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MÜNCHEN/Bayerische Staatsoper/ Opernfestspiele: TANNHÄUSER

03.08.2024 | Oper international

MÜNCHEN/Opernfestspiele: TANNHÄUSER am 28. Juli 2024

 Bilder vor Dramatik

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Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

 „Zuviel! Zuviel!“… ist für Regisseur Romeo Castellucci der Ausgangspunkt für seine Interpretation der romantischen Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner an der Bayerischen Staatsoper München. Dieser Ausruf Tannhäusers angesichts der ihm überdrüssig gewordenen Fleischeslust im Venusberg animierte Castellucci, der auch für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnete, dazu, Tannhäuser auf einen riesigen Haufen amorpher, deformierter und damit völlig unerotischer Körper stoßen zu lassen, im Sinne eines Exzesses ins Gegenteil verkehrter Lust. Das sieht zwar nicht sehr appetitlich aus, dokumentiert aber Tannhäusers Wunsch nach Abschied von Venus, aber auch das hier als fundamental angesehene Phänomen, dass Tannhäuser sich am falschen Ort befindet und mit seinem Eintauchen in die Welt der Wartburg-Gesellschaft wieder an einen falschen Ort gerät. Denn hier sind die Ritter auf der Jagd. Sie fangen Tannhäuser ein wie ein wildes Tier oder einen Andersdenkenden, der nun bei ihnen gezähmt werden muss. Nach Castellucci gehört Tannhäuser also zu keinem Ort, und da er mit dieser Last nicht zurechtkommt, bricht er am Ende zusammen.

Dieses Konzept ist dramaturgisch durchaus verständlich und nachvollziehbar, stellt sich aber optisch nicht ganz überzeugend dar. Castellucci wollte offenbar einen bildhaften „Tannhäuser“, der diese komplexere und facettenreichere Interpretation der Figur in vornehmlich optische Wahrnehmung umsetzen sollte. Statt an der Polarität der beiden Frauen zu scheitern, führe Tannhäuser einen Einzelkampf gegen die Person, als die er sich selbst erkennt. Und das macht das Ganze dann viel komplexer und mit dem, was auf der Bühne zu sehen und nicht zu sehen ist, noch schwerer verständlich. So beschmieren sich nach dem ungewöhnlichen Venusberg-Bild alle Ritter mit Blut und werfen dem ebenfalls blutverschmierten Tannhäuser das Fell eines erlegten Hirsches über. Im Vorspiel schossen etwa 30 barbusige Amazonen mit Pfeilen in einer interessanten Choreografie von Cindy Van Acker und im Videodesign und mit der Lichtassistenz von Marco Giusti immer wieder erst auf ein Auge und später auf ein Ohr im Hintergrund. Dabei hätte sich dem Venusberg-Belesenen hier doch eher eine Vulva angeboten. Nein, es sollte Jagd sein, stilisierte Jagd auf Tannhäuser…

Der 2. Akt sollte vermenschlicht werden, indem riesige weiße und ständig in Bewegung befindliche Vorhänge an drapierte Nymphen erinnern sollen, also für weibliche Sanftheit und Ähnliches stehen. Das wirkte nicht immer zielgerecht, sondern ließ Figuren oft verschwinden und damit zu Opfern eines viel zu beweglichen Bühnenbildes werden. Sogar die Gäste waren hinter dem Vorhang! Dazu kamen eine Tanz- – aber de facto – Gymnastikgruppe, die nicht immer die optisch ansprechendsten Übungen vor allem am Boden absolvierten, und eine Unmenge von sinnlos herumliegender Holz-Füße… Im 3. Akt wurde dann die Zeit aufgehoben und postuliert, dass Tannhäuser und das einzige Ziel seiner Begierde bei Castellucci, Elisabeth, der Verwesung ihrer Leichen über Jahrmilliarden Jahre beiwohnen – eine ungewollte Stunde an unappetitlicher Pathologie mit stoischem siebenmaligem Wechseln der Leichen und Skelette im Halbdunkel der Bühne. Am Ende finden beide endlich zusammen durch das gemeinsame Rieseln ihrer Asche zu einer kleinen Pyramide. Eine virtuelle Vereinigung im Tode, wenn auch erst nach so vielen Jahren… Fast nebenbei lief dazu die Romerzählung ab, womit ein wesentliches Manko dieser zu bildverliebten Produktion deutlich wurde: der allzu oft fehlende Kontext mit der Musik. So kamen zugunsten großformatiger und überraschender Bilder das dramaturgische Geschehen der Oper oft ins Hintertreffen und auch die Protagonisten nicht zu ihrer wünschenswerten Bedeutung.

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Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

Klaus Florian Vogt sang, wie schon zwei Tage zuvor in Bayreuth, einen lyrisch-dramatischen exzellenten Tannhäuser mit der für ihn typischen intensiven Darstellung in allen Wendungen des Stücks. Elisabeth Teige war Elisabeth in einem zu den Vorhängen des 2. Akts passenden weißen Gewand, allerdings mit etwas geschmacklos wirkender Nacktkörperandeutung, um sie auch optisch als die einzige von Tannhäuser begehrte Frau hervorzuheben. Teige hat eine etwas facettenarme, wenngleich schön timbrierte Sopranstimme, konnte somit aber nicht ganz überzeugen. Ain Anger gab einen sehr kultivierten Landgraf. Andrè Schuen sang einen hervorragenden Wolfram mit einem balsamisch-wohlklingenden Bariton. Hier deutet sich ein ganz großes Talent nicht nur für Mozart, wo er es ja längst bewiesen hat, sondern auch für das deutsche Fach mit Wagner und Strauss an. Yulia Matochkina gab zwar eine gute Venus, kam in dieser Inszenierung aber viel zu kurz. Jonas Hacker war Walther von der Vogelweide, Martin Snell Biterolf, Andrés Agudelo Heinrich der Schreiber und Alexander Köpeczi Reinmar von Zweter, alle sehr gut in ihren jeweiligen Rollen. Eirin Rognerud sang einen lieblichen jungen Hirten, und die vier Edelknaben kamen aus dem Tölzer Knabenchor. Sebastian Weigle dirigierte das bestens aufgelegte Bayerische Staatsochester mit viel Verve und stets passender Akzentuierung sowie guter Führung der Sänger. Christoph Heil hatte den wieder sehr gut singenden Bayerischen Staatsopernchor einstudiert. Ein musikalisch guter bis sehr guter „Tannhäuser“, dramaturgisch-szenisch aber etwas problematisch.                               

Klaus Billand

 

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