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MÜNCHEN/ Kammerspiele: „GESPENSTER. Erika, Klaus und der Zauberer“ von Kollektiv Zeit & Raum. Stream

24.02.2021 | Theater

MÜNCHEN: „Gespenster“ – Erika, Klaus und der Zauberer von Raum & Zeit  bei den Münchner Kammerspielen/ Stream 23.2.2021

In Glasquadern gefangene Menschen

Stream: „Gespenster“ am 23.2.2021 bei den Münchner Kammerspielen/MÜNCHEN

Vorne rechts: Svetlana Belesova, vorne links: Katharina Bach, hinten links: Jochen Noch, | Bild: Heinz Holzmann
Foto: Heinz Holzmann

Denkt man hier an Henrik Ibsens Schauspiel „Gespenster“? Hinsichtlich der grotesken Familiensituation schon. Ist es bei Ibsen der Mutter-Sohn-Konflikt, sticht bei der Familie Mann die problematische Vater-Tochter-Beziehung hervor: „Ständig fragen Leute nach dem Zauberer!“ Bernhard Mikeska nimmt das Münchner Literaturheiligtum „Familie Thomas Mann“ gehörig auf die Schippe. Der Text von Lothar Kittstein vermischt die Handlung von Thomas Manns Erzählung „Der Tod in Venedig“ recht geschickt mit der Autobiographie des berühmten Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, der hier hinsichtlich seiner komplizierten Beziehung zu den eigenen Kindern in manchmal schmerzhafter Weise bloßgestellt wird. Auf der Spielfläche befinden sich vier Glasquader, die die Personen in gnadenloser Weise voneinander trennen. Dabei sorgt das Bühnenbild von Steffi Wurster für die coronabedingte Sicherheit der Schauspieler. Bei dieser bizarren Familiengeschichte und Seance wird Erika Mann zuletzt in schlimmer Weise von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht. Und als „Sekretärin“ ihres Vaters fristet sie ein armseliges Dasein. Ihr jüngeres Selbst möchte dabei „Geschwister“ verfilmen. „Geschwister“ war ein Theaterstück von Klaus Mann, in dem er das Verhältnis zu seiner Schwester  Erika verarbeitet hat. Die junge Erika wird hier von Katharina Bach verkörpert, die einen fatalen Hang zur Libertinage zeigt. Und Svetlana Belesova mimt virtuos die desillusionierte alte Erika.

Erikas früheres Ich weiß noch nichts vom späteren Selbstmord des Bruders Klaus im Jahre 1949, doch in der Inszenierung kündigt sich das Geschehen doch in bedrückender Weise an. Flimmernde Bildvisionen stürzen das Seelenleben der Protagonisten ins Chaos, in eine unrettbare Verlorenheit und Verzweiflung. Die Zeitebenen verschwimmen hier in raffinierter Weise: „Du bist zu laut, alter Mann!“ Erika kämpft mit ihrem Vater Thomas einen für sie aussichtslosen Kampf. Die Kinder sind diesem seltsamen „Zauberer“ rettungslos ausgeliefert. Die Inszenierung  greift aber auch auf die berühmte Verfilmung von Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ zurück, die Luchino Visconti gedreht hat. Jochen Noch spielt Gustav von Aschenbach – und so werden von Aschenbach und Thomas Mann plötzlich in skurriler Weise zu einer Person. Und auch der Jüngling, den von Aschenbach begehrt, und Klaus sind dabei ein und dieselbe Figur. Sie werden dabei sehr schillernd von Bernardo Arias Porras gespielt. Jochen Noch stellt die Kälte, die Thomas Mann seinem Sohn Klaus gegenüber zeigt, als panischen Abwehrreflex heraus, um seine Homosexualität zu unterdrücken. Er verlagert seine Sehnsüchte ins Literarische. Gleichzeitig mokiert er sich über die „Geilheit bürgerlicher Ehebetten“.

Der Sounddesigner Knut Jensen hat hier Klanglandschaften komponiert, die Raum und Zeit miteinander verschmelzen lassen. Almut Eppingers Kostüme unterstreichen diese Intention. Der „summer of love“, der letzte Sommer der Schauspielerin, Kabarettistin und Autorin Erika Mann gerät plötzlich grell ins Zentrum des Geschehens.  Sie steht tragisch im Schatten ihres Über-Vaters sowie in der fatalen Macht des todessehnsüchtigen Bruders. Vergeblich fordert sie den Vater zum Schweigen auf: „Du musst jetzt leise sein!“  Die Befreiung scheint für Erika erst am Schluss des Stückes zu kommen, denn sie spaltet sich in zwei Personen auf. Bis zu ihrem Tod war Erika Mann Hausherrin und Verwalterin des Erbes von Vater und Bruder: „Ich bin ein bleicher Nachlaßschatten und darf hinieden nichts mehr tun, als Briefbände, Anthologien und dergleichen meiner lieben Toten herausgeben“. Zuvor hat das Geschwisterpaar die Genehmigung von Klaus Manns Stück „Geschwister“ ultimativ gefordert. Der Vater mutiert als „Über-Ich“ zu einer beängstigenden Figur. Als König eines undurchsichtigen Systems lässt er die Existenz von Klaus völlig verblassen. Und Erika entgleitet dem Bruder. Es ist eine Entscheidung für den Vater und gegen den Bruder. Auch deswegen scheidet Klaus aus dem Leben. Diese völlige seelische Zerrissenheit Erikas stellen Katharina Bach und Svetlana Belesova packend dar. Dagegen wirken die Selbstzweifel und seelischen Verletzungen des Gustav von Aschenbach alias Thomas Mann hier zuweilen doch etwas aufgesetzt. Zumindest ist man immer wieder fassungslos darüber, wie kaputt und zerrüttet die Beziehungen im Hause der Familie Mann angeblich waren: „Ich mach‘ dich fertig, du Drecksau!“  Manches wird dann offensichtlich doch etwas zu drastisch dargestellt. Zumindest gerät diese Familie immer wieder in einen gefährlichen Strudel und fällt „Skylla und Charybdis“ zum Opfer. Das hat zuweilen die Wucht einer altgriechischen Tragödie, zumal die Protagonisten ihrem seelischen Gefängnis nicht entfliehen können. 

Alexander Walther   

 

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