München: Bayerisches Staatsballett: Wiederaufnahme des Cranko-Balletts „ONEGIN“, 5.3.2015
Nach wenigen Jahren Pause nahm das Bayerische Staatsballett das beliebte Ballett des Meister-Choreographen John Cranko wieder auf. Es war die unglaubliche 237. Vorstellung nach der Münchner Erstaufführung im Jahr 1972 und „Onegin“ fasziniert heute noch genauso wie am ersten Tag. Was macht diese Faszination aus? Die stringente Umsetzung der Handlung des weitläufigen Romans „Eugen Onegin“ von Alexander S. Puschkin in Tanz, die meisterhafte Charakterisierung der vier gegensätzlichen Hauptpersonen, die Musik von Peter I. Tschaikowsky in der musikalischen Einrichtung von Kurt-Heinz Stolze? Einen großen Anteil haben auch die wunderschönen Kostüme und die stimmige Ausstattung von Jürgen Rose: im ersten Bild die pastellfarbenen Kostüme in der sommerlichen russischen Birken-Landschaft, die festliche, etwas altväterliche Gesellschaft an Tatjanas Namenstagsfest, die Öde der Duell-Szene und schließlich die Pracht der Roben und Räume im Palast des Fürsten Gremin in Moskau.
Das Faszinierendste sind natürlich die Tänzerinnen und Tänzer, die das Ballett zum Leben erwecken. Das Staatsballett konnte Polina Semionova gewinnen, die nach ihrem Berliner Debüt nun auch ihr Münchner Rollendebüt als Tatjana gab. Wie zu erwarten, war sie eine wunderbare Tatjana. Man meinte, sie habe die Rolle schon oft getanzt, so verinnerlicht und glaubhaft war ihre Darstellung und so meisterlich die tänzerische Bewältigung der schwierigen Cranko-Choreographie. Gemeinsam mit ihrem Partner Marlon Dino als Onegin gelangen die anspruchsvollen und komplizierten Pas de deux hinreißend. Marlon Dino bewährte sich wieder als sicherer und eleganter Partner und überzeugte einmal mehr als Darsteller des gelangweilten Dandy und des leidenschaftlich, letztlich erfolglos liebenden Onegin. Die fröhliche und quirlige Schwester der verträumten Tatjana war Ivy Amista. Sie tanzte so bravourös und war in ihrer Darstellung so echt und sympathisch, dass man diese Olga gerne vor ihrem unbedachten Tun auf dem Ball gewarnt hätte. Ihren Verlobten, den Dichter Lenski, tanzte Javier Amo spritzig und leidenschaftlich. Die beiden waren herzerfrischend anzusehen. Leider ist Amo nicht unbedingt ein dramatischer Tänzer, weshalb an seiner Duell-Szene noch etwas gefeilt werden müsste. Der Fürst Gremin, der im Roman als älterer, väterlicher Mann beschrieben wird und so das dramatische Ende erst plausibel macht, war überraschenderweise mit dem jungenhaft wirkenden Maxim Chashchegorov besetzt (Rollendebüt). Chashchegorov ist jedoch ein so guter Darsteller, der in Haltung und Mimik immer das Richtige trifft, dass seine Jugendlichkeit nicht störte. Trotzdem würde ich ihn lieber als Lenski sehen! Die Vertreter der kleineren Rollen und das spielfreudige Ensemble vervollständigten die gelungene Wiederaufnahme: Zuzanna Zahradniková (Madame Larina), Elaine Underwood (Amme) und – köstlich als gebrechlicher Ballgast – Stefan Moser, samt seiner couragierten Ehefrau, deren Name im Programm leider nicht vermerkt ist.
Myron Romanul dirigierte das nicht sehr gut aufgelegte Bayerische Staatsorchester. Es gab herzlichen, lang andauernden Beifall. Auf dem Weg zur S-Bahn hörte ich eine jüngere Dame zu ihrer Begleitung sagen: „Es war toll. Wenn es das wieder einmal gibt, gehe ich nochmal rein“. Ich schließe mich dem an!
Helga Schmöger