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MÜNCHEN/ Cuvilliéstheater: WIENER BLUT

28.07.2017 | Operette/Musical

MÜNCHEN / Cuvilliés-Theater : WIENER BLUT
25.7. 2018
(Werner Häußner)

Die Operette „Wiener Blut“, das von dem versierten Theaterpraktiker Adolf Müller jun. erarbeitete Pasticcio aus rund dreißig Kompositionen von Johann Strauß, hat ihre einst so gefestigte Position in den ausgedünnten Operetten-Spielplänen eingebüßt. In der kommenden Spielzeit ist die 1899 ein halbes Jahr nach dem Tod von Johann Strauß uraufgeführte Pikanterie bisher nur in Lüneburg angekündigt. Ein Gefühl der Nostalgie und ein wenig Schmerz über die verlorene Selbstverständlichkeit einer vergangenen Epoche ist also dabei, wenn sich im Münchner Cuvilliès-Theater der Vorhang längst beiseite geschlängelt hat und der Blick auf den Theaterbarock von Karl Fehringer und Judith Leikauf fällt: Ein Bühnenaufbau fast wie bei einem Barockaltar, in fast schon grobem Gegensatz zum finessenreichen Filigran der Ausstattung des Theaterraums. Sahnige Wölkchen wie aus der Lüftelmalerei oder dem Fernsehkitsch der Sechziger Jahre, schrille Licht-Farben, bewusst übertrieben, von Lila bis Pink, und dazwischen zwei Lausbuben in Lederhosen und mit putzigen Flügerln – ausweislich des Programmheftes ein bayerischer und ein Wiener Engel.

Die beiden sind wohl eher Amoretten, die mit Pfeilen und anderem Wunder-Werkzeug für eine Art transzendentale Verankerung der erotischen Wirren auf der Bühne zuständig sind. Denn Viktor Léon und Leo Stein, die beiden Librettisten, die ein paar Jahre später den Welterfolg der „Lustigen Witwe“ mit begründen sollten, schufen mit gekonnten Formulierungen ein Spiel der Täuschung und der Missverständnisse, das sich virtuos und leichtfüßig in Walzertakt und Polkafeuer zuspitzt, bis der Heurige alles in Wohlgefühl zerfließen lässt. Das „Wiener Blut“, jener eig’ne Saft voller Kraft und Glut, ist schuld – dieses wonnige Bekenntnis entlastet alle und lässt die Paare zusammenfinden, wie es Sitte, Anstand und Konvention erfordern. Der prickelnde Beigeschmack späterer Eheg’schichten wie etwa Paul Abrahams hochironischem „Ball im Savoy“ liegt noch nicht auf der Zunge. Und auch Zeitgenosse Offenbach richtet, wenn es etwa um das „Pariser“ Leben geht, einen skeptischeren und sarkastischeren Blick auf die conditio humana. Dennoch: Harmlos sind höchstens die amüsanten Hörfehler des alten Kagler, der seine hübsche, durchtriebene Tochter längst als Demoiselle Cagliari an die berechnete Liebe der Halbwelt verloren hat.

In ihrer Regie versucht Nicole Claudia Weber erst gar nicht, sich dem Zuckerguss der Wiener Konfektion zu entziehen; die Produktion des Gärtnerplatztheaters von 2014 kann höchstens hier und da einmal Spuren von Ironie enthalten. In der Wiederaufnahme geht es, zum Ergötzen größerer Teile des Publikums, zu wie in den Operettenzeiten, die gelegentlich als glückselig erinnert werden. Das funktioniert, wenn so großartige Sprecher und Darsteller wie Wolfgang Hübsch eine Figur wie den Kagler sprachlich unglaublich vital und mit bezwingender Präsenz auf der Bühne zum Leben erwecken. Das klappt auch, wenn Jasmina Sakr das „Trutscherl“ Pepi Pleininger mit gut dosierter Übertreibung hart an die Grenze zum Klamauk – aber nie darüber hinaus – führt. Das wird schon schaler, wenn Harald Hofbauer als Graf Bitowski im Rollstuhl lüstern einer Horde kreischender Girls hinterherfährt. Und es will nicht zünden, wenn sich Hans Gröning schwer tut, den steifen Fürsten aus Reuß-Schleiz-Greiz mit entfernt sächselndem Akzent zur komischen Figur zu machen, aber den Charakter des Bürokraten, in den langsam das „Wiener Blut“ einsickert, nicht recht treffen will.

So bleibt es über weite Strecken bei vorhersehbar agierenden Darstellern aus einer Operettenwelt, die man gerne hinter sich gelassen hat und deren Schablonen und Aktionsmuster ihre Figuren niemals wirklich ernst genommen haben. Auch das Singen ist in der Operette so eine Sache: Sophia Mitterhuber (Franziska Cagliari) ist eine Soubrette, der die leichte Formulierung der Worte nur schwer über die Lippen und in den gesättigten Ton gehen. Da wirkt es fast erlösend, wenn Daniel Prohaska als Balduin Graf Zedlau klar und unverfärbt artikuliert. Ihm fehlt freilich die freie Höhe; wenn es nach oben geht, gerät sein Tenor schnell unter Druck und hilft sich mit steifen, grellen Tönen. Seine Gräfin, Mara Mastalir, geht ganz in Noblesse auf, auch wenn sie in den frivolen Verwicklungen des zweiten Aktes den Esprit ihres Wiener Bluts sprühen lassen sollte. Christoph Filler erfüllt als Diener Joseph das Klischee des Komikers ohne besonderes eigenes Gepräge. Am Pult des Gärtnerplatz-Orchesters verwaltet Michael Brandstätter versiert die eingängigen Melodien und pfiffigen Rhythmen von Adolf Müllers Strauß-Bearbeitung, ohne seinen Musikern geschliffene Eleganz oder eine verfeinerte Tongebung abzugewinnen. Summa summarum ein Abend nicht ohne Unterhaltungswert, der jedoch die Möglichkeiten des Genres Operette nicht ausschöpft.

Werner Häußner

 

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