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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: MARTHA oder »Der Markt zu Richmond«

17.01.2019 | Oper

Theater am Gärtnerplatz, München: MARTHA oder »Der Markt zu Richmond«

Romantisch-komisches Musiktheater . Veredelt, fein und sinnig: feinsinnig

Musik F. von Flotow – Dichtung W. Friedrich                                                       Uraufführung 1847                                                                                                      Vorstellung vom 17. Jan. 2019

Einlassungen von Tim Theo Tinn

Bildergebnis für gärtnerplatztheater martha
Foto: Christian POGO Zach

Die Inszenierung  durch Loriot († 2011) ist ein Kleinod, eine Kostbarkeit aus dem Jahre 1997, die Arbeit eines Humoristen, der Unzulänglichkeiten der Welt und Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit begegnet.

Somit war kein Klamauk-Kasper aktiv, wie sie medienweit als Comedian/Komiker irritieren.

Die Handlung, verlegt aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts in die Mitte des19ten, erzählt von Loriot und komplette Besetzung: https://www.gaertnerplatztheater.de/uploads/Programmhefte/Programmheft%20MARTHA%20WALeseprobe.pdf

In Graz wurde gerade in masturbativem Eifer diese wunderbare Opera Comique zu antiquiertem Blödsinn verhunzt. Man verlegte alles in ein Irrenhaus, behauptet damit einen Kunstgriff getan zu haben, hat offensichtlich damit aber eine bezaubernde Vorlage in Schutt und Asche gelegt. Rezensenten behaupteten dann auch noch, diese Inszenierung entlarve das ganze Werk als unspielbar. Vergleich Zoobesuch: in der Elefantenanlage werden nur Warzenschweine geboten!

Dabei ist dieses Werk mit internationalem Erfolg, aus der Spieloper geboren, durchkomponiert ohne gesprochene Dialoge, das selbst Enrico Caruso an die New Yorker Met brachte, derzeit tatsächlich eine Rarität in Theater – Spielplänen, macht also das Gärtnerplatz – Erlebnis umso wertvoller.

Intelligente Sichtung der dramatischen Vorlage mit artifizieller dramaturgischer Umsetzung, die völlig unterhaltsam, spannend Unzulänglichkeiten, Schwierigkeiten, Missgeschicke heiter karikiert, aber nicht entlarvend belachen lässt, bleibt unbeschwert und gehaltvoll. Es gibt keinen herzig-scherzigen Klamauk sondern normale Menschen, die in sonderbare Umstände geraten.

Details: da sind 2 Oberschicht – Fräuleins, Harriet und Nancy, die sich in saturierter Langeweile lesbischen Ambitionen hingeben. Inszeniert ist da ein Küsschen, hier ein delikates Begrapschen und der Dünkel, der dazu verführt sich unters Volk zu mischen und an einer öffentlichen Dienstmagd -Versteigerung teilzunehmen. Dünkel-Dumm lassen die 2 sich tatsächlich dabei zu einem Vertrag hinreißen, erhalten Geld und sollten nun leisten – so geht das los.

Da sitzt dann mal auch Richard Wagner beim Bier. Loriot hat immer mal stilisierte Körpersprache mit choreografischen Ansätzen für die Protagonisten eingeführt, es werden szenische Einwürfe aus dem französischen Guignol-Theater (Puppenspiel) genutzt, ein Papiertheater, in dem auch die überdimensionalen Hände des Puppenspielers eingreifen. Das ist herzöffnendes Theater – lax gesprochen: Theater für “Birne und Bauch“.  Männliche Ersteigerer übernehmen Spinnräder, da die Fräuleins das nicht können, dafür hüpfen die dann in koitalem Vergnügen rhythmisch auf dem Sofa. Und ganz kurz obsiegt am Schluss die lesbische Liebe.

Solches Theater macht unser Leben besser, lässt uns die Welt neu denken (Bauhaus – Motto)! In Graz hat man sich wohl eher auf die tristesten möglichen Alltäglichkeiten konzentriert. Wer ist schuld? – Der Intendant!

Völlig subjektiv und eigengeschmäcklerische Beckmesserei: das Bühnenbild ist optisch verhalten, in linden Farben wirkt es wenig prall – Emotionen weckend – aber das ist ja nun mal der diskrete Understatement-Charme des Loriots.

Musikalisch gibt es wundervolle Mittellage – Koloraturen in perlenden Duetten von Harriet und Nancy, hinreißende Soloparts von Blech –, Holzbläsern und Harfe. Mozart wird kurz mit einen Pedrillo – Einwurf aus der Entführung (Harriet singt vorgabegetreu „ ja, es sei gewagt..) zitiert, man hört sogar Anklänge an irische Volksweisen – pralle Musik, nicht in artifizieller Überhöhung sondern tolle Klassik im volkstümlichen breitenwirksamen Ambiente. Usw. youtube 2,18 Min: https://www.youtube.com/watch?v=3gm7PkW9Zjg

Musikalische Leitung durch Andreas Kowalewitz:  das war die sehr gute Leistung eines A – Orchesters. Musikalisch war alles völlig homogen, ineinander verwoben. Tempi und Dynamik standen in ideal korrespondierenden Synthesen mit der Szene beieinander. Ein kleiner Wackler zu Beginn bei den Holzbläsern wurde lediglich wahrgenommen. Ein Klangteppich in idealer Ausformung, der ggf. allerdings zukünftig die wachsenden Dezibel etwas bändigen sollte, da mancher Sänger dann doch etwas zugedeckt wirkte.

Insgesamt erlebt man eine Gärtnerplatz – Ensemble – Qualität wie immer. Herzblut in durchgängiger Attraktivität aller Figuren, Spielfreude, Lust und wohltemperierter Einsatz in Loriots Humor -Philosophien. Kompliment an die Spielleiterin Ulrike Aberle, die offensichtlich ein völlig neues Ensemble so stimmig nach über 20 Jahren eingearbeitet hat. 

Nun gibt es da auch eine Sopran – Perle im Gärtnerplatz-Theater. Symbolisch steht Perle für Aphrodisiakum, Heilmittel für Melancholie und Wahnsinn, für Tränen und sakralen Charakter, als Zeichen der Liebe, für Schönheit, einfach als etwas Besonderes: Jennifer O`Loughlin,  die  als Harriet fasziniert. Die Gesangslinie ist betörend, durch alle Register verströmt ein durchgängiges Legato Wunderweben, alles zart und doch mächtig aus einem Guss, bei schwierigsten Koloraturen hüpft sie auf dem Sofa. Auch in exponiertester Höhe bleibt die Stimme völlig kontrolliert im warmen Schweben zarter Linie, verliert sich nie in Schärfe oder unkontrollierten Tönen. Und sie kann auch Humor – eine an gesangliche Qualität heranreichende darstellerische Kraft.

Die Nancy der Anna-Katarina Tonauer ist eine perfekt ausgeformte Sängerin. Es scheint fast ein Wunder, welch hohe sängerische Qualität im Gärtnerplatz auch hier zu Hause ist. Der Mezzosopran singt und spielt leicht und frei, durchgängig dynamisch ohne Anschein von Anstrengung. Da ist nichts erkämpft – überakzentuiert. Das ist eine Stimme für das ganz breite Fach, die hier allerbeste Referenz gibt. Zuschauer erleben keine klassische Sängerin, sondern eine Szene und Musik durchwebende Qualität, die von Gesang, Musik und Darstellung völlig vereinnahmt klassischen Gesang selbstverständlich wirken lässt.

Lyonel ist der Tenor Alexandros Tsilogiannis. Die Stimme ist beeindruckend – absolut höhensicher genauso wie völlig souverän in alles Lagen. Stahl schwingt sich auf, kraftvoll. Es gibt aber eine Unsicherheit beim Rezensenten. Die Stimme kann alles, die Darstellung auch. Trotzdem besteht der Eindruck, dass die Linie vielleicht eine Spur zu horizontal geführt wird, nicht hochgeschoben, aber doch etwas forciert. Wenn es gelingt, hier die Stimme breiter, vertikal durch die Registerräume schweben zu lassen, eine lyrische Durchleuchtung einzubinden, könnte etwas Einmaliges entstehen. Solche Tenöre sind ganz selten.

Der Bass des Plumkett von Christoph Seidl hat erfreut. Die Stimme hat n. m. E. enorm an Substanz gewonnen, ein bassimmanenter Kern hat sich nachhaltig eingebracht. Bei der Mittellage fängt die Klasse an. Tatsächlich ist die Stimme des jungen Bassisten in einer bemerkenswerten Entwicklung. Die Tiefe kann problemlos abgerufen werden, nach oben scheint eher die Psychologie zu hindern. Die Töne sind alle vorhanden – aber Christoph Seidl scheint sich beim Aufschwung selbst zu verunsichern. Insgesamt bleibt ein guter Eindruck eines beeindruckenden Talents, mit bassförderlichen Gardemaßen.

Die vielen weiteren Solisten, Chor und Statisterie runden eine mit durchgehenden Qualitäten schon üblicher Gärtnerplatz – Tradition ab. Gratulation für Musiktheater, das die Welt neu denken läßt, dass das Leben besser macht.

München 17. Jan. 2019

Tim Theo Tinn berichtet aus dem Gärtnerplatztheater München

 

 

 

 

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