LE NOZZE DI FIGARO – Gärtnerplatztheater, 29. Juni 2023 (Premiere)
Ana Maria Labin (Gräfin), Anna Katharina Tonauer (Chrubino), Sophie Mitterhuber (Susanna). Foto: Markus Tordik
Zwei der auf Librettis von Lorenzo da Ponte basierenden Opern Mozarts hatten in den letzten Jahren als Neuproduktionen am Gärtnerplatztheater ihre Premieren – in der Sichtweise verschiedener Regisseure und mit zum Teil unterschiedlichen Besetzungen. 2015 kam „Cosi fan tutte“ in der Regie von Olivier Tambosi heraus (und steht bis heute immer wieder am Spielplan), für den „Don Giovanni“ zwei Jahre später war Herbert Föttinger als Regisseur engagiert worden (auch diese Produktion wird immer noch gezeigt). Eine Neuinszenierung der dritten der da Ponte Opern ließ lange auf sich warten. Erst am gestrigen 29. Juni, sechs Jahre nach dem“Don Giovanni“, kam es zur Premiere von „Le nozze di Figaro“. Und diesmal führte der Hausherr selbst Regie. So, wie Josef E. Köpplinger gemeinsam mit Johannes Leiacker (Bühne), Thomas Kaiser (Kostüme) und mit Unterstützung von Peter Hörtner (Licht) die Oper interpretieren und zeigen, braucht das Gärtnerplatztheater keinen Vergleich mit so genannten großen Häusern oder Festivals scheuen. Frei nach Beaumarchais war diese Premiere kein toller Tag sondern ein sehr toller Abend.
Das Schloss des Grafen Almaviva hat sichtlich schon bessere Zeiten erlebt. Die Fenster sind deutlich erblindet (oder auch seit langer Zeit nicht geputzt), von den Wänden blättert der Verputz und auch die Möbel haben sichtlich Patina angesetzt. Quer durch das Zimmer von Susanna und Figaro hängt eine mit entsprechenden Utensilien behängte Wäscheleine, ein in die Jahre gekommener Kühlschrank ist auch für die Kühlung des vom Grafen ausgepeitschten Gesäßes von Cherubino hilfreich. Voll Selbstironie zitiert eine Kopie des Bühnenportals samt Bühnenvorhang im Hintergrund der Gerichtsszene das Theater, der bloß angedeutete Garten im vierten Akt lässt auch Raum für eigene gedankliche Spielereien. Dass das Leadingteam der Versuchung widersteht, das Werk zu modernisieren oder umgekehrt pseudohistorisch zu interpretieren, sei durchaus positiv vermerkt. Es ist eine Gratwanderung, die Köpplinger in der Personenführung geht. Immer wieder nimmt er das Libretto wörtlich und ja, das bedeutet, dass auch vom Grafen die political correctness überschritten werden darf. Aber weil es ja eine Opera buffa ist, darf auch der (hintergründige) Witz nicht fehlen, der das Premierenpublikum zum Lachen reizt.
Und was noch mehr als bloß erwähnenswert ist: endlich gibt es einen Regisseur, der die Ouvertüre als das sein lässt, was sie ist – nämlich ein Vorspiel zur Oper vor dem geschlossenen Vorhang.
Gesungen wird auf durchwegs hohem bis sehr hohem Niveau. Bis auf die Gräfin sind alle Rollen aus dem hauseigenen Ensemble besetzt. Und auch mit diesen Ensemblekräften brauch das Gärtnerplatztheater keinen Vergleich scheuen. Julia Sturzlbaum (Barbarina) und Caspar Krieger (Don Curzio) haben ihre Qualitäten erst kürzlich in Franz Lehars „Friederike“ auch in großen Rollen unter Beweis stellen können, Juan Carlos Falcon (Don Basilio) kennt man auch aus Hauptrollen (unvergessen seine Großherzogin aus Gerolstein), Reinhard Mayr gibt einen in jeder Weise rollengerechten Don Bartolo, Alexander Grassauer ist ein in jeder Weise verschlagener Antonio, Anna Agathonos singt und spielt nach ihrer Herzogin in „Luisa Miller“ wiederum eine herrlich schräge Marcellina. Anna-Katharina Tonauer spielt einen burschikosen Cherubino, der auch in Unform gute Figur macht, pubertierend alles Weibliche umschwärmt und nicht nach einem abgedunkelten Sopran klingt. Bei ihr muss der Maske ein hohes Lob ausgesprochen werden – die langen Haare der Sängerin so unmerklich unter einer Kurzhaarperücke zu verbergen, das muss man erst einmal können. Die Susanna ist bei Sophie Mitterhuber bestens aufgehoben. Nicht nur, dass sie als Kammermädchen der Gräfin und vor allem ihrem Figaro gegenüber durchaus emanzipiert ist, kann sie in dieser Partie auch alle ihre stimmlichen Qualitäten zeigen. Ana Maria Labin und Ludwig Mittelhammer singen und spielen das gräfliche Paar, das sich merklich auseinander gelebt hat; von den ständigen amourösen Ausbrüchen ihres Gatten gedemütigt, scheint auch die Gräfin nicht gänzlich abgeneigt, Cherubino ins Erwachsenwerden zu helfen. Und diese Gefühlswelt zwischen nahezu liebeshungrig und wütend drücken beide auch in den Gesangslinien aus. In der Titelpartie kann Levente Páll glänzen. Wenngleich „nur“ der Kammerdiener des Grafen, ist er an diesem Abend seinem Herren mehr als ebenbürtig. Selbstsicher im Auftreten trumpft er stimmlich auf und überzeugt so auf allen Ebenen. Wie immer von hoher Stimmqualität und diesmal auch tanzfreudig (Choreografie: Karl Alfred Schreiner) zeigt sich der Chor (Einstudierung: Dovile Siupenyte).
Am Dirigentenpult zeigt sich mit Rubén Dubrovsky der kommende Chefdirigent des Hauses. Ohne zu hetzen bevorzugt er straffe Tempi, gibt den Soloinstrumenten Raum, geht auf die Sänger ein und deckt sie nicht zu. Dem wieder gut disponierten Orchester entlockt er ein den traditionellen wiener Mozartstil und Harnoncourt gleichermaßen berücksichtigendes Klangbild. Erste Bravorufe für ihn gab es bereits beim Betreten des Orchestergrabens nach der Pause.
Der berechtigte Jubel des Premierenpublikums galt dem Leadingteam ebenso wie den Sängerinnen und Sängern, dem Chor, dem Orchester und nicht zuletzt dem Dirigenten. Bloß Ginger und Grace, zwei Setter mit Auftritt im 3. Akt, durften sich nicht mehr verbeugen. Im Februar kommt diese Produktion mit einer alternativen Besetzung wieder auf den Spielplan und der aus Wien angereiste Besucher wird auch dann im Zuschauerraum sitzen.
Michael Koling