München: Bayerisches Staatsballett: „GISELLE“, 22.01.2022
Prisca Zeisel, Emilio Pavan. Foto: c-Serghei Gherciu
Das neue Jahr ging beim Bayerischen Staatsballett nicht gut los: Die ersten drei der im Januar geplanten fünf Vorstellungen von „Giselle“ (in der Fassung von Peter Wright) mussten wegen Corona-Fällen im Ensemble abgesagt werden. Am 22. Januar konnte es dann aber endlich losgehen. Das Publikum erwartete eine interessante Besetzung mit zwei Debütanten in den Hauptrollen: Prisca Zeisel tanzte zum ersten Mal die Titelpartie. Die große, elegante Tänzerin mit kraftvoller, brillanter Technik und selbstbewusster, souveräner Ausstrahlung scheint auf den ersten Blick nicht die ideale Besetzung für die Rolle der zarten, zerbrechlichen, elfengleichen Giselle. Umso begeisterter war man von ihrem phänomenalen Debut! Vor allem im zweiten Akt waren ihr Tanz und ihre Darstellung einfach atemberaubend. Die Verkörperung des überirdischen Wesens, das den geliebten Mann durch ihren Tanz vor dem Tod rettet, gelang Prisca Zeisel nahezu perfekt. Ihre federleichten und trotzdem kraftvollen Sprünge, das mühelose Adagio und die weich fließenden, schwebenden Hebefiguren – auch ein Verdienst ihres Partners, Emilio Pavan als Albrecht – suchen ihresgleichen. Lediglich bei der Gestaltung des ersten Akts gibt es noch Entwicklungspotential. Prisca Zeisel tanzte auch hier großartig, konnte aber die zarte, verletzliche Persönlichkeit von Giselle, die den Verrat Albrechts nicht verkraften kann, noch nicht vollends überzeugend darstellen. So stand die sehr dramatisch und emotional getanzte Wahnsinnsszene etwas neben der Handlung, was ihr ein wenig von ihrer Wirkung nahm. Emilio Pavan, der in der Rolle des Albrecht ebenfalls debütierte, konnte dagegen vor allem im ersten Akt mit einer sehr differenzierten, sympathischen Darstellung überzeugen. Sein Herzog ist nicht nur ein sorgloser Schürzenjäger, sondern verliebt sich ernsthaft in Giselle und ist über ihren Tod zutiefst erschüttert. Im zweiten Akt konnte er diese schauspielerische Intensität nicht ganz durchhalten, war aber zu jeder Zeit ein aufmerksamer Partner und tanzte sein Solo elegant und kraftvoll. Elvina Ibraimova war bei ihrem Rollendebüt eine souveräne Myrtha mit raumgreifenden, die Bühne beherrschenden Sprüngen, Jonah Cook ein sympathischer Hilarion. Für ein besonderes Highlight sorgten Shale Wagman und António Casalinho mit ihrer Variation im Pas-de-six des ersten Aktes, den sie zusammen mit Carolina Bastos, Ariel Merkuri, Margarita Fernandes und Bianca Teixeira tanzten. Das Corps de ballet war sehr gut einstudiert. Das Bayerische Staatsorchester unter Robertas Šervenikas war den Tänzern ein einfühlsamer Begleiter. Der Abend wird einem wegen der großartigen Vorstellung von Prisca Zeisel noch lange im Gedächtnis bleiben.
Gisela Schmöger