Copyright: Michael Reinecke
München: Gasteig, Carl-Orff-Saal 08.10. 2019
„Flamenco Telúrico – Carina La Debla“
Unkonventionell, innovativ und mit höchster künstlerischer Präzision dargeboten – so präsentierte sich das Münchner Gastspiel der Tänzerin und Choreographin Carina La Debla und ihrer Musiker: Quisco de Alcalá (Gesang, Textkomposition), Cristian de Moret (E-Gitarre, Melodica, Komposition) und Álvaro Garrido (Percussion), gekonnt in Szene gesetzt durch die effektvolle Lichtregie von Torben Ahrens. Als „Hommage an das Leben“ verstehen die Künstler ihre Neuinterpretation des traditionellen Flamenco, wobei sie in ganz unnachahmlicher Weise Elemente unterschiedlichster musikalischer und tänzerischer Stilrichtungen kombinieren. Avantgardistisch und zugleich erdverbunden („telúrico“), experimentell und ausdrucksstark, geprägt von einem schier unerschöpflichen Reichtum an Klangfarben, Ausdrucksformen und musikalisch-tänzerischer Modulationsfähigkeit erschließt sich dem Zuschauer ein Universum an Kreativität, Energie und Poesie. Als äußerst wandlungsfähige und hochtalentierte Tänzerin beeindruckt Carina La Debla durch faszinierende Bühnenpräsenz, beeindruckende Professionalität und schwindelerregendeVirtuosität sowohl in traditioneller Gewandung wie auch im schlichten Jeans-Outfit – und vermittelt auf diese Weise deutlich, dass Intensität und Zauber des Flamenco vollkommen unabhängig von jeglichem folkloristischem Dekor sein kann, soll und vielleicht sogar muss. Die „Reise durch die Welt des Tanzes und der Musik“ ist in hohem Maße getragen von den drei Musikern und deren jeweils ganz individuellem und unverwechselbarem Beitrag: dem Sänger und ein bisschen auch dem Conférencier der Gruppe, Quisco de Alcalá, dessen Stimmintensität und Timbre durchaus so manche der berühmten Interpreten des frühen 20. Jhds. ins Gedächtnis ruft, und dessen Lyrik eine ganz eigene Mischung aus Melancholie und Humor ist, deren Unmittelbarkeit sogar die bei Gastspielen unvermeidliche Sprachbarriere zu überwinden vermag; sodann von dem Gitarristen Cristian de Moret, der durch seine Experimentierfreudigkeit dem klassischen Flamenco eine Vielzahl innovativer Klangwelten hinzufügen konnte, und gleichermaßen durch Virtuosität wie auch Improvisationstalent überzeugt; und nicht zuletzt vom Percussionisten Álvaro Garrido, der als Klangforscher und Instrumentensammler mit untrüglichem Sinn für jede noch so entlegene Form und Ausprägung der Tonkunst und quasi wissenschaftlicher Akuratesse einen unendlichen Kosmos an Klangfarben konstruiert – es gibt wohl keinen Gegenstand auf der Welt, dem Álvaro Garrido keine Töne zu entlocken vermag. Seine Virtuosität und sein besonderes Talent, ebenso fragile wie tragfähige Klangmuster zu entwerfen, diese wiederum in stabilen Tonräumen zu konzentrieren und damit letztendlich Klangteppiche zu schaffen, bietet die ideale Grundlage, und, wenn man so will, die Erdung, woraus Carina La Deblas avantgardistische Choreographie gleichsam organisch herauswächst.
Copyright: Michael Reinecke
Die Reise endet jedoch nicht auf der Bühne, bei den Protagonisten, sondern setzt sich fort im Publikum, indem sie diesem die Möglichkeit gibt, den vielfältigen Ton- und Klangnuancen nachzuhören, die rhythmische Variationsbreite in sich aufzunehmen und nachzuempfinden, und auf diese Weise die eigene Erdung aktiv zu spüren. Der Carl-Orff-Saal gewährte nicht nur räumlich ein ideales Ambiente für „Flamenco telúrico“, sondern, besonders passend, auch in Anknüpfung an das kompositorische Schaffen des Münchner Komponisten, dessen Werk in vergleichbarem Maße von innovativen Klangräumen, unverwechselbarer Rhythmik sowie einer im Werk selbst angelegten und in ihm tief verwurzelten Choreographie geprägt ist.
Isabel Grimm-Stadelmann