Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MÜNCHEN/Herkulessaal – WIEN/Musikverein: Georg Friedrich HÄNDEL: „MESSIAH“

Zwei denkwürdige Festaufführungen

21.12.2018 | Konzert/Liederabende


Akamus flying instruments. Copyright: Uwe Arens

MÜNCHEN/Herkulessaal – WIEN/Musikverein: Georg Friedrich HÄNDEL: „MESSIAH“

Zwei denkwürdige Festaufführungen 19.12./20.12. 2018 (Karl Masek)

Der Vergleich versprach reizvoll zu werden. Im Herkulessaal beendeten der Windsbacher Knabenchor und die Akademie für Alte Musik Berlin eine vorweihnachtliche Tournee durch die Niederlande und Deutschland. Tags darauf fand im Musikverein die schon traditionelle vorweihnachtliche Achse Wien-Berlinmit dem Arnold Schoenberg Chor und der LauttenCompagney Berlin unter der  Leitung von Erwin Ortner mit dem Kult-Oratorium des großen Hallensers zusammen.


Arnold Schönberg-Chor/Erwin Ortner. Foto: privat

Der 45-jährige Chorleiter Martin Lehmann, in Dresden beim Kreuzchor und an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ ausgebildet (beides Referenz-Adressen, immer schon), übernahm 2012 die künstlerische Leitung des Windsbacher Knabenchores. Der in Mittelfrankenbeheimatete Chor gilt heute als eines der führenden Ensembles seiner Art. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Sopran- und Altstimmen der Knaben  nach dem Stimmbruch und einer „Singepause“ mit pfleglicher Stimmbildung harmonisch in den Tenor- und Bassbereich „hinüberwachsen“ und dann oft schon mit 16, 17 Jahren im Chor weiter singen. Damit stehen die „Windsbacher“ mit Selbstbewusstsein für eine besondere Synthese von Musikalität, Kontinuität in der Verfolgung sängerischer Ziele, einen besonders homogenen und reinen Chorklang.

Im speziellen Fall passen die Stimmen symbiotisch miteinander zusammen, was auf perfekte stimmbildnerische Ausbildung im Chor schließen lässt. Etwaige Bedenken des Kritikers, ob sich geschmeidige Balance zwischen den Stimmlagen ergeben könnte, wurden mit dem ersten Choreinsatz „Andtheglory  oft the Lord…“ augenblicklich zerstreut. Transparent, klar, quellfrisch und überaus natürlich das Klangbild. Unangestrengt, weil technisch auf sicherem Fundament, klingen die Stimmen. Sensationell die Soprane, wie sie das berühmte „Halleluja“ anführen und sich gekonnt bei „King of Kings, Lord of Lords“ in himmlische Höhen emporschrauben. Fabelhaft, wie der gesamte Chor einen Abend lang zu ungeahnter  Bandbreite des Ausdrucks findet. Von feierlicher Klangpracht und Jubeltönen bis hin zur verblüffenden akkordischen Einfachheit z.B. im Engelschor des „Glory toGod in thehighest…“ im 1. Teil . Mit lockerer Unbekümmertheit werden die Koloraturen spielerisch leicht bewältigt. Die Bässe haben naturgemäß (noch) nicht „bassaleProfundheit“, dafür klingen sie jugendlich hell, schlank – eben „Jünglings-Baritone“.

Martin Lehmann stellt sich mit all seinem Können (die Chormeister sind ja oft die allerbesten Dirigenten, wie ja auch Erwin Ortner tags darauf wieder eindrucksvoll bewies) und seiner Erfahrung auf die besondere – „trockene“ –  Akustik des Herkulessaales ein. Und er hat dezidierte Interpretationsvorstellungen, begnügt sich nicht mit oberflächlicher Klangpolitur. In bester Korrespondenz dazu die 1982 gegründete Akademie für Alte Musik, Berlin, die man zu den international renommiertesten Ensembles für historisch informiertes Musizieren zählen kann. (Sie treten mit René Jacobs auch regelmäßig im Theater an der Wien auf, zuletzt im November mit Händels „Teseo“).

Großartig das Solistenquartett: Lydia Teuscher begeistert mit schlankem, betörendem und engelhaftem Sopran (z.B. „… I  knowthatmyRedeemerliveth“), der auch mit leichtfüßiger Rhythmik und jauchzenden Glückstönen (Rejoice, greatly, Oh daughterof Zion…“) aufwartet.Terry Wey ist der voll Mitleid beobachtende Protagonist des 2. Teiles(der Leiden, Tod und Auferstehung zum Inhalt hat, berührend setzt er die Seufzermelodik in: „ He was despisedandrejectedofmen…“) um. Rhythmisch pointiert gestaltet er,  perfekt sitzen die  Koloraturen, beseelt und subtil gerundet kommen dieintrovertierten Legato-Phrasen.  Tilman Lichdi zählt seit geraumer Zeit zu den bedeutendsten Evangelisten der Bach-Passionen seit Peter Schreier. Schön timbrierter Tenor, stilistisch perfekt, ausdrucksstark, vorbildliche Rezitativgestaltung. Thomas Laske adelt mit noblen Kavaliersbariton-Tönen seine Soli. Herausragend (auch durch das glanzvolle Trompetensolo!) die Bravourarie „The  trumpetshallsound…“!

Der Sprung zurück nach Wien. Hier der „Erwachsenen“- Chor. Klarerweise  mit reiferen, dunkleren, Farben, mit anderem Klangduktus, von abgeklärter Ästhetik. Von mirakulöser Schönheit. Hier erlebt man nicht die kindlich-jugendliche Natürlichkeit der Tongebung, dafür ein noch differenzierteres Klangbild. Man gewinnt die Gewissheit, hier wissen auch alle über die Tonartensymbolik hörbar Bescheid. D-Dur, die „Königstonart“ (es heißt ja auch: re!) hat tatsächlich imperialen Anstrich, in g-Moll, der „Todestonart“, erinnert der Chor mit scharfer Punktierung und geradezu schmerzhafter Rhythmik, an die Leiden Jesu für die Sünden der Menschheit („BeholdthelambofGod…“).Erwin Ortner macht’s hörbar!

„Abgeklärte Ästhetik“ – dennoch auch alle lichten Klangfarben, auch im Musikverein die spielerischen Koloraturen, wo erforderlich. Was der Arnold Schoenberg Chor zeigt, scheint schwer überbietbar. Man hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Auf Augenhöhe auch die vielfach bewährte (und in Wien hochgeschätzte) LauttenCompagney, Berlin mit aller Intensität auch an den leisen, verinnerlichten Stellen. Das „Halleluja“ kommt nicht pompös und mit krachenden Pauken daher, sondern setzt im Gegenteil ganz leise, sozusagen seelenvoll, an. Dann werden die Steigerungen auch wirklich als solche erlebt. Und ein Erlebnis für sich das abschließende „Worthy ist he Lamb … Amen.“

Die Soli strahlen Gewichtigkeit aus (was aber der feingliedrigen Münchner Gangart keinen Abbruch tut!). Dank an die Wiener Einspringerin Cornelia Horak! Sie hat schon eine jahrzehntelange Karriere hinter sich (von Sakralmusik, Barock, bis hin zur Operette!), kann immer noch schwebende Engelstöne abrufen. Sonia Prina changiert gekonnt zwischen dramatischer Zuspitzung und gedämpft pastosen Alttönen. Michael Schade stehen die dramatischen Koloraturkaskaden nach wie vor zu Gebote, er gestaltet die Accompagnati-Rezitative mit emotionaler Dringlichkeit und singt die Arien mit all seiner Erfahrung prunkvoll, mit geschärfter, bombensicherer Höhe. „Bassiger“ als sein Kollege in München ist Simon Bailey. Er singt auch nicht Almaviva, Onegin und Don Giovanni (wie Thomas Laske), sondern Klingsor und Gurnemanz. Resonanzreich sein Organ – jedoch auch er mit verinnerlichten Tönen.

Zwei denkwürdige Festaufführungen – jede auf ihre Art meisterlich. Schön zu erleben, dass es auch bei einem Kult-Werk, das der „Kenner“ ganz genau zu kennen glaubt (und das oft sehr pauschal mit „barockem Bombast“ daherkommt!) verschiedene Ansätze, unterschiedliche stilistische Zugangsweisen gibt. Im Sinne überzeugender Meinungsvielfalt waren beideAbende höchst bereichernd.

Publikumsbegeisterung in München, Publikumsbegeisterung in Wien (wobei die Wiener anscheinend mehr Phonstärke entwickeln, wenn ihnen etwas besonders gefällt). Ovationen da wie dort. Der Kritikerdaumen zeigtbeide Male steil und nachhaltig nach oben.

Evviva Händel – und Merry Christmas!                                                                  

Karl Masek

 

Diese Seite drucken