MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: Online-Premiere: „Paradigma“ mit dem Bayerischen Staatsballett 4.1.2021
Starker tänzerischer Sog
Online-Premiere: „Paradigma“ mit dem Bayerischen Staatsballett im Nationaltheater am 4. Januar 2021/MÜNCHEN
Als Erzählung mit beispielhaftem Charakter präsentiert hier das Bayerische Staatsballett drei interessante choreographische Arbeiten. „Broken Fall“ in der Choreographie von Russell Maliphant (Musik: Barry Adamson) spielt raffiniert mit Hebe-, Fall- und Wurffiguren in den verschiedensten Variationen. Manchmal ist es auch ein facettenreiches Spiel mit dem Loslassen.
Bei „Bedroom Folk“ in der subtilen Choreographie der Israelin Sharon Eyal und ihres Partners Gai Behar beherrscht ein starker Sog die Szene. Hinzu kommen hier pulsierende Clubbeats des DJs Ori Lichtik, Zitate des klassischen Balletts, des Standardtanzes und des brillanten Fashion-Walks der Pariser Laufstege. Im Licht werden wirkungsvoll menschliche Skulpturen sichtbar. Die Performance mit rot-blauem Hintergrund soll dabei nicht intellektuell wirken, sondern von tänzerischer Inspiration beherrscht sein. Frauenhände flattern wie Insekten hinter den männlichen Tänzern.
Zuletzt fasziniert die suggestive Arbeit „With A Chance Of Rain“ von Liam Scarlett. Zu den grandiosen Klavierpräludien von Sergej Rachmaninow (die Dmitry Mayboroda eindringlich interpretiert) zeigt sich im Soli, Pas-de-deux und Pas-de-trois der unbeschreibliche Zauber dieser Musik einmal mehr. Höchst sensibel entwirren die Tänzer dabei das Beziehungsgeflecht. Melancholie und Augenzwinkern ergänzen sich, im elektrisierenden Paartanz scheint ein Vogel über die Bühne zu schweben. Die rasenden Akkordfolgen in Quinten- und Quartenparallelen finden durch das Bayerische Staatsballett ihre nuancenreiche tänzerische Entsprechung. „Kommt ein Regen?“ Diese Frage steht groß im Raum und wird von der Kompanie in reizvoller Weise bewegungstechnisch beantwortet. Zuweilen meint man Meereswogen zu spüren und zu sehen, die hier von den sensibel agierenden Tänzern beschworen werden. Die sinnliche Welt und müde Eleganz der Fin-de-siecle-Kultur wird bei dieser Darbietung hervorgehoben. Intervallspannungen und Klangvolumen erhalten plötzlich besonderes Gewicht. Und auch die lyrischen Seitenthemen finden bei den seltsamen Figurationen ihre visuelle Entsprechung. Es ist ein Tanz zwischen Himmel und Erde.
Alexander Walther