FRAU SCHINDLER – Uraufführung der Oper von Thomas Morse, Gärtnerplatztheater München am 9.März 2017
Ensemle: Copyright: Christian POGO Zach
Die Geschichte von Oskar Schindler ist durch den Film „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der deutsche Fabrikant rettete mehr als 1200 jüdischen Zwangsarbeitern das Leben, weil er sie in seinem Unternehmen für die Produktion kriegswichtiger Produkte benötigte und so vor der Deportation in ein KZ bewahrte. Das heute moralisch zu bewerten steht niemandem zu, zumal Schindler und vor allem auch seine Frau die Arbeiter so menschenwürdig als möglich behandelt hatten; von Yad Vashem wurde er dafür als einer der „Gerechten unter den Völkern“ geehrt. Eine Ehrung, die 1993 auch auf seine Frau Emilie Schindler erweitert wurde.
Dieser Emilie Schindler, die in Spielbergs Film nur kurz und mit wenigen Sätzen zu sehen ist und darüber gegen Ende der Oper auch klagt, widmet der amerikanische Komponist Thomas Morse seine erste Oper, die gestern Donnerstag, 9.März 2017, als Produktion des Gärtnerplatztheaters in der Reithalle ihre Uraufführung erlebte. Dass das Uraufführungsdatum am Tag nach dem Internationalen Frauentag zu liegen kam, ist zweifellos kein Zufall.
Er habe keine Oper über den Holocaust schreiben wollen, sondern er habe eine Oper über die Frau Schindler komponiert, schildert Thomas Morse wenige Tage vor der Uraufführung in einem Einführungsgespräch. Und er wolle auch keinen Unterricht in Geschichte erteilen. Das Umfeld der 1940er Jahre, den Krieg, den Nazi-Terror, die Ängste – all das lässt sich aber nicht ausblenden, obwohl es sich „nur“ um eine Familiengeschichte handelt. So wechseln auch aktuelles Geschehen und Erzählerisches der titelgebenden Frau Schindler immer wieder. Doch vor dem aktuellen politischen Hintergrund in den USA wie in Europa war es wichtig, diese Oper geschrieben zu haben, erklären der Komponist und sein Librettist Kenneth Cazan, der in dieser Produktion auch Regie führt, unisono. Nicht wirklich schlüssig bleibt, warum das original englische Libretto für diese Produktion übersetzt worden ist.
Dass Thomas Morse bisher viel Filmmusik komponiert hat, merkt der interessierte Premierenbesucher beim ersten Hinhören. Die Musik ist spätromantisch, stark tonal, häufig in Molltönen gehalten, immer wieder vom Schlagwerk dominiert. Da und dort sind musikalische Zitate erkennbar, Tristan begleitet die Gespräche beim Essen der Schindlers mit den Offizieren und deren Gattinnen. Wer schrill dissonante Klänge, die dem Sujet zweifellos auch entsprächen, erwartet, wird von der Musik enttäuscht sein; keine Spur von Avantgarde. Aber als ein Komponist, der aus einem verwandten Genre kommt, weiß Morse Bilder in Musik umzusetzen und Spannung zu erzeugen. Nicht nur in der Beziehung des Ehepaares Schindler zueinander, auch in der Szene der Mühlenbesitzerin Frau von Daubek, die für die Ernährung der Zwangsarbeiter Mehl zur Verfügung stellt und vor allem in der Abschiedsszene von Emilie Schindler und ihrem Hausmädchen Marthe Marker (übrigens die einzige nicht historische Figur; in ihr hat der Autor seiner Großmutter ein Denkmal gesetzt). Der Gefahr, kitschig oder sentimental zu werden, entzieht sich der Komponist durch Anklänge an die Stilistik der Minimal Music. Dass das Orchester im Bühnenhintergrund sitzt, gibt der musikalischen Umsetzung eine besondere Note.
Die dem Stoff innewohnende Spannung setzen Regisseur Kenneth Cazan sowie Kevin Knight (Bühnenbild und Kostüme) und Michael Heidinger (Licht) bestmöglich um. Eine Drehbühne unterstützt den Bewegungsablauf, verschiebbare mit Glasscheiben durchbrochene Wände – Zitate an die auf Fotos erhaltenen Fenster der Fabrik Schindlers und gleichzeitig die Abgrenzung zur Freiheit draußen – ermöglichen schnelle Szenenwechsel. Die dabei entstehenden Bilder, nur wenige Requisiten untermalen die Szenen, schaffen für den Besucher eigene Interpretationen des Raumes. Ganz anders die Kostüme, bei denen Kevin Knight die größtmögliche Authentizität wichtig war. Man kennt die Kleidung der Zivilpersonen aus Fotos der Familienalben, gleichermaßen die Uniformen der Nazischergen. Selbst die Gewänder der Zwangsarbeiter wirken nicht wie frisch genäht. Vielleicht zu plakativ gezeichnet sind ein Kantor und ein Rabbiner. Eindrucksvoll die Personenführung; egal ob einzeln oder als Kollektiv. Dank zumeist großartiger Bühnenpersönlichkeiten hält der Zuseher immer wieder den Atem an. Und dennoch, da und dort wird die gezeigte Realität zum plakativen Bühnengeschehen. So etwa wenn der straßenwaschende Jude, das Symbol für die angeordnete Unmenschlichkeit (nicht nur) in Wien, zur Bühnenfigur wird. Und ja, das Stück ist um zwei Szenen zu lang, das Finale wirkt aufgesetzt. Denn nachdem Oskar Schindler im 3.Akt aus Argentinien wieder nach Deutschland fährt, um dort Arbeit zu finden und seine Frau nie wieder sehen wird (was der historischen Tatsache entspricht) – der logische Schluss der Oper -, klagt Emilie Schindler nochmals ihr Eheleid; dem Gatten verzeihend während der Chor im Hintergrund „Shalom“ singt, und gibt zuletzt im Rollstuhl sitzend einem lokalen Journalisten ein Interview.
Vor allem die SängerInnen der Hauptpartien müssen stimmlich an die Grenzen des gesanglich Möglichen gehen. Nicht, dass es gewaltige Sprünge in der Notation gäbe, aber die Teils extreme Lage der Partien verbunden mit einem oft deklamatorischen Gesangsstil ist die Schwierigkeit der musikalischen Umsetzung. Und diese wird von allen Mitwirkenden hervorragend gemeistert. Katerina Hebelková als Frau Schindler und Mathias Hausmann in der Rolle des Oskar Schindler stehen im Mittelpunkt der Oper. Er, der schmierige ehemalige Landmaschinenverkäufer, der immer neue Ideen entwickelt und dabei die Mitgift seiner Gattin verprasst; sie, eine starke Frau, die unter des Eskapaden ihres Mannes leidet, von den Frauen der Nazis als nicht zu ihnen gehörend erniedrigt wird, aber den Zwangsarbeitern nach Möglichkeit Hilfe zukommen lässt. Diesen beiden Personen hat Morse ausdrucksstarke Noten komponiert, die die unterschiedlichen Charaktere unterstreichen. Und beide erfüllen die stimmlichen wie darstellerischen Ansprüche perfekt. Die dritte Hauptrolle ist das Hausmädchen Marthe Marker; eine stumme Dienerin im ersten Akt, wichtige Nebenfigur im zweiten Akt und die Retterin der Familie im dritten Akt. Jennifer O´Loughlin verleiht dieser Figur dank ihrer Persönlichkeit und ausdrucksstarken Stimme von Akt zu Akt mehr Kraft und Gravität. Die für sie in höchsten Tönen komponierten Passagen weisen sie als Stütze und Ergänzung der als dramatischer Mezzo notierten Frau Schindler aus. Auch für Frau von Daubek, Witwe und Besitzerin einer Mühle nahe der Fabrik, hat Morse ein starkes Solo komponiert. Elaine Ortiz Arandes verleiht der Frau, die Emilie Schindler mit Sachleistungen unterstützt, die erforderlichen Konturen.
Die vielen kleinen Rollen, häufig wichtige Stichwortbringer, sind aus dem Ensemble ideal besetzt, gelegentlich überbesetzt. Nahezu alle müssen in zwei Partien auftreten. Einen Namen gesondert zu erwähnen, wäre eine ungerechte Bevorzugung den anderen gegenüber. Daher ein pauschales Lob an (in der Reihenfolge des Besetzungszettels) Tamas Tarjányi, Juan Carlos Falcón, Maximilian Mayer, Sophie Mitterhuber, Anna-Katharina Tonauer, Levente Páll, Christoph Filler, Matija Meic, Martin Hausberg, Holger Ohlmann, Stefan Rampf und in einer Sprechrolle Frank Berg.
Wie immer sehr gut klingt der Chor (Einstudierung: Felix Meybier). Das Orchester sitzt wieder hinter der Bühne, hat diesmal aber keinen störenden Vorhang zwischen der Spielfläche, was dem Klang deutlich entgegen kommt. Ein aufmerksamer Leiter dieser Uraufführung – es ist schon die zweite (!) in dieser Saison des Gärtnerplatztheaters – ist Andreas Kowalewitz.
Die Premiere war ausverkauft, für die Folgevorstellungen gibt es noch Karten (aber das könnte sich schnell ändern; man braucht bei diesem Stück keine Angst vor neuer Musik haben).
Michael Koling