München Gärtnerplatztheater: DREI MÄNNER IM SCHNEE. Uraufführung 31. Jan. 2019
Revueoperette von Thomas Pigor
Nach dem Roman von Erich Kästner
Musik K. Koselleck, Ch. Israel, B. Eichhorn, T. Pigor
Einlassungen vom Tim Theo Tinn
Aus der Zeit gefallenes Erlebnis!!! Perfekt!!! Zu Perfekt???
Ensemble © Christian POGO Zach
Da steh ich nun – ich armer Thor … demütig kann ich mich mit Goethes Faustzitat nur vor dem Gesamtergebnis des Werkes und der Inszenierung verneigen. Welturaufführung einer Revueoperette von 2019 (!!!) nach Erich Kästners Roman (1934) von einem deutschen Kabarettisten, Liedermacher, Buchautor und Komponisten, in faszinierend rasant routinierter Screwball-Inszenierung durch den bewunderten Josef Köpplinger. Inhalte, Optik, Akustik, Protagonisten auf und hinter der Bühne, im Orchestergraben – es scheint nichts Besseres möglich – perfekt.
Hinderlich war lediglich der Rezensent selbst. Kopflastige Vorbereitung in dramaturgischem Eifer: satirischer Erfolgsroman, skurril-spritzige Revueoperette? Kann man heute noch eine neue Operette schaffen – in welchem Zeitgeist? Kabarettist, Liedermacher und der Moralist Kästner?
Es gibt nichts Gutes – Außer man tut es? Was sagt uns Kästners geflügeltes Wort? Nichts Gutes – keine Werte? Das kann ja tiefenpsychologisch werden. Verwechslungskomödie mit vielen Missverständnissen: Klamotte?
Kästners heiterer Roman (1934) in der Verfilmung von 1955 soll wenig gemütvoll, eher klamaukhaft sein und der Film von 1974 noch schlechter und verlogener?
Inhalt, Besetzung, Fotos, Hörprobe: https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/drei-maenner.html
Der Rezensent hat vor Jahren mit kritisch, kabarettistisch-satirischen Werken aus den dreißiger Jahren von Spoliansky (Revue, Burleske, Oper, Musical) gearbeitet und auch die Buffa von Kurt Weil „Der Zar läßt sich fotografieren“ von 1928 umgesetzt. Geht es in Richtung des „Kabaretts der Komiker“ (1924 – 1944) mit der ersten Kabarett-Oper „Rufen sie Herrn Plim“/Spoliansky1932?
Laura Schneiderhan, Maximilian Berling, Florian Sebastian Fitz, Susanne Seimel, Erwin Windegger, Dagmar Hellberg Katharina Wollmann, Alexander Moitzi, Florine Schnitzel © Christian POGO Zach
Die Erwartung war unkonkret: ein humoristisch – satirisches Musiktheater mit kabarettistischen Seitenhieben?
Das war es alles nicht. Es war die pralle Komödie einer Parabel von Reich und Arm und der Macht des Geldes, die Moral und ethische Grundsätze punktuell berührte, im Wesentlichen aber eine überdrehte klassische Revue mit überkommenen Showeffekten, temporeicher Choreographie und dialogischen Einschüben, die auf flustrative Unterhaltung und nicht auf erdschwere Dramatik setzte. „Dem Affen konnte überschäumend Zucker geben werden“. Die emotionale Berührungstiefe setze ich mit dem Erleben einer guten „weißen Rössel“-Inszenierung an.
Ensemble © Christian POGO Zach
Der sarkastisch – politische Kästner wurde weniger bedient. Unoutriert wurde geblödelt, dem Nonsens gefrönt, Klamauk und Komik zwischen bester Screw-Ball-Manier (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Screwball-Kom%C3%B6die ) und z. B. Klim – Bim (Sketsch-TV – Format bis 1979). Natürlich sind da manche Plattheiten, diese aber immer mit feinster Delikatesse.
Der Autor T. Pigor: Operette, Musical, Jazzoper …… die Grenzen sind fließend, Definitionen schwammig. Wie auch immer … es handelt sich um unterhaltsames Musiktheater. Musikalische Sprache ist in den 1930 er Jahren verortet, musikalische Elemente wie im „Weißen Rössel, den Ufa-Schlagern, Swing- Nummern, Tango (großartiges Kabinettstückchen schwulen Liebeswerben), Oriental-Parodie, Wiener Lied, Anklänge zum Arbeiterlied, ernster Musik und Jazz.
Beispiele von Texten zu sozialen/politischen Eínschüben, die im rasanten Treiben Beiwerk blieben: „Arbeitgeber drücken dich im Lohn. – Er liegt seiner Mutter auf der Tasche, hält sich selbst für eine Flasche.- Das sind keine Nazis, das sind alles Österreicher. – 1933 (Beginn Nazideutschland) wird ein gutes Jahr.- Sind sie etwa religiös? Usw.“
Faszinierend erscheinen die 4 Komponisten, deren Ergebnis an eine Zeitreise erinnert. Das musikalische Kolorit der Neukompositionen wirkt nostalgisch in aller Vielfalt tatsächlich den 30’ern des letzten Jahrhunderts entnommen, vieles in Gassenhauer-Qualität. Bewundernd muss man das wundervolle musikalische Arrangement einer Gesamtheit aus 4 Kompositionen nennen. Das ist alles aus einem Guss.
Ebenso wirkt die gesamte Optik der Bühne und Kostüme hervorragend stimmig geradezu einem damaligen Ufa- Film entnommen. Außerordentlich gut sind die vielen Szenenwechsel auf offener Drehbühne ohne Unterbrechung gelungen.
Über 20 solistische Partien sind frappierend ideal besetzt, da stimmt alles, es wird gesungen, gespielt und getanzt, als wenn es die vitale lebendige Parallelwelt eines idealen Wolken- kuckucksheim sei und keine einstudierte Musiktheaterinszenierung. Dies gilt auch für Chor und Statisterie.
Das Orchester mit Saxophon, Zither, Banjo u.a. ergänzt, bildet mit Allem eine nahezu verwobene Einheit zu einem Theater-Erlebnis der leichten Muse im besten Sinn.
Nostalgie oder Zeitreise – sind wir hier noch in 2019 oder aus der Zeit gefallen?
Das Gärtnerplatztheater hat eine Mammut – Aufgabe in jeder Hinsicht überragend gelöst. Erfreulich wurde dem theatralen deutungslastigen Zeitgeist entgangen.
– Tim Theo Tinn berichtet aus dem Gärtnerplatztheater, München 1. Febr. 2019
Profil 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden).