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MÜNCHEN/ Reithalle/ Gärtnerplatz-Produktion: LES PECHEURS DE PERLES. Konzertante Aufführung. Premiere

19.01.2017 | Oper

Les Pecheurs de perles – München, Gärtnerplatztheater in der Reithalle, konzertante Aufführung, 18. Jänner 2017 (Premiere)

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Lucian Krasznec, Levente Páll, Jennifer O’Loughlin, Mathias Hausmann. Copyright: Gärtnerplatztheater/ Christian POGO Zach

 

Den Komponisten Georges Bizet alleine auf „Carmen“ und allenfalls seine 1.Symphonie zu reduzieren, ist eine grobe Ungerechtigkeit seinem Schaffen gegenüber. Der britische Musikwissenschaftler Hugh Macdonald weist im detaillierten Werkverzeichnis („The Bizet Catalogue“; Washington University, St.Louis, 2014) mehr als 150 Kompositionen nach, die allerdings zu einem Gutteil verschollen oder nur fragmentarisch vorhanden sind. Darunter finden sich 9 komplette Opern und 6 Opernfragmente.

Dass „Carmen“ alle anderen Kompositionen überstrahlt beweist die Statistik. Die Datenbank Operabase listet seit 1.Jänner 2014 (auf frühere Daten konnte ich nicht zugreifen) nicht weniger als 1367 Aufführungen in 290 unterschiedlichen Produktionen in weltweit 180 Städten auf. Im gleichen Zeitraum wurde „Les Pecheurs de perles“ 193 Mal in 41 Produktionen in weltweit 34 Städten aufgeführt und „Djamileh“ ging in Budapest und Rouen in Summe bloß 9 Mal über die Bühne.

Uraufgeführt am 30.September 1863 im Theatre Lyrique in Paris war „Die Perlenfischer“, die erste abendfüllende Oper des damals erst 25jährigen Komponisten,  kein Erfolg und verschwand nach wenigen Aufführungen von den Bühnen und wurde zu Bizets Lebzeiten auch nicht mehr aufgeführt. Erst nach seinem Tod und nicht zuletzt wegen des Erfolges von „Carmen“ erinnerte man sich auch an die anderen Werke und im März 1886 wurde die Oper an der Scala in Mailand erstmals wieder gespielt. Dass es bis zu dieser ersten Neuproduktion nahezu ein Vierteljahrhundert dauern sollte, lag aber wohl auch daran, dass die Originalpartitur verschollen ist. Allein ein mehr oder weniger originaler Klavierauszug war bekannt, der im Verlag Choudens in Paris im Jahr 1864 erschienen ist. Das Material sämtlicher Aufführungen bis in die Gegenwart basiert daher auf Basis unterschiedlicher musikwissenschaftlicher Erkenntnisse (und vor allem der 3.Akt wurde auch immer wieder grob entstellt). Im Theater an der Wien etwa, wo die „Perlenfischer“ 2014 in einer nicht unumstrittenen Produktion letztmalig in Österreich gezeigt worden sind, entschied man sich für die Fassung von Brad Cohen, 2002 erstellt, die auch an anderen Orten gespielt wird.

Im Münchner Gärtnerplatztheater, gespielt wurde wie zuletzt in der Reithalle, hatten „Les Pecheurs de perles“ gestern Premiere. Für die konzertante Aufführung wählten die Verantwortlichen die rekonstruierte Fassung von Hugh Macdonald. Das jüngst auf Grundlage einer erhaltenen Violin-Direktionspartitur erstellte Notenmaterial kommt nach Aussage des Musiwissenschaftlers der Urfassung vermutlich am nächsten. Dass im Programmheft der Aufführung ein entsprechender Aufsatz von Macdonald fehlt, schmerzt den Musikfreund. 

Die szenische Umsetzung des schon bei der Uraufführung als nicht geglückt bezeichneten Librettos stellt jeden Regisseur und seinen Bühnenbildner vor nahezu unlösbare Aufgaben. Die Entscheidung für eine konzertante Aufführungsserie (Konzeption: Magdalena Schnitzler) mit lediglich Videoproduktionen (Raphael Kurig und Thomas Mahnecke) und gut durchdachten Lichteffekten (Jakob Bogensperger) ist schon alleine deshalb nachvollziehbar. Obwohl – so wirklich konzertant war der Abend dann doch nicht. Zwar gab es keine Kulissen und das Orchester war nicht wie bei den letzten Produktionen in der Reithalle irgendwo im Bühnenhintergrund positioniert, aber die Sänger hatten ihre Auftritte und Abgänge und konnten immer wieder auch gleichsam szenisch agieren. Nennen wir den Abend also semikonzertant.

Somit kann sich der Besucher ohne Ablenkung auf die Musik konzentrieren. Und erlebt so eine beinahe Sternstunde des Gärtnerplatztheaters. Die Einschränkung betrifft die problematische Akustik der Reithalle (obwohl diesmal dankenswert ohne Mikros musiziert werden konnte) und die Tatsache, dass der spezifische Stil der französischen Musik zunehmend in Vergessenheit gerät (einmal mehr erinnere ich mich an ein Interview mit einer schon verstorbenen französischen Sängerin, die sich darin schon vor einigen Jahren beklagt hat, dass selbst in Frankreich der typische Gesangstil verloren geht) . Klammert man aber auch als kritischer Musikfreund den zweiten Halbsatz aus, war der Abend ein voller Erfolg. Ohne zu werten beginne ich mit dem Chor, der in dieser Oper zweifellos denselben Stellenwert wie die Solisten hat. Wortdeutlich und musikalisch perfekt einstudiert (Einstudierung: Felix Meybier) boten die Damen und Herren eine Leistung, die den begeisterten Beifall des Publikums ehrlich verdient hat. Levente Páll konnte in der kurzen doch dramaturgisch wichtigen Partie des Nourabad seinen profunden Bass ausdrucksstark einsetzen. Den noch jungen Sänger sollte man im Auge behalten; hier zeigen sich mehr als erste Ansätze einer Karriere. Lucian Krasznec zeigt sich höhensicher als Nadir und lässt immer wieder mit französischer Klangfärbung aufhorchen. Ein ausdrucksstarker Zurga mit voller Stimmkraft ist Mathias Hausmann, den Wienern von vielen Abenden an der Volksoper wohlbekannt. Auch von diesem Haus kennt der Opernfreund Jennifer O´Loughlin, die mit der Leila eine neue Rolle erarbeitet hat, in der sie glänzen kann. Das Duett zwischen ihr und Hausmann im 3.Akt war der unbestrittene Höhepunkt des Abends.

Sebastien Rouland leitete mit Inbrunst die Aufführung, eine leicht gedämpfte Lautstärke hätte dem Orchester zu noch mehr Wohlklang verholfen.

Das Publikum jubelte berechtigt. Schade, dass es lediglich drei Aufführungen gibt.

PS: Wären in Wien die Straßen so schneeglatt wie die Zufahrtsstraße zum Aufführungsort, sämtlich Medien würden die Stadtverwaltung berechtigt prügeln.

Michael Koling     

 

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