München: Bayerische Staatsoper: „WERTHER“, 04.11.2015
Mit seiner Inszenierung des „Werther“ aus dem Jahr 2006 gelingt es Jürgen Rose (auch Bühne, Lichtkonzept und Kostüme) sehr gut, den Blick auf die inneren Gefühlswelten der Protagonisten, insbesondere diejenige der Titelfigur, zu richten und den Zuschauer bereits allein durch die optischen Eindrücke hieran teilhaben zu lassen. Das Bühnenbild besteht aus einem großen Raum, dessen Boden, Decke und Wände mit Werthers handschriftlichen Notizen in französischer Sprache übersät sind. An beiden Seitenwänden sind im vorderen Bereich der Bühne zudem schmale Spiegelwände angebracht. In der Mitte der nach hinten leicht ansteigenden Bühne befindet sich ein hoher Fels, auf dem ein Tisch und ein Stuhl stehen – Werthers Refugium. Umgeben ist der Fels von einer Drehbühne, auf der sich das Geschehen in Wetzlar abspielt, etwa im Haus der Familie des Amtmanns im ersten Akt oder im Wirtshaus im zweiten Akt. Die Außenseiterrolle Werthers in der Gesellschaft ist von Beginn an deutlich spürbar. Bei Werthers Reflexionen wird die innere Distanz zwischen ihm und seiner Umwelt dadurch unterstrichen, dass Werther sich zwar inmitten der Gesellschaft – etwa im Haus des Amtmanns oder im Wirtshaus – befindet, die ihn umgebenden Personen jedoch quasi „eingefroren“ sind. Seine Selbstreflexionen werden zudem optisch dadurch umgesetzt, dass Werther vor den Spiegeln agiert und sein Spiegelbild betrachtet. Ferner finden Werthers Emotionen eine Entsprechung in der Lichtgestaltung. Diese wechselt beispielsweise von einem warmen Rot als Ausdruck der Leidenschaft über kaltes Blau, korrelierend zur einsetzenden Ernüchterung und von Werther empfundenen Kälte nach der Zurückweisung durch Charlotte, zu einem düsteren Grau-Schwarz mit pechschwarzem Hintergrund, passend zu Werthers innerer Leere und abgrundtiefer Verzweiflung.
Nachdem an den ersten beiden Abenden dieser Wiederaufnahmeserie Rolando Villazón die Titelfigur verkörpert hatte, war in der vierten und zugleich letzten Aufführung dieser Serie am 04.11.2015 Matthew Polenzani mit einer grandiosen Leistung als Werther zu erleben. Sowohl stimmlich als auch darstellerisch begeisterte er mit einer äußerst feinsinnigen, sensiblen und emotional intensiven Rollengestaltung. Mit seinem klangschönen Tenor brachte er Werthers vielschichtige Gefühlswelt – etwa dessen Melancholie, Empfindsamkeit und Verträumtheit, dessen Verliebtheit und leidenschaftliches Begehren wie auch schließlich dessen äußerste Verzweiflung und innere Leere – überzeugend zum Ausdruck. Hierbei bediente sich Matthew Polenzani differenziert der gesamten Bandbreite von hauchzartem Piano bis hin zu kraftvollendramatischen Ausbrüchen und beeindruckte mit eleganter Stimmführung. Für seine Arie „Pourquoi me réveiller“ im dritten Akt wurde er verdientermaßen mit kräftigem Szenenapplaus und Bravorufen bejubelt.
Eine überzeugende Darstellung der Charlotte und deren innerer Zerrissenheit zwischen Pflichtbewusstsein und leidenschaftlicher Zuneigung zu Werther bot Angela Brower mit ihrem schlanken Mezzosopran. Hanna-Elisabeth Müller begeistertemit ihrem leuchtenden, farbenreichen und voluminösen Sopran als Sophie, deren Fröhlichkeit sie in wunderbarer Weise vermittelte. Gleichermaßen überzeugend brachte sie aber auch etwa deren Verzweiflung über Werthers Ankündigung, dass er für immer fortgehe,zum Ausdruck.Michael Nagy gestaltete mit seinem noblen Bariton sehr ausdrucksstark die Rolle des biederenAlbert. Die weiteren Partienwaren mit Sami Luttinen als Amtmann, Kevin Conners als Schmidt, Tim Kuypers als Johann, Anna Rajah als Käthchen und Johannes Kammler als Brühlmann rollengerecht besetzt. Der Kinderchor der Bayerischen Staatsoper wartetemit schönen, klaren Stimmen auf.
An diesem Abend war Dirigent Asher Fisch den Sängernein sehr umsichtiger und einfühlsamer Begleiter, so dass diese zu keinem Zeitpunkt gegen die Klangwogen aus dem Orchestergraben ansingen mussten und immer sehr gut zu hören waren. Das Bayerische Staatsorchester beeindruckte unter Fischs Leitung mit einer differenzierten, farbenreichen und sehr ausdrucksstarken musikalischen Gestaltung.
Martina Bogner