Sandra Cervik als Maria und David Valencia als ihr Sohn in Händels „Der Messias“. Foto: Marie-Laure Briane
Georg Friedrich Händel: „Der Messias“ – Gärtnerplatztheater München, 13.10.2019
Die Premierenkritiken dieser Produktion waren durchwegs – vorsichtig ausgedrückt – durchwachsen. Eine einzige der von mir gelesenen Rezensionen war durchgängig positiv, alle anderen gingen insbesondere mit der szenischen Umsetzung hart ins Gericht. Den zweiten Abend der Neuproduktion unvoreingenommen zu besuchen, war also einigermaßen schwer. Und die keineswegs hochgesteckten Erwartungen des in Wien beheimateten Besuchers wurden noch unterboten.
Torsten Fischer hat für das Gärtnerplatztheater eine über die Grenzen Münchens gerühmte „Aida“ inszeniert und in einem der Ausweichquartiere, dem Reitstall, „King Arthur“. Jetzt also hat er sich Georg Friedrich Händels 1742 in Dublin uraufgeführtem Oratorium „Messiah“ angenommen und in einer ballettlastigen szenischen Form auf die Bühne gestellt. Nun spricht ja grundsätzlich nichts gegen eine szenische Interpretation geistlicher Werke – bei der Mozartwoche in Salzburg gab das Requiem des Namensgebers die (nicht unumstrittene) Basis für ein Pferdeballett, die auf Oratorien basierenden Ballette von John Neumeier (unter anderem auch „Messias“) haben Maßstäbe gesetzt, im Theater an der Wien hat Klaus Guth vor ein paar Jahren den „Messias“ szenisch umgesetzt. Nicht nur daran müssen sich Torsten Fischer und der Choreograph des Abends, Karl Alfred Schreiner, messen. Und der Vergleich fällt nicht zu Gunsten des Leadingteams aus.
Das liegt keinesfalls am sehr guten Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz, nicht an den Solisten und auch nur sehr bedingt am Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung seines Chefdirigenten Anthony Bramall. Es ist das Regiekonzept, das mehr Fragen offen lässt als gültige Lösungen bietet. Wie so viele vom Theater kommende Regisseure misstraut auch Fischer ganz offensichtlich der Musik. Er kürzt das Werk teils dramatisch (warum hat Bramall das zugelassen ?) und unterbricht den Musikfluss immer wieder durch eingeschobene Texte aus Colm Tóbins „Marias Testament“ (ich wiederhole meine Frage: warum hat Bramall das zugelassen ?). Und ein drittes Mal stelle ich die Frage, warum hat Bramall das zugelassen: die Partien von Sopran und Mezzo werden auf jeweils zwei Personen aufgeteilt.
Händeringen und zuckend herumkugeln dominieren die Tanzszenen, Anklänge an den Nahostkonflikt dürfen heute in einem biblischen Werk wohl nicht fehlen. Auch kommt eine aktuelle Inszenierung ohne Videoproduktionen (Aktienkurse !) nicht mehr aus. Dass es im Hallelujah-Chor Banknoten vom Schnürboden regnet, wäre in einer Schulaufführung vor ein paar Jahrzehnten sicher gut angekommen. Die Tänzerinnen und Tänzer, mit zeitgenössischem Tanz durchaus vertraut, meistern anerkennenswert ihren Part; David Valencia als tänzerisch überzeugender Jesus und der junge Jorge Armbruster werden auf dem Besetzungszettel gesondert genannt. Dass dem diesmal nicht wirklich stilsicher singenden Chor aber auch choreographische Aufgaben zugemutet werden, hilft der szenischen Umsetzung auch nicht weiter.
Sandra Cervik, das Programm nennt sie „Maria, eine Mutter“, spricht die eingefügten Texte Tóbins wortdeutlich mit theatergeeicht deklamatorischem Duktus.
Dass die Solis der Frauen auf jeweils zwei Personen aufgeteilt werden, ließe sich argumentieren, wäre ein Solist für die Rezitative und der/die andere für die Arien vorgesehen. Aber nein, mitten in den Arien wechseln die Sänger; der tiefere Sinn dieser Maßnahme erschließt sich mir nicht. Aus den nunmehr sechs statt vier Solisten ragt der stilsicher singende Countertenor Dimitry Egorov heraus, der sich die Noten mit der zum Ensemble gehörigen Anna-Katharina Tonauer teilen muss. Jennifer O´Loughlin ist die führende Solistin einer CD-Gesamtaufnahme des „Messias“ aus Baltimore, muss sich hier die Sopran-Partie aber mit Maria Celeng teilen. Jede/r dieser vier Sänger/innen könnte die komplette Partie ausgezeichnet interpretieren und kann wegen der Teilung seine/ihre Qualität nicht voll zeigen. Das ist insbesondere bei O´Loughlin und Egorov mehr als bedauerlich. Timos Sirlantzis ist ein schön aber nicht unbedingt stilsischer singender Bassbariton; Alexandros Tsilogiannis (Tenor) wurde nach der Pause als indisponiert angesagt (die Premiere hatte er krankheitsbedingt abgesagt) und entzieht sich also jeder Bewertung.
Anthony Bramall ist mit der britischen Tradition der Händel-Pflege aufgewachsen, die dem Stil eines Karl Richter näher ist als dem heute geübten Originalklang. Das ist ein durchaus diskussionswürdiger Ansatz, vor allem dann, wenn kein ausgewiesenes Barockorchester mit den entsprechenden Instrumenten zur Verfügung steht (Cembalo und Truhenorgel nennt der Besetzungszettel daher auch gesondert). Seine, ich nenne sie einmal unorthodox, Tempowahl ist wohl dieser Tradition geschuldet.
Der Beifall des Publikums war durchaus differenziert. Dass nach der Pause einige Plätze leer blieben, soll aber nicht verschwiegen werden. Wer in München den „Messias“ komplett erleben möchte, muss auf eines der Konzerte in der Vorweihnachtszeit warten.
Michael Koling