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MÜNCHEN/ Cuvilliestheater: SIGULARITY von Miroslv Srnka. Im Bann des Fortschritts

08.06.2021 | Oper international

Premiere „Singularity“ in der Bayerischen Staatsoper am 7.6.2021 – Cuvillies-Theater/MÜNCHEN

Im Bann des Fortschritts

  Miroslav Srnka, einer der profiliertesten tschechischen Komponisten der jungen Generation, hat zusammen mit dem Dramatiker und Librettisten Tom Holloway  eine originelle musikalische Komödie über den technischen Fortschritt und seine oftmals fatalen Folgen für das menschliche Zusammenleben geschrieben. Implantierbare Mikrochips und Nanotechnologie eröffnen hier neue Möglichkeiten der Kommunikation. Die Menschen sind aber auch anfällig für Störungen im vernetzten System. Da kann es dann schon einmal passieren, dass ein Update außer Kontrolle gerät. Und auch die künstliche wird der menschlichen Intelligenz plötzlich überlegen.  In der suggestiven Inszenierung von Nicolaus Brieger begreift der  Zuschauer schnell, dass es sich hier um eine Science-Fiction-Vision zwischen Erde und Weltraum handelt. B hat die ganze Nacht mit einem Computerspiel verbracht. Seine Freundin S erinnert ihn an das fällige Software-Update für das Messaging. Aber B möchte das Update überspringen, was ungeahnte Folgen hat. B, M und T  finden sich nämlich plötzlich in einer ungewohnten Umgebung wieder –  irgendwo im Weltall, was im Bühnenbild von Raimund Bauer in facettenreicher Weise zur Wirkung kommt. Auch die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer erinnern irgendwie an das „Raumschiff Enterprise“. Die drei wollen nach Hause und rufen um Hilfe. Weil er keine Freundin finden konnte, hat ihm seine Mutter als sogenannte „Trostdrohne“ den künstlichen Kanarienvogel Kenny geschenkt, sagt T. Auch zehn Jahre später noch versucht B, den Computer zu reparieren.  Zwischen all den seltsamen Skulpturen erscheint plötzlich immer wieder die Erde in allen möglichen Variationen. Die Gruppe bildet sich ein, dass sie auf dem ersten internationalen Weltraum-Spa sei. Schwarze Materie sorge hier für ewige Jugend, was in der Inszenierung tatsächlich wirkungsvoll zur Geltung kommt.

Da verändert sich auf einmal das Bühnenbild und man glaubt, den Innenraum des Cuvillies-Theaters zu erkennen. Die Luft wird in tausend Splitter zerfetzt. Es kommt zum Streit darüber, ob sich M und T in einer Beziehung befinden. Auf einmal werden auf dem Bildschirm Texte angezeigt. Und B bringt Screeny, den Computer, zum Sprechen. 40 Jahre später erzählt Screeny von seiner Zeit als legendärer Supercomputer. Dann verkleidet B M, damit sie wie S aussieht. Screeny lässt die Nachricht von S abspielen, in der sie sagt, dass sie B wegen seiner komischen Geräusche liebt. In der elften Szene tritt die stark veränderte S als neue Person ein. Screeny beginnt sein Selbstzerstörungsprogramm – und der wahnwitzige  Countdown beginnt. In der rabenschwarzen Dunkelheit stellt die Singularität neue, gewaltige Herausforderungen an die Menschen, die nicht einfach zu bewältigen sind.

Unter der suggestiven Leitung von Patrick Hahn musiziert das exzellente Klangforum Wien höchst prägnant und nuanciert. Vor allem die hervorragenden Sängerinnen und Sänger arbeiten sich in diesen komplizierten Klangkosmos mit ungeheurer Akribie hinein. Intervallspannungen, kontrapunktische Spitzfindigkeiten, Cluster-Strukturen, Staccato-Effekte, Glissandi und stürmische chromatische Aufschwünge bringen den Zuschauer außer Atem, erzeugen aber auch keinen Moment Langeweile. Die technischen Prozesse finden in dieser fieberhaft-glutvollen Musik ihren erstaunlichen Widerhall, denn die Instrumente agieren hier manchmal wie Sprachcomputer, die sich gegenseitig ergänzen oder widersprechen. Eliza Boom als Sopran Analog ragt aus dieser Sängerriege mit ihrem überaus wandlungsfähigen Stimmregister heraus. Doch auch die anderen Akteure leisten immer wieder Ausserordentliches. Juliana Zara (Sopran Digital), Daria Proszek (Mezzo Analog), Yajie Zhang (Mezzo Digital), George Virban (Tenor Analog), Andres Agudelo (Tenor Digital), Andrew Hamilton (Bariton Analog) sowie Theodore Platt (Bariton Digital) machen den ungeheuren dynamischen Spannungsbogen eindrucksvoll deutlich, der sich über dieser ungewöhnlichen Partitur wie ein gewaltiges Himmelszelt wölbt.

Insgesamt kann man sagen, dass sich die musikalische Qualität der Komposition vor allem gegen Ende hin noch einmal ganz erheblich steigert. Der Schluss ist ein Höhepunkt der Farben und Formen, die sich der Töne bemächtigen. Diese Produktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper besticht nicht nur durch ihr ungewöhnliches Format, sondern auch aufgrund ihrer magischen Aussagekraft. Das Publikum war jedenfalls begeistert. 

Alexander Walther

 

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