München: “Tosca” – Bayerische Staatsoper 13.10.2020 – Tosca mit neuer Orchesteraufstellung
Meine erste „richtige“ Oper in München, den Callas-Abend kann man nicht als solche bezeichnen, im Münchner Nationaltheater konfrontiert mich mit einer stark veränderten Akustik im Parkett. Der neue Klang des Bayerischen Staatsorchesters springt einem regelrecht ins Gesicht. Unvermischt, knallig und direkt schallt es nicht aus dem Graben, sondern aus dem vorderen Fünftel des Parketts. Die Bayerische Staatsoper hat ihren Orchestergraben zugedeckt, die ersten fünf Sitzreihen ausgebaut und so eine riesige Fläche geschaffen, auf der die Musiker mit großen Abständen sitzen können. Ausgerechnet an dem Theater, in dem 1865 zum ersten Mal aus einem Orchestergraben gespielt wurde – er war eigens für die Uraufführung von Wagners Tristan und Isolde angelegt worden – hat man das Orchester wieder auf Parkettniveau gebracht. Das ist gewöhnungsbedürftig, sowohl akustisch als auch optisch. Die Notenbeleuchtung sticht je nach Position des Pults mal mehr mal weniger ins Auge, vor allem beim Umblättern der Seiten. Aber ich will mich gar nicht beschweren. Wenn das in Pandemie-Zeiten Oper ermöglicht, soll es mir recht sein. Der Orchesterklang profitiert von der neuen Aufstellung: so brillant wie in einem hervorragenden Konzertsaal, dabei luftig-transparent kommt der Klang in der hinteren Mitte des Parketts an.
Das Orchester auf Augenhöhe mit dem Publikum: Applaus für Tosca © Privat
Gut, dass die Bayerische Staatsoper ein stimmkräftiges Trio für die Hauptpartien aufgeboten hat. Manch eine Stimme wäre in den Orchesterfluten untergegangen, nicht aber Sonya Yoncheva, Stefano La Colla und Bryn Terfel.
Sonya Yoncheva, die letztes Jahr schon als Tosca vorgesehen war, aber wegen ihrer Schwangerschaft absagen musste sprang jetzt für Anja Harteros ein und gab ein großartiges Hausdebut in dieser Rolle. Hingebungsvoll als Liebende, feurig in ihrem Hass auf Scarpia, dabei nie die Gesangslinie verlassend. Ihre Stimme ist voll und cremig bis in die höchste Lage, ausgeglichen geführt und blüht in den Höhen wunderbar auf ohne je schrill zu werden. Schade, dass sie nicht ab und zu mal ein Piano wagt.
Ihr Caravadossi, Stefano La Colla, kann da nicht so ganz mithalten, bei der Lautstärke leider schon, die bewegt sich zwischen Mezzoforte und Forte, aber seine Höhen vor allem am Anfang sind sehr ausgestellt und manchmal trifft er sie auch nicht ganz. Das macht er mit einem innigen Duett mit Tosca wett. Die Vittoria-Rufe sind mir ein bisschen zu trompetenhaft geraten.
Der Dritte im Bunde, Bryn Terfel als Scarpia überrascht positiv. Bei der letzten Begegnung mit ihm, im Juni 2016 ebenfalls als Scarpia, erschien mir die Stimme kraftlos und spröde. Jetzt klingt sie ausgeruht und kraftvoll, er kommt beim Te Deum mühelos über den Chor, man hat den Eindruck, er veranstaltet ein Wettsingen mit dem Chor. Mit seiner eindrucksvollen Größe beherrscht er die Bühne vom ersten Auftritt an. Seine Gestaltungsfähigkeit lässt darüber hinwegsehen, dass die Stimme etwas an Farbe verloren hat und sich manchmal, allerdings selten, der berüchtigte Wagner-Wobble bemerkbar macht.
In den Nebenrollen sind Edwin Crossley-Mercer als Angelotti, Martin Snell als Mesner, der unverwüstliche Kevin Conners als Spoletta, Christian Rieger als Sciarrone und Christian Valle als Gefängniswärter zu hören.
Es gibt moderate Änderungen an der Inszenierung, die offensichtlich der Pandemielage geschuldet sind: Der Chor singt aus dem Off, was das Te Deum optisch etwas mager aussehen lässt; Tosca und Mario himmeln sich mit Abstand an, nur ein Kuss am Ende ist ihnen zugestanden; Scarpia muss mit einer Kurtisane vorlieb nehmen, statt drei. Aber die stehen sowieso nicht im Libretto. Einige Inszenierungsideen des Regisseurs Luc Bondy sind schon länger verschwunden, beispielsweise dass Scarpia im ersten Akt die Madonna leidenschaftlicher umarmt als in einer Kirche ziemlich ist oder dass Tosca sich am Ende nach innen in die Engelsburg stürzt und quasi im Flug das Bild einfriert und das Licht ausgeht. Wenn das gut lief, Tosca musste sich dafür an ein Seil haken und genau im richtigen Moment springen, dann war es sehr eindrucksvoll. Aber die Abstimmung war wohl sehr probenintensiv, sodass die Toscas schon länger ganz unspektakulär nach außen springen.
Der Eingangs beschriebene harte, direkte Klang passt gut zur Tosca, Puccini hat ihr ja neben süßen Geigenklängen auch viel schneidendes Blech mitgegeben. Asher Fisch hat sich hervorragend auf die neue Orchestersituation eingestellt. Sein Dirigat ist zupackend und gerne auch laut, aber er lotet das ganze dynamische Spektrum auch mit schönen Pianostellen aus und bringt die ganze Farbenpracht der Partitur zum Strahlen.
Eine trotz oder vielleicht auch wegen hoher Phonstärken eindrucksvolle Tosca-Aufführung.
Susanne Kittel-May