Vier Freunde, immer in Feierlaune: Lucian Krasznec (Rodolfo), LeventePáll (Colline), Christoph Filler (Schaunard), Matija Meić (Marcello) © Marie-Laure Briane
München:“La Bohéme”–Gärtnerplatztheater28.03.2019, Premiere –Hippe Typen
Diese Inszenierung passt zu München im Allgemeinen und zum Gärtnerplatzviertel im Besonderen: Die Bohémiens sind hippe Typen, die, wenn sie mal Geld haben, das sofort ausgeben. Sie leben in einem Loft-ähnlichen Altbau, wie es sie um den gentrifizierten Gärtnerplatz zuhauf gibt. Regisseur Bernd Mottl (ein Urgroßneffe des Dirigenten) sieht sie nicht als arme Schlucker, sondern als junge Menschen, die in angesagten Bars und Clubs unterwegs sind. Rodolfo macht Fotos mit seinem Mac-Book, Marcello bemalt die Wände mit schwarz-weiß Graffiti, Trash ist in. Sie frieren im ersten Akt auch nicht, weil sie kein Geld für Feuerholz haben, sondern weil sie die Fenster ausgehängt haben, vielleicht wollen sie mal sehen, wie sich das Frieren anfühlt, vielleicht finden sie es einfach nur schick, wenn der Schnee draußen so poetisch vom Himmel fällt. Street Art im Theater, Mimi ist eine obdachlose Backpackerin, Marcello schaut aus wie ein Rapper mit seiner pinkfarbenen Haartolle und den Goldketten um den Hals und Colline kauft sich einen zweiten Mantel zu Weihnachten, Armut schaut anders aus. Die Kostüme von Alfred Mayerhofer sind eine Schau, grellbunt aber tragbar. Es ist ein heutiges Ambiente, in dem Bernd Mottl diese Bohème spielen lässt. Sie ist sehr unterhaltsam, über weite Strecken sogar lustig, im Publikum wurde oft gelacht, vor allem im zweiten Akt. Der spielt in einer schicken Eisbar, Parpignol– Stefan Thomas im Christbaum-Kostüm – ist Teil der Weihnachtsshow und der Tambourmajor entpuppt sich als strippender Nikolaus.
Strippender Nikolaus: Ensemble, Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Statisterie © Marie-Laure Briane
Es gab aber auch sehrpoetische Momente, beispielsweise wenn im ersten Akt zum „O suave fanciulla“ die Bühnenwand nachhinten wegschwebt und der dauerpräsente Schneefall das Liebespaar umhüllt. Überhaupt, die Bühne: dem Bühnenbildner Friedrich Eggert gelingt das Kunststück eines überhaupt nicht störenden Umbaus bei offener Bühne: zwei verschiedene Bühnenrückwände, eine für das Künstlerloft und eine für den Club an Stadtrand im dritten Akt, die Eisbar (Momus) fährt mitsamt Gästen von unten hoch. Hier haben sich die Investitionen in die Bühnentechnik gelohnt.
Gesungen und musiziert wurde auf hohem Niveau: Lucian Krasznec als Rodolfo ließ seinen in der Mittellage etwas schmelzarmen Tenor in der Höhe sehr schön aufblühen. Seine Mimí war Camille Schnoor, zu Beginn mit etwas Vibrato, aber insgesamt ein ausdrucksstarker, beweglicher Sopran. Diese Beweglichkeit fehlte der Musetta, MáriaCeleng, in ihrem berühmten Walzer, die dramatischen Passagen im dritten Akt gerieten ihr besser. Matija Meić als Marcello und Christoph Filler als Schaunardließen warme, schön phrasierte Baritonstimmen hören. Levente Páll als Colline klang in seinem Lied an den Mantel, hier als Ablenkung für die todkranke Mimì inszeniert, etwas trocken und knarzig. Allen gemeinsam ist eine große Spielfreude, sie gestalten ihre Rollen natürlich, glaubhaft und am Ende auch sehr berührend.
Das berührende Ende: Lucian Krasznec (Rodolfo) und Camille Schnoor (Mimí) © Marie-Laure Briane
Die musikalische Leitung lag in den Händen von Anthony Bramall, der das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatztheater flott durch Puccinis melodienreiche Partitur leitete. Manche Pianostelle hätte er vielleicht noch mehr auskosten können.
Insgesamt ist diese Neuproduktion des Gärtnerplatztheaters eine wunderbare Alternative zur doch etwas angestaubten Otto-Schenk-Inszenierung am Nationaltheater.
Susanne Kittel-May