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MÜNCHEN/ Bayerisches Staatsballett: ANNA KARENINA

26.11.2017 | Ballett/Performance

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Ksenia Ryzhkova. Copyright: Wilfried Hösl

München: Bayerisches Staatsballett:„ANNA KARENINA“ – 25.11.2017

Ein abendfüllendes Handlungsballett zu kreieren, gilt als die schwierigste Aufgabe für einen Choreographen der Gegenwart. Wenn die Handlung dann noch aus dem gut 1000seitigen Roman „Anna Karenina“ von Leo Tolstoi besteht, kann man wohl getrost von einer großen Herausforderung sprechen. Christian Spuck hatte sich dieser Herausforderung im Jahr 2014 gestellt, als er „Anna Karenina“ für das Züricher Ballett, dem er als Direktor vorsteht, choreographierte. Nachdem das Stück nach erfolgreicher Uraufführung auch schon nach Moskau und Oslo exportiert worden war, hatte es jetzt beim Bayerischen Staatsballett Premiere (Erstaufführung am 19.11.) und wurde auch hier vom Publikum sehr gut aufgenommen. Ganz vordergründig können sich die Zuschauer schon einmal an den hocheleganten Kostümen von Emma Ryott erfreuen. Die Ensembleszenen mit den zumeist großen, langgliedrigen Tänzerinnen des Corps de Ballet sind eine Augenweide! Auch das Bühnenbild von Jörg Zielinski und Christian Spuck ist interessant: In schlichten, aber aussagekräftigen Bildern führt es den Zuschauer entweder in die mondäne Welt des russischen Adels im 19. Jahrhundert oder in das schlichte Landleben des modern denkenden Gutsbesitzers Konstantin Lewin. Dramaturgisch ist das Stück dann doch nicht ganz so stark wie es die perfekte Optik vermuten lässt. Zwar versucht Christian Spuck, sich nicht in den vielen Handlungssträngen des Romans zu verlieren, indem er sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der drei Hauptpaare konzentriert, trotzdem wechseln die recht kurzen einzelnen Szenen sehr schnell, so dass die Figuren wenig Zeit haben, ihre Charaktere zu entwickeln. Um die tiefe Emotionalität des Stücks zum Ausdruck zu bringen, sind daher außergewöhnliche Tänzerdarsteller notwendig. Ksenia Ryzhkova, die Anna Karenina der Premiere und auch der Vorstellung am 25.11., ist eine solche außergewöhnliche Persönlichkeit. Sie brachte dem Publikum durch ihre nuancierte, emotionale Darstellung und ihren ausdrucksstarken Tanz alle Facetten des nicht immer leicht zu verstehenden Charakters der Titelheldin nahe und weckte große Sympathien und tiefes Mitgefühl für die an ihrer Liebe und den gesellschaftlichen Zwängen letztlich scheiternde Anna Karenina. Ein großartiges Rollenportrait, das allein schon den Besuch der Vorstellung lohnte! Leider konnte ihr Bühnenpartner Matthew Golding als Wronski mit ihrem Niveau nicht ganz mithalten. Er hatte zwar ebenfalls keinerlei technische Schwierigkeiten und war ein aufmerksamer und souveräner Partner, blieb aber als Schauspieler zu blass und konnte nicht vermitteln, warum Anna wegen dieses Grafen Wronski ihr gesamtes Leben hinter sich lässt und sogar auf ihr geliebtes Kind verzichtet.

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Ensembleszene. Copyright: Wilfried Hösl

Erik Murzagaliyev zeigte dagegen ein vielschichtigeres Portrait von Annas Ehemann Alexej Karenin. Er war einerseits autoritäres, den gesellschaftlichen Konventionen verpflichtetes Familienoberhaupt, andererseits empfand er aber auch Leidenschaft und –zumindest kurzzeitig- Mitleid mit seiner untreuen Ehefrau. Als lyrisches Paar KittySchtscherbazkaja und KostjaLewin begeisterten Lauretta Summerscales und Jonah Cook. Beide brachten mit ihrer Leichtigkeit, ihrem Idealismus und ihrer schwärmerischen Verliebtheit ein wenig Freude in das sonst so dramatische Stück. Großartige Charakterstudien zeigten auch Ivy Amista als von der Untreue ihres Mannes StiwaOblonski tief verletzte Dolly und TigranMikayelyan als selbstsüchtiger Schürzenjäger Stiwa, der aber am Ende doch um die Liebe seiner Frau und seine Ehe kämpft. Christian Spucks Choreographie ist hauptsächlich neoklassisch geprägt, expressiv und mit spektakulären Pas de deux ausgestattet. Die Figur des heimatverbundenen, das einfache Landleben liebendenKostjaist dagegen eher durch erdverbundenen Modern Dance charakterisiert. Die schwärmerisch-leidenschaftliche Musik von Sergej Rachmaninow und die kleinteilige, beklemmende Musik von Witold Lutoslawski beschreiben die Bandbreite der Emotionen, die in diesem Stück zum Ausdruck kommen ideal. Das Bayerische Staatsorchester unter Robertas Šervenikas sowie Pianist Adrian Oetiker und Sängerin AlyonaAbramova waren den Tänzern einfühlsame Begleiter.

Am Ende großer und verdienter Jubel für das gesamte Ensemble, besonders aber für die wunderbare Ksenia Ryzhkova.

Gisela Schmöger

 

 

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