München: Opernfestspiele: „AGRIPPINA“, 23.7.2019
Umjubelte Premiere eines Frühwerks von Georg Friedrich Händel
München hatte in der Amtszeit des Staatsintendanten Sir Peter Jonas (1993 – 2006) sein andauerndes Barockopern-Festival: in 13 Jahren 10 Händel-Opern-Premieren und 3 Mal Claudio Monteverdi. Es begann mit einem fulminanten, begeisternden „Giulio Cesare in Egitto“, der geradezu zur Kult-Oper wurde und auch ein eher opernferneres Publikum ins Nationaltheater lockte. Dann kam „Serse“ (Xerxes) und so weiter. Als man schließlich im Jahr 2003 bei „Rodelinda, Regina de Longobardi“ angelangt war, – meist in den knallbunten, überdrehten Inszenierungen von David Alden – da wurde es manchem doch schon ein bisschen viel. Es folgten dann noch „Alcina“ und „Orlando“. Kompetenter und gefeierter Dirigent war – mit zwei Ausnahmen – immer Ivor Bolton.
Er stand auch am Pult, als am 23.7.2019 als zweite Opernfestspiel-Premiere Händels „Agrippina“ in der Regie von Barry Koskiegegeben wurde. „Agrippina“ ist ein Frühwerk Händels, das sich an die historische Person, die Mutter Kaiser Neros, und ihre Umgebung anlehnt, es aber mit den historischen Abläufen nicht allzu genau nimmt. Es wird hier aber mit den historischen Personen ein großartiges Spiel von Macht und Machtmissbrauch, Hass, Intrigen und Erotik gezeigt. Musikhistoriker vermuten, dass das Libretto (1709) von Vincenzo Grimani, einem Kardinal, weniger die Zustände der römischen Kaiserzeit, als die Verhältnisse am päpstlichen Hof zu seiner Zeit schildert. Die Bühne (Rebecca Ringst) zeigt einen einzigen, einem riesigen Gitter aus Stahl ähnelnden Aufbau mit großer Mitteltreppe, der durch Drehen und Auseinanderfalten verschiedene Räume oder einen großen Hof bilden kann. Dieästhetischen Kostüme von Klaus Bruns sind im Stil eleganter zeitgenössischer Abendgarderobe gehalten und verweisen durch Requisiten (Krone!) oder fein abgestuften Grad von Prunk auf Charakter und Stellung der Personen im Spiel hin. So trägt z.B. der überdrehte Nerone einen silbernen, Pailletten besetzten Smoking und die in der Liebe siegreiche Poppea ein üppiges, hochrotes Abendkleid mit riesiger Schleppe, während Agrippina, ganz auf ihre Aufgabe, dem Sohn auf den Kaiserthron zu verhelfen, im letzten Akt im dunklen Hosenanzug daherkommt. Die Regie versteht es, alle Sängerinnen und Sänger zu einem höchst lebendigen Spiel zu verführen, das zwischen Dramatik und flotter Unterhaltung bis zum Slapstick hin und her pendelt und allen Mitwirkenden großen Spaß zu machen scheint. Allen voran dem überdrehten Nerone von Franco Fagioli. Der aus Argentinien stammende Counter begeisterte durch seine schöne Stimme und sein witziges und selbstverliebtes Spiel. Alice Coote, vielseitige englische Mezzosopranistin,ist eine Agrippina, die über Dramatik, Koloraturen und auch lyrische Töne verfügt. Sie ist aber nicht nur die machtgeile Intrigantin und Strippenzieherin, sondern sie läßt auch spüren, dass sie Unsicherheit und Angst vor dem Machtverlust hat, so wie es aus der Musik heraus zu hören ist. Ihre letztlich erfolgreiche Gegenspielerin Poppea in Gestalt von Elsa Benoit ist der Liebling des Abends. Ihre Wandlung vom unbedarften jungen Mädchen zur selbstbewussten Frau, die – ihre Wirkung auf drei um sie buhlende Männer ausnützend – eine verwirrende Intrige anzettelt, um ihren Traummann Ottone zu bekommen, ist amüsant und faszinierend. Stimmlich bezaubert sie durch Lyrik und nachdrückliche Gestaltung. Ihr edler Ottone, auch ein Anwärter auf den Kaiserthron, ist der englische Counter Iestyn Davies, der mit schöner Stimme und innigen Tönen für sich einnimmt. Man gönnt seinem Ottone die geliebte Poppea, die ihm Kaiser Claudio (sehr gut: Gianluca Buratti) am Ende aller Intrigen zuspricht. In den kleineren Rollen, das Geschehen bestens abrundend:Andrea Mastroni als Pallante, Eric Jurenasals Narciso und Markus Suihkonen als Lesbo. Insgesamt hört man, dass alle Sängerinnen und Sänger herausragende und bewährte Barockspezialisten sind, was den Abend so hörenswert macht. Elsa Benoit hat sich mit ihrer ersten Barock-Partie – wenn ich das richtig sehe – mit Bravour in diese Gruppeweltweit verehrterSpezialisten hineinkatapultiert.
Spiritus rector des Abendsist natürlich Ivor Bolton! Er musiziert mit Musikern aus dem Bayerischen Staatsorchester, dabei: Joy Smith (Harfe), Michael Freimuth (Theorbe, eine tiefe Laut), Ives Savary (Violoncello), Roderick Shaw (Cembalo), Christopher Bucknall (Cembalo und Orgel). Sie erzielen einen mitreißend frischen und pastosen Klang, der wieder Lust auf weitere Barock-Opern macht.
Begeisterter Beifall des Premieren-Publikums im Münchner Prinzregententheater.
Helga Schmöger