München: Oper Incognita: „Aida“, 31.8.2019 – Super-Breitwandkino in der Ägyptischen Sammlung München
Das freie Opernensemble Opera Incognita ist bekannt für die Aufführung von meist unbekannten Opern an außergewöhnlichen Orten. So gab es in den vergangen Jahren beispielsweise „Stiffelio“ von Verdi im Arri-Filmstudio, Wagners „Rienzi“ in einem Hörsaal an der Ludwigs-Maximilian-Universität und letztes Jahr die Verzahnung von Purcells „Dido und Aeneas“ und Brittens „The Rape of Lucretia“ im Müllerschen Volksbad, einem Jugendstil-Schwimmbad.
Nun ist also „Aida“ dran, eine nicht so ganz unbekannte Oper, die aber im Ägyptischen Museum in München zur Aufführung kommt. Eine kahle Betonwand, 30 Meter lang, als Bühne. Kaum Requisiten. Keine Elefanten. Aber annähernd historische, altägyptische Kostüme. Und eine Inszenierung, die die erfundene Geschichte der Sklavin Aida mit der Entstehungszeit der Oper verzahnt und über klug eingesetzte Projektionen auch in die Gegenwart holt. Das gelingt durch zwei hinzuerfundene, stumme Gestalten: zwei junge Archäologinnen, die zwischen den Szenen der Oper Fundstücke hereinschieben und katalogisieren. Über Projektionen erfährt das Publikum Details zu Entstehungszeit, Fundort und Verwendung der Objekte. Da gibt es beispielsweise gleich zum Vorspiel einen blauen Hocker, der tatsächlich ein Exponat sein könnte. Auf ihm wird Radames später in der Gerichtsszene gefoltert. Aber es gibt als Exponat auch den Staub untergegangener Städte, den Aida verstreut, während sie in der Nilarie der verlorenen Heimat nachtrauert. Auch Verdi mit Zylinder, weißem Schal und Stock, als lebendes Exponat von einem Schauspieler dargestellt, wird in einem Schaukasten hereingefahren. Das ist mal witzig, mal nachdenklich, eine Collage, die dazu anregt, Assoziationen zur Handlung der Oper, aber auch zu politischen Entwicklungen in der Gegenwart, herzustellen.
Rituelle Gestik: Radames (Anton Klotzner) beim „Celeste Aida“ © Opera Incognita
Wegen der vielen Rituale – Schwertweihe des Radames, Triumpfmarsch, Gerichtsszene – bezeichnete Regisseur Andreas Wiedermann in einem Interview mit der Abendzeitung die Aida als „Bühnenweihfestspiel“. Und so lässt er Chor und Solisten mit ritueller Gestik an der Wand entlang schreiten, wie es auf den unzähligen altägyptischen Malereien abgebildet ist. Das funktioniert gut für die Massenszenen, während der Arien stellt sich dann aber doch ein wenig szenische Langeweile ein. Eine Aida, die immer nur die Wand ansingt, ein Radames, die Aida nie anschaut, das ist dann doch etwas eintönig.
Amonasro (Torsten Petsch) an der Spitze der Äthiopischen Gefangenen beim Triumpfmarsch © Opera Incognita
Außergewöhnlich ist nicht nur die szenische, sondern auch die musikalische Umsetzung. Ernst Bartmann, der zusammen mit Andreas Wiedermann das freie Ensemble Opera Incognita gegründet hat, hat Verdis Partitur so bearbeitet, dass sie von nur 13 Musikern aufgeführt werden kann. Da die Aida nun keine unbekannte Oper ist, klingt das zunächst ungewohnt, wenn im Vorspiel das Liebesmotiv von einer einzelnen Geige gespielt. Andererseits wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie oft in dieser Oper die tieferen Instrumente wie Cello und Kontrabass und Fagott zum Einsatz kommen. Im Schlagwerk kommt auch eine Handtrommel zum Einsatz, die einen jazzigen Akzent setzt.
Da der Raum eine sehr direkte, etwas knallige Akustik besitzt, vermisste man auch beim Triumpfmarsch das große Orchester nicht. Die nötige Lautstärke kam von selbst. Dass die hat nicht gestört.
Mit Kristin Ebner als Aida verfügt über eine kräftige, schön timbrierte, dramatische Stimme, der man auch eine Isolde zutrauen würde. Sie überstrahlte mühelos auch den stimmstarken und präzise singenden Chor. Auch die innigeren Passagen im Nilakt oder in der Schlussszene gelangen ihr sehr schön, allerdings nimmt sie ihre Stimme nie ganz ins Piano zurück. Sie harmoniert hervorragend mit Radames, Anton Klotzner, dessen Stimme heldentenorale Anklänge zeigt: baritonale Tiefe und schöne Höhe, die ganz exponierten Töne gelangen nicht immer gleich gut. Carolin Ritter ließ als Amneris fast zu schöne Töne hören, ihre Stimme ist für einen Mezzo relativ hell. Aber das ist Geschmackssache, mir gefällt das besser, als die tief orgelnden Stimmen, die man sonst oft in dieser Rolle zu hören bekommt. Ihre Pace-Rufe am Ende sind herzerweichend.
Torsten Petsch als Amonsaro überzeugt mit wunderbarem Legatogesang, ebenso wie Robson Bueno Tavares als Oberpriester Ramphis. Der König Herfinnur Arnjafall darf auch den Text des Boten im ersten Akt singen.
Enden als Ausstellungsstücke: Aida und Radames in der Schlussszene © Opera Incognita
In dieser außergewöhnlichen Produktion enden Aida und Radames als Mumien, Ausstellungsstücke in einem Museum – vielleicht das Museum Oper? Ein interessantes, gelungenes Experiment der Opera Incognita.
Susanne Kittel-May