder nahezu belcantesk singen, Frau Muskat in tiefen Lagen schwelgen, Julie und Marie haben da und dort Koloraturen bekommen und Ficsur kann einen edlen Bass verströmen.

Die Titelrolle verkörpert Daniel Prohaska mehr als überzeugend. Seine Wandlung vom gelangweilten Praterstrizzi zum gewalttätigen Partner und auch vor dem Himmelsgericht reuelosen Selbstmörder bringt er absolut glaubwürdig. Stimmlich kann er in den lyrischen wie in den dramatischen Teilen der Partie überzeugen. Das gilt gleichermaßen für seine Gegenspielerin Angelika Kirchschlager in der Partie der Frau Muskat, die nicht „schön“ aber umso ausdrucksstärker singen muss. Dass Doderer die Partie ihr auf die Stimme geschrieben hat, ist hörbar. Camille Schnoor ist eine ausgezeichnete Julie, die auch die schrillen, der Wut geschuldeten Ausbrüche mit Verve meistert und die Wandlung von der verliebten Ringelspielbesucherin zur verhärmten Frau und Mutter ausgezeichnet bringt. Stimmlich wie darstellerisch sehr gut auch ihre Freundin Marie, mit ausdrucksstarker Stimme von Cornelia Zink interpretiert. Matija Meic ist ein schmieriger Ficsur mit wohltönendem Bass, Katerina Fridland spielt schön singend die linkisch pubertäre Tochter Luise. Ein globales Lob gebührt dem mitwirkenden Ensemble des Gärtnerplatztheaters (Dagmar Hellberg, Christoph Filler, Holger Ohlmann, Juan Carlos Falcon, Christoph Seidl, Maximilian Mayer, Martin Hausberg, Erwin Windegger, Tamas Tarjany, Holger Ohlmann).

Lag es an der Platzierung des Orchesters im Bühnenhintergrund und hinter einem Gazevorhang, dass die Stimmen den Orchesterklang dominierten? War es dem Spielort geschuldet oder war es Wunsch der Komponistin? Ich kann und möchte es nicht beurteilen. Wie auch immer. Nicht dominant war das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Michael Brandstätter (Musikalische Assistenz und Bühnendirigat: Andreas Partilla), aber die Damen und Herren MusikerInnen bereiteten der Bühne einen feinen Klangteppich. Dass die Stimmen der Solisten durch Mikroports verstärkt wurden, liegt wohl an der Akustik der Spielstätte. Sehr gut auch Chor und Kinderchor des Gärtnerplatztheaters unter der Leitung von Felix Meybier bzw. Verena Sarré.

Bleibt abschließend die Frage nach dem Erfolg dieser neuen Oper. Am Ende des zweieinhalbstündigen Abends gab es den verdienten Premierenjubel (nachdem der Beifall zur Pause eher verhalten war), der sich beim Verbeugen der Komponistin noch steigerte. Aber manch einem professionellen Premierenbesucher, wie meinen Sitznachbarn, ist dieser „Liliom“ zu traditionell. Das sollte einer Übernahme nach Wien aber nicht im Wege stehen. Volksoperndirektor Robert Meyer saß im Publikum.

Michael Koling  

 

 

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