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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN  – Premiere

28.01.2022 | Oper international

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN  – Premiere

Gesamtkunstwerk

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Foto: Marie-Laure Briand

Die missratenen Liebesabenteuer des Dichters E.T.A. Hoffmann in Jacques Offenbachs hundertzweiter und letzter Oper sind ja eine höchst sinnliche Angelegenheit: Alkohol spielt eine Hauptrolle, Begehren eine weitere, Träumen ist wichtig und über tiefe Gefühle wird immerhin ständig geredet. In der Musik schließlich ist nicht nur die berühmteste Barcarolle im Musiktheater plakativ sinnlich. Am Münchner Gärtnerplatztheater hat sich nun Stefano Poda den Blockbuster vorgenommen – eine Abwandlung seiner Lesart in Lausanne vor drei Jahren.

Die einzelnen Frauen des romantischen Dichters Hoffmann und das ständige Scheitern der Liaisons mit ihnen interessieren Poda dabei nicht im figürlichen Detail; sein Ansatz stellt gewichtigere Fragen: Können wir eigentlich wirkliche Nähe erleben, oder hält uns gerade die ständige Verfügbarkeit von allem davon ab? Ob Dates, Idole, Lifestyle oder Status – all das steht uns, wenn wir wollen, inzwischen vielfach zur Verfügung. Für Hoffmann posieren nicht weniger als neun künstliche Olympias in identischen verführerischen Netzkostümen in frauhohen Glasvitrinen, an deren Seite ein Barcode prangt: Lieferung von Spalanzani AG bei sofortiger Bestellung bis morgen 9 Uhr, sozusagen. Nur vordergründig anders verhält es sich bei der Künstlerin Antonia mit der romantischen Modekrankheit Schwindsucht, deren Tod durch Singen bildlich wird, indem auch sie in eine der Vitrinen steigt. Die anderen zeigen hier verstorbene Primadonnen aus der realen Opernwelt und, da sind wir wieder bei Offenbach, Antonias eigene Sängerin-Mutter. Die dritte der Frauen, Giulietta, gebietet über eine Art Auktions-Puff, wechselweise sind ihre Klone und teure Kunstwerke á la Damien Hirst in der Runde zu sehen, die Nummern an den Sockeln könnten Lose sein für die anstehende Versteigerung. Das alles erinnert an Stanley Kubricks Verfilmung von Schnitzlers „Traumnovelle“, ist eine stilisierte Orgie für die Augen, ein visuelles Poda-Gesamtkunstwerk aus Licht, Fin-de-siecle-Kostümen, weißer Eleganz, kühler Pracht und viel Nebel.

Dass die Feierei der Studenten vor und nach den drei Frauen-Akten derart abstrahiert natürlich nicht funktionieren kann, genauso wenig wie die kollektive Bewunderung Olympias im Hause Spalanzani oder die Ballade von Klein-Zack, das alles interessiert Poda nicht – muss es auch nicht. Die szenische Intensität entsteht anfangs aus der schieren Bilderflut, entwickelt sich dann aber auch in der Personenführung; dramatischer Höhepunkt dieses Abends sind ausgerechnet die Verschwörung Giuliettas mit Dapertutto und, darauf aufbauend, Hoffmanns Verführung durch die Kurtisane – also die Extremsituationen der Falschheit.

Dem steht die Doppelfigur Muse/Niklas entgegen, authentisch, natürlich, mit Anna-Katharina Tonauer schauspielerisch hervorragend und stimmlich präsent besetzt, des ständig besoffenen Dichters ungewürdigter Anker im Leben, der ihn aus allen misslichen Lagen befreit. Hoffmann selber wird von Lucian Krasznec souverän, hell timbriert und bestens verständlich verkörpert – im Robert-Schumann-Look. Die drei verhinderten Liebhaberinnen Ilia Staple (Olympia), Jennifer O´Loughlin (Antonia) und Camille Schnoor (Giulietta) überzeugen durch die Bank mit Leichtigkeit und Spielfreude, überhaupt ist auch die Ensembleleistung grandios. Geradezu sensationell klingt der Graben; Anthony Bramall lotst das klein besetzte und mit formidablen Soli glänzende Orchester sicher, zwischendurch nicht sehr differenziert, aber fast immer perfekt balanciert durch die Partitur. „Hoffmanns Erzählungen“ als ästhetisch-stilisiertes Gesamtkunstwerk: So viel Applaus war lange nicht mehr.

Stefan Knies

 

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