MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater 24.11. 2019 “Komm’ aus dem Staunen nicht heraus”
Lesung von Kammersängerin Brigitte Fassbaender
Brigitte Fassbaender. Copyright: Rupert Larl
Kammersängerin Brigitte Fassbaender, nun schon seit geraumer Zeit (seit 2012) dem Staatstheater am Gärtnerplatz als Regisseurin und Intendantin eng verbunden – erst kürzlich haben wir über ihre äußerst gelungene Opernproduktion des “Jungen Lord” von Hans Werner Henze berichtet – hätte gar keinen besseren Ort als eben dieses Haus finden können, um ihre Memoiren „ihrem“ so ganz eigenen Publikum in einer sehr persönlichen Veranstaltung zu präsentieren. Die äußerst sympathische, energische und bewundernswert zeitlos-agile Künstlerin hatte in Moderator David Treffinger ein empathisches Gegenüber, mit dem sie im launigen Zwiegespräch heitere und ernste, gelegentlich auch sehr nachdenklich-anrührende Facetten ihres an Wundern und Staunen bis zum heutigen Tage so reichem Künstlerleben Revue passieren ließ. Sehr warmherzig und liebevoll erzählte sie von ihren Eltern, ihrem Vater (dem Kammersänger Willi Domgraf-Fassbaender), der auch ihr erster Gesangslehrer war, und ihrer kapriziösen Mutter (der Schauspielerin Sabine Peters), deren brüskierende Aufrichtigkeit für so manche familiäre Irritationen gesorgt hatte. Eine Aufrichtigkeit, welche die Tochter sichtlich geerbt hat, denn gleichermaßen geradeheraus und ohne Umschweife äußert sich Brigitte Fassbaender, wenn sie sich nicht scheut, ihren berechtigten Abscheu gegenüber den politischen Verhältnissen ihrer Kindheit und Jugend, auszusprechen, als sich „einer der größten politischen Verbrecher aller Zeiten auf dem Höhepunkt seiner Macht“ befand und „umgeben von fanatischen, machthungrigen Spießern über sein nationalsozialistisches Reich [herrschte]“ (S. 30). Ebenso direkt berichtet sie über Machtmissbrauch und Übergriffe seitens Berufskollegen, doch schwingt hier auch sehr viel Menschlichkeit mit, wenn sie freimütig und ganz und gar unpolemisch unerwünschte Avancen von Dirigenten und Sängerkollegen schildert: höchst bewundernswert ist hierbei, wie es ihr stets gelungen ist, sich diesen bestimmt und mit Nachdruck zu entziehen – kraft eigener Persönlichkeit und Willensstärke, lange vor und ganz ohne eine mediendominierte #metoo-Bewegung. Sie ist nicht nur eine bedeutende Künstlerin, sondern ebenso eine scharfe analytische Beobachterin, deren treffsichere Kommentare das Geschehen auf und hinter der Bühne gleichermaßen transparent werden lassen – eine Eigenschaft, die es der Interpretin, Gesangspädagogin, Regisseurin und Intendantin stets ermöglichte, ein Werk nicht nur zum Teil, sondern in all seinen Facetten und von unterschiedlichen Blickwinkeln aus zur Gänze zu durchdringen, – und dies dann auch entsprechend umzusetzen sowie glaubhaft nach außen hin zu vermitteln.
Die während der Lesung vorgetragenen Kapitel und Passagen aus ihrem Buch zeigen somit ganz deutlich, dass das Staunen für Brigitte Fassbaender nicht nur ein Zitat aus Richard Strauß’ “Rosenkavalier” war und ist, aus der Oper, die zeitlebens in ganz intensivem Bezug zu ihrer Person stand (S. 137–141), war sie doch über 25 Jahre lang stimmlich und darstellerisch díe Verkörperung des Octavian schlechthin. Im Gegenteil, das Staunen war und blieb bis zum heutigen Tag ihr lebenslanger Begleiter und zugleich auch eine Art Lebenselixier, das es der vielseitigen Künstlerin ermöglichte, ihre vielfältigen Lebensetappen und deren Höhen und Tiefen, Erfolge und Selbstzweifel, mit nie versiegender Neugier und Tatkraft zu bewältigen, als Grundvoraussetzung für Inspiration und Schaffenskraft.
Ein ganz wesentlicher Baustein ihres Lebensweges war und ist für Brigitte Fassbaender der Liedgesang, die Interpretation und Vermittlung des Kunstliedes. Dieser Aspekt, der in der Lesung leider etwas zu kurz kam, nimmt im Buch einen hohen Stellenwert ein (z.B. S. 125 ff.), gekrönt von einem sehr innig und enthusiastisch formulierten „Liebesbrief an Franz Schubert“ (S. 128 f.). Im Programm der Matinée wiederum spielte das Kunstlied eine zentrale Rolle, denn die Lesung war eingebettet in die Darbietung einer Auswahl aus Antonín Dvořáks Liederzyklus “Mährische Duette”, dies auf ganz expliziten Wunsch von Frau Fassbaender. Die beiden jungen Solistinnen, Ilia Staple (Sopran) und Anna-Katharina Tonauer (Mezzosopran), souverän unterstützt von Oleg Ptashnikov am Klavier, erwiesen sich nicht nur als äußerst stimmschöne und hervorragend aufeinander abgestimmte Interpretinnen der anspruchsvollen Kompositionen, sondern ließen zudem an ihrer großen Verbundenheit Brigitte Fassbaender gegenüber keinen Zweifel. Ihr zu Ehren und, – man hatte das Gefühl, gänzlich entrückt und einzig für sie allein, trugen sie abschließend noch die „Überreichung der silbernen Rose“ vor – eine bezaubernde und im schönsten Sinne zu Tränen rührende Geste einer zutiefst aufrichtigen und von Herzen kommenden Verehrung, bei welcher uns, dem Publikum, im wahrsten Sinne des Wortes „die Ehre widerfahren“ ist, zugegen sein zu dürfen.
Isabel Grimm-Stadelmann